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Bereicherte die Festwochen: Pierre Boulez.

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Wenn die Festwochen sich selbst einladen: Purcells "Dido and Aeneas" hatte vor drei Jahren in Wien Premiere und kam nun (nach einer langen "Europatournee") wieder ins Museumsquartier zurück.

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Wien - Betrachtet man diese langsam zu Ende gehende Wiener Musiksaison versuchsweise als Großfestival, kann man nicht klagen. Zwar entpuppt sich das Ronacher als Auslastungsproblemfall, und dem RSO Wien droht Ungemach. Auch ist es schade, dass der Jazzclub Birdland es nicht geschafft hat, ein Überlebenskonzept zu entwickeln, und im Konkurs unterging. Andererseits: Das Porgy & Bess ist einer der besten Jazzclubs der Welt, für das RSO Wien gibt es womöglich Hoffnung. Und das Ronacher wird sich's schon richten.

Da wäre aber vor allem die klassische Wiener Welt: Die Staatsoper überträgt neuerdings Vorstellungen ins Freie und hat einen Ring des Nibelungen hervorgebracht, der den Ruf des Hauses als Ort des gediegenen Mainstream bestätigt. Zudem: Das jahrelange Sorgenkind Volksoper hat sich mit vielfältigem Programm stabilisiert.

Und sollte die Volksoper demnächst auch bei Sängerbesetzungen ein bisschen mehr Weisheit aufbringen und endlich auch einen Chefdirigenten finden, müsste sie sich auch vor dem Theater an der Wien nicht verstecken. Ebendort gibt es nicht extrem viele Vorstellungen, aber regelmäßig sehr hohe Qualität für immer mehr Abonnenten. Und Gott sei Dank weniger Konzerte. Die sind nun (auch akustisch) wirklich besser im Konzerthaus und im Musikverein aufgehoben, wo man übrigens von etwaigen das Publikum betreffenden Folgen der Finanzkrise noch nichts spürt.

Was Wunder: Hier gastiert alles, was Substanz und Relevanz hat; beide Häuser profitierten auch vom Spielfleiß der Wiener Philharmoniker: Selbige sind vielleicht insgesamt etwas überfleißig (auf Tournee), um die wegbrechenden Einnahmen aus dem CD-Verkauf zu kompensieren. Immerhin bieten sie jedoch viel mehr als die obligaten Abonnementkonzerte im Musikverein. Nimmt man noch die Aktivitäten der Wiener Symphoniker und jene hochkarätigen des RSO Wien dazu, zählt man auch die Konzerte der NÖ Tonkünstler und jene des Klangforums Wien hinzu, ergibt dies ein stattliches Grundangebot für die Stadt.

Es ist dies ein Angebot, das allerdings im Moment, da gerade auch die Wiener Festwochen locken, besonders üppig erscheint. So konnte man am Freitag Zeuge einer wunderbaren Zusammenarbeit von Dirigent Pierre Boulez mit den Philharmonikern und dem Geiger Christian Tetzlaff werden. Tags darauf - wieder im Konzerthaus - gab es Kostproben eines intelligenten Projektes des Ensemble Modern, das kompositorische Städteporträts präsentierte. Fast täglich stellt sich zurzeit die Qual der Konzertwahl. Wunderbar.

Man muss für diese Vielfalt auch den Wiener Festwochen danken - allerdings nur in finanzieller Hinsicht. Sie schießen Geld zu, damit (heuer) das Konzerthaus (nächstes Jahr wieder der Musikverein; man wechselt einander immer ab) ein würdiges Musikfest zusammenstellen kann.

Inhaltlich jedoch haben die Festwochen keinen Einfluss auf die Konzertdramaturgie beider Häuser - und man möchte fast "Gott sei Dank!" rufen. Denn haben die Festwochen mit Stéphane Lissner zwar einen potenziell fähigen Musikverantwortlichen, so hat der Franzose, der 2005 durchaus hoffnungsvoll begann, das von ihm verantwortete Musiktheaterprogramm der Wiener Festwochen nach und nach Richtung Unscheinbarkeit geführt. Und in diesem Jahr gleichsam wohl sein "Meisterstück" abgeliefert.

Als hätte man die erklärende Entschuldigung des Festwochen-Intendanten Luc Bondy ("Oper ist ja so teuer!") zum Motto erkoren, hat Lissner gerade einmal drei Produktionen angesetzt. Zudem hatten sowohl Heiner Goebbels Szenisches Konzert wie auch Philippe Boesmans' Oper Yvonne, princesse de Bourgogne (Regie: Luc Bondy) nicht in Wien ihre Premiere. Eine solche hatte zwar die dritte Produktion des heurigen Jahres (Dido and Aeneas) - allerdings schon vor Jahren. Nach langer "Europatournee" landete die Barockoper nun als Wiederaufnahme bei "ihren" Festwochen. Weil halt der 350. Geburtstag von Purcell im Kalender stand.

Zum erhellenden Vergleich kann man das Jahr 2005 heranziehen, als Lissner erstmals programmierte: Da gab es Mozarts Lucio Silla (Team: Claus Guth, Nikolaus Harnoncourt), Julie von Boesmans (Regie: Luc Bondy), szenische Bach-Kantaten (Regie: Peter Sellars), Händels Hercules und Janáèeks Oper Tagebuch eines Verschollenen. Also weitaus mehr. Heuer wirken die Festwochen indes wie ein durch Musiktheater irritiertes Theaterfestival.

Es ist kurios. Lissner, der in Aix-en-Provence tolle Arbeiten realisiert hat und seit Jahren als Chef der Mailänder Scala Kompetenz in einem streikfreudigen Milieu zeigt, schlägt sich in Wien selbst - unter seinem Wert. Sei es, da seine Hauptbeschäftigung zu viele Kräfte absorbiert; sei es, da Bondy nicht mehr an Musiktheater zulässt. Schwer zu deuten. Jedenfalls hat seine Wiener Programmierung Lissner auch bei der an sich beachtenswerten Bewerbung für die Leitung der Salzburger Festspiele eher nicht geholfen.

Zieht man schmunzelnd das Motto der Festwochen heran (Es reicht noch lange nicht), könnte man darin einen Anflug von Selbstkritik orten, aus dem Besserung erwachsen könnte. Das Motto ist jedoch auch anders deutbar: Vielleicht plant man weitere Reduktionen im Musiktheaterbereich. Dann aber sollte man aus den Festwochen ein reines Theaterfestival machen, Lissner ersparte man so Zeit und Fragen. Denkbar ist auch, die Musiktheater-Agenden (wie bei Konzerten) an Partner (etwa an das Theater an der Wien) abzugeben. Es wäre ja nicht die erste Kooperation. Einst war auch die Staatsoper Partner der Festwochen - bei einem allerdings nahezu grotesk konservativen Mozart-Projekt. (Ljubisa Tosiæ, DER STANDARD/Printausgabe 15.6.2009)