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Kritik - Starke "Carmen" in Innsbruck Ein Torero kennt keinen Scherz

Diesmal gewinnt der Stier: Georges Bizets populäre Andalusien-Oper orientiert sich in Innsbruck optisch an den Bildern von Francisco Goya. Schwermut liegt über der Inszenierung, ein spektakulärer Tenor räumt mächtig ab und Carmen sieht alles voraus. Am 21. September war Premiere am Tiroler Landestheater

Szene aus Carmen am Tiroler Landestheater | Bildquelle: Rupert Larl

Bildquelle: Rupert Larl


Gerade wagemutige Stierkämpfer haben ja Angst, sehr viel Angst sogar, wie schon Arena-Fan Ernest Hemingway in seiner Dokumentation "Tod am Nachmittag" wusste. Ein echter Torero ist kein Draufgänger, sondern melancholisch, voller Selbstzweifel, ist der Tod doch sein ständiger Begleiter. Und das inszenierte der Brite Laurence Dale in seiner Innsbrucker "Carmen" so beklemmend wie schnörkellos. Ja, dieser Stierkämpfer Escamillo hadert mit seinem Beruf, ist kein martialischer Degentänzer und Aufschneider, sondern geht am Ende nur sehr widerstrebend in die Arena und kommt dort tatsächlich zu Tode.

Die Inszenierung in Bildern

Die Zuschauer in diesem düsteren Granada singen freilich einfach weiter, womöglich haben sie das Drama gar nicht mitbekommen, oder es ist ihnen egal. So liegen zwei blutüberströmte Leichen auf dem Bett, der Torero und seine Carmen, und auch deren Ex-Mann Don José, der sie erstochen hat, ist ja eigentlich schon tot, reif für den Henker. Überhaupt spielen Vorahnungen in dieser populären Oper von Georges Bizet ja eine wichtige, dominierende Rolle: Letztlich wissen alle Beteiligten vorher, was sie erwartet, notfalls aus den Karten, aber sie alle sind zu müde, zu fatalistisch, zu ausgelaugt, um ihrem Schicksal entgehen zu wollen. Sie fügen sich, sie werfen sich ihrem vorbestimmten Ende förmlich in die Arme, was Laurence Dale immer wieder deutlich macht.

Weit und breit kein Flamenco-Spanien

Szene aus Carmen am Tiroler Landestheater | Bildquelle: Rupert Larl Bildquelle: Rupert Larl Ein ziemlich schattiger Gefühlskerker, dieses Andalusien. Ausstatter Tom Schenk hatte sich optisch an Francisco Goya orientiert, den spanischen Meister der Radierungen und der Aquatinta-Tuschezeichnungen. Das Bühnenbild ist ganz in Sepia-Licht getaucht, als ob es sich um ein vergilbtes, stockfleckiges Blatt aus irgendeinem Goya-Zyklus handelt. Dunst liegt in der Luft, Nebel steigen auf über einem grauen Felsen, der sich klotzig in der Bühnenmitte breit macht. Steinstufen sind rein gehauen, ein unwirtlicher, schwülheißer Ort irgendwo in den Bergen, wo Schmuggler Geschäfte machen. Von einem Flamenco-Spanien ist weit und breit nichts zu sehen, die Kastagnetten klappern von sehr weit her, bunt sind nur die Stierkämpfer, und die scheinen eher Marionetten oder Dämonen als Menschen zu sein, so gespenstisch, wie sie auf- und abtreten.

Rollentausch: Das Mannsbild ist nicht der Torero

Da ist dem Landestheater Tirol zweifellos eine packende, hervorragend beleuchtete und bebilderte Sicht auf die eigentlich längst zu Tode inszenierte "Carmen" gelungen. Kein umstürzendes Regietheater, aber ein in jeder Hinsicht plausibler und handwerklich bestens gemachter Opernabend. Unter den Sängern begeisterte der polnische Tenor Rafał Bartmiński als Don José so sehr, dass das Beziehungsdreieck, um das es hier geht, etwas aus den Fugen geriet. Dieser eigentlich schüchterne Soldat und Liebhaber war ein imposantes Mannsbild, hoch gewachsen, kernig und unerschrocken, während der Torero Escamillo, gesungen vom mexikanischen Germán Olvera das krasse Gegenteil war: Introvertiert, zurückhaltend, auch stimmlich defensiv.

Carmen ist keine "eruptive Andalusierin"

Ein Rätsel, warum die rassige Carmen, gespielt von Ksenia Leonidova, die sich doch eigentlich nach einem echten Kerl sehnt, diesen Don José stehen lässt und mit dem Stierkämpfer durchbrennt. Aber diese Irritation war wohl gewollt. Stimmlich bewältigte Leonidova ihre Partie anstandslos, aber eine eruptive Andalusiern war sie darstellerisch nicht. Andreas de Majo tanzte sich als Torero-Doppelgänger und smarter Kneipenwirt durch die karstige Landschaft, wie eine Erscheinung aus einer anderen, farbenfrohen touristischen Welt. Das war so ironisch wie berührend. Der italienische Dirigent Andrea Sanguineti begleitete das Ganze mit herbem, ja schattenhaften Klang, der vorzüglich zum Sepia der Inszenierung passte. Chor und Kinderchor waren mit voller Konzentration dabei, da stimmten die Blicke und die kleinen Winke. Eine Inszenierung gelingt immer im Detail - so gesehen hat das Landestheater Innsbruck alles richtig gemacht!

Sendung: "Allegro" am 24. September 2018 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Mehr Informationen

Georges Bizet: "Carmen"
Opéra comique
In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

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