Wie alles angefangen hat, Möglichkeit A: Es war Schließtag, der Abend war lau. Der Oper war fad, sie war deprimiert von den zahllosen Tragödien in ihrem Leben und vergnügte sich spontan mit einem Champagnerproduzenten. Das gemeinsame Kind wurde Operette genannt. Wie alles angefangen hat, Möglichkeit B: Jacques Offenbach war's.

Mit der Königin des Varietés Sylva Varescu – der "Csárdásfürstin" – gibt Elissa Huber ihr Debüt an der Wiener Volksoper.
Foto: Barbara Pálffy/Volksoper Wien Fotograf:

Wie ihre Schöpfungsgeschichte auch immer aussah: Die Operette erlebte eine überschäumende Blütezeit, als diese jedoch vorbei war, alterte sie umso schneller. Die Volksoper hat schon zweimal den Verjüngungsspezialisten Peter Lund konsultiert, um der alten Dame zu neuer Strahlkraft zu verhelfen, bei Ralph Benatzkys Axel an der Himmelstür gelang dem Fachmann nicht weniger als eine Wunderheilung. Als nächste Patientin wurde Dr. Lund die gut hundertjährige Csárdásfürstin anvertraut. Man durfte hoffen.

"Operette ist auf jeden Fall nicht das verlogene Liebesduett im ZDF auf dem direkten Weg zu Carmen Nebel", schreibt der Regisseur über das gern belächelte Genre. "Darüber hätte Offenbach gekotzt, und ich mit ihm." Da wundert es aber, wenn im zweiten Akt eine männliche Musikgruppe zu sehen ist, die mit ihrer crazy Komplettüberdrehtheit direkt einer Samstagabendshow von Florian Silbereisen entsprungen zu sein scheint. Das Turniertänzerinnenkampfgrinsen bei der Showeinlage auf dem fürstlichen Fest ängstigt ebenfalls (Choreografie: Andrea Heil).

Kurzeinführung in "Die Csárdásfürstin".
Volksoper Wien

War bei der Einrichtung von Benatzkys Filmoperette alles aus einem Guss, so ähnelt Lunds Csárdásfürstin mehr einer Promenadenmischung: ein bisschen alt (die fürstliche Bibliothek), ein bisschen Dada in Lila (das Varieté Orpheum), ein bisschen Klimts Adele (die Csárdásfürstin). Das Licht könnte stimmungsvoller sein, immerhin tut sich viel, und es gibt stimmige Schwarz-Weiß-Filmchen zu den Aktanfängen (Bühne: Ulrike Reinhard, Kostüme: Daria Kornysheva, Videos: Andreas Ivancsics).

Die Chornummern bersten vor Lebendigkeit und Vokalkraft. Wird es bei den Duetten arg schnulzig, konterkariert Lund dies gern mit Aggroanfällen des singenden Personals. Den Uraufführungstermin des Werks (im November 1915) nimmt der Deutsche zum Anlass, die im Handlungshintergrund dräuende Kriegsthematik gegen Ende in den Vordergrund zu schieben. Ein bisschen Ernst muss sein!

Unendlich akkurat und fad

Die Figuren sind leider fast alle Schablonen, nur eine nicht: Elissa Huber zeichnet die Titelpartie als reales, facettenreiches Wesen. Ihre Varietékönigin Sylva Varescu ist feurig, stolz, schlampig, versoffen und heutig. Huber singt auch fantastisch. Lucian Krasznec ist als Fürstensöhnchen Edwin ein singender Frack mit hochaufrechter Turnlehrerstatur: der spießigste Spießer, unendlich akkurat, unendlich fad, unendlich künstlich. Jakob Semotan erinnert als Graf Boni an Bastian Pastewka, Juliette Khalil hat als Komtesse Anastasia von der Unschuld zur Domina zum Tanzfloh zu mutieren: too much. Boris Eder dreht im Schlussakt als Feri Bácsi auf, Christian Graf ist als Baron Rohnsdorff die blondierte Zackigkeit in Person.

Die Solisten über die Liebeswirren zwischen Wien und Budapest.
Volksoper Wien

Publikumsliebling Sigrid Hauser ist an der Volksoper ins Fregattenfach avanciert, ihre Fürstin von und zu Lippert-Weylersheim ist gänzlich Keifzange und Eis. Das große Finale heizt die Routinière ganz im Alleingang an, an der Seite der großen Komödiantin darf Robert Meyer agieren. Alfred Eschwé mischt am Dirigentenpult des Volksopernorchesters wohldosierte Prisen Schmerz in den Schmelz, heizt feinfühlig Feuer der Leidenschaften an. Gesungen wird durchwegs erstklassig und elektroverstärkt, Kai Tietjes Zusatzarrangements überzeugen nicht immer.

Operation gelungen, Patientin verjüngt? Jedenfalls wird Emmerich Kálmáns Csárdásfürstin noch lange gefallen – mithilfe so herausragender Interpretinnen wie Elissa Huber auf jeden Fall. (Stefan Ender, 17.9.2018)