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Foto: © Bregenzer Festspiele / Anja Köhler
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Von Einsamkeit in der Liebe – Uraufführung von Thomas Larchers „Das Jagdgewehr“ in Bregenz

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Um den Anspruch eines „kompletten Festivals“ zu runden, bietet Bregenz neben den hochklassigen Seebühnenaufführungen und der „Opern-Orchidee“ im Festspielhaus auch seit Jahren die musiktheatralische Entdeckungsreise zu unbekannten oder vergessenen KomponistINNen – gipfelnd immer wieder auch in einer Uraufführung. Schon 2013 fragte Intendantin Sobotka den Österreicher Thomas Larcher, ob er nicht seine erste Oper für Bregenz schreiben wolle. Jetzt folgte die Uraufführung – gleichzeitig die erste Opernregie für den als Schauspieler bekannteren Karl Markovics.

Thomas Larcher führt gerne Ingeborg Bachmann an: „Auch die Musik erlangt mit Hilfe der Worte ein Bekenntnis, das sie sonst nicht ablegen kann“ und zielt auf tonale Zugänglichkeit. So sind in den 100 Minuten seiner Kammeroper „Das Jagdgewehr“ die Stimmen der fünf Solisten neben den zeitgenössisch anscheinend unvermeidbaren Diskantsprüngen wiederholt melodiös geführt. Da Larcher auch auf Textverständlichkeit zielt, werden immer wieder ihre Sätze von sechs Chorsolisten der Schola Heidelberg aufgegriffen, mitgesungen oder wiederholt. Dazu erklingen von Streichern, Holz- und Blechbläsern auch sofort eingängige schmerzliche Aufschwünge und zarte Linien. Dominierend aber ist die aus leisem Drohen zu Dröhnen, Explosionen und knallenden Attacken anwachsende Klangwelt des hoch ausdifferenzierten Schlagwerks: laut klackende Billiardkugeln, Sandpapier auf Handtrommeln, angeschlagene Holzstäbe, Xylo- und Vibraphone, geschlagener und gestrichener Gong, Celesta, Glockenspiel, Holzpeitsche undundund – das ist mal reizvoll, mal befremdlich. Vor allem aber: das spielt das erneut in Bregenz auftretende Ensemble Modern unter der klaren Zeichengebung von Michael Boder wie selbstverständlich – nur wer im Repertoire anderer Theater? Hinzu kommt, dass Larcher die Solisten via Mikroport von einem Klangregisseur mit dem Orchester mischen lässt… zu erleben war also wohl ein „Festspiel-Solitär“, dessen Ansprüche in regulären Spielplänen kaum zu bewältigen sind.

In Yasushi Inoues Novelle legen aufeinander folgende Briefe eine „menage à trois“ offenbar: Ein reifer Mann glaubt sich in einem Gedicht über einen Jäger und sein edles Jagdgewehr getroffen und schickt dem Autor drei Briefe. In einem umreißt die betrogene Ehefrau ihr jahrelanges Wissen und plant ihr künftiges Leben nach der Scheidung; in ihrem Abschiedsbrief formuliert die Geliebte ihre Erkenntnis, geliebt worden zu sein, aber nicht geliebt zu haben, und nimmt Gift; ihre Tochter schreibt, dass sie aus dem Tagebuch der Mutter über alles Bescheid weiß. Librettistin Frederike Gösweiner hat die vom Dichter angelesenen Briefe dann jeweils von den drei Schreiberinnen aufgreifen, selbst singend vortragen lassen und ineinander verschränkt. So entsteht doch ein gewisser Handlungsfluss. Den hat Regisseur Karl Markowics auf der Bregenzer Werkstattbühne ganz zurückhaltend in der offenen Einheitslandschaft von Katharina Wöppermann inszeniert.

Vor abgefilmten Landschaften im jahreszeitlichen Wechsel steht ein weißer Rahmen für die jeweiligen Lebensräume der Figuren; ein großes Laken ist erst Liebes- und dann Totenbett; das Briefpapier stimmt mit den Kleiderfarben der drei Frauen überein; Herbstblätter rieseln herab und ein kleines Schiff verbrennt im Hintergrund. Die Liebenden sprechen von ihrem Ehebruch als „großem Verbrechen“ – nur wirkt all dies eher verloren klein und endet in dem dann ins grundsätzlich Existentielle zielenden Satz „Was ist denn diese Qual, die jeder in sich trägt?“ So eröffnete sich trotz des gut konzentrierten Engagements der fünf Solisten doch die Frage, ob das Werk nicht den schrecklichen, weil inhuman erdrückenden Rahmen einer rigiden, speziell der japanischen Gesellschaft braucht, mit ihrer statusbewussten Emotionsunterdrückung, ihrem „Stets-das-Gesicht-Wahren“, ihrer daraus erwachsenden kühlen bis kalten Distanz. Dem Uraufführungspublikum fehlte dies nicht: einhellige Begeisterung.

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