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Und immer wieder spukt es

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Tschaikowskis „Pique Dame“ ganz groß mit Mariss Jansons und Hans Neuenfels bei den Salzburger Festspielen.

Der große Reichtum russischer Sponsoren tangiert auch die Salzburger Festspieldispositionen, und so kann sich hier etwas mehr jetzt vom großen Reichtum der russischen Oper darstellen. Anstelle der ursprünglich vorgesehenen, szenisch lahmen „Aida“ vom Vorjahr nun also eine Tschaikowski-Neuinszenierung – „Pique Dame“ mit dem zuletzt mit Schostakowitschs „Lady Macbeth“ an diesem Platz außerordentlich erfolgreichen Dirigenten Mariss Jansons und dem noch immer gut beschäftigten Altregisseur Hans Neuenfels. Die umjubelte Premiere im Großen Haus war die bislang überzeugendste Salzburger Opernproduktion dieses Sommers.

Das war vor allem, aber nicht nur, das Verdienst von Jansons. Er versenkte sich in die immense Partitur nach Art der St. Petersburger Tradition seines Lehrers Jewgenij Mrawinskij, der immer mit feinem Gespür und sachlich-rationalem Blick die verschiedenen, divergierenden und die Konsistenz eines Werkganzen gleichsam sprengenden Komponenten dieses „klassischen“ Romantikers herauspräparierte.

Bei Jansons geschieht das, ohne die Frenesie, die Unerbittlichkeit, das Pathos und den schroff aufbrechenden oder zart keimenden Gefühlston zu vernachlässigen. Dieser ist, im instabilen Duktus zwischen Verzückung und Verzweiflung, die Sphäre des Hauptpaares Hermann und Lisa. Daneben gibt es die nahezu singuläre Figur der greisen Gräfin, der Hüterin des Kartengeheimnisses, die (in Französisch, der Sprache ihrer fernen, glanzvollen Jugend als Gesellschaftsdame) ein unendlich schlichtes, im stammelnd-altertümelnden Gestus aber doch auch unheimliches Chanson singt.

Es kontrastiert bizarr und wie aus einer anderen Welt heraus zur oft lauten, lärmenden und oberflächlichen Gesellschaftsmusik, die Tschaikowski in diesem Stück besonders breit und sozusagen geflissentlich nervtötend ausstellt – krasse Außenwelt im Kontext zu den Dämonen im Inneren Lisas und Hermanns.

Jansons dirigierte diese Anteile musikalischer „Uneigentlichkeit“ – Tschaikowski maskierte sich freilich immer auch lustvoll mit Historismus und Folklorismus, größere Orchesterpassagen im 2. Akt klingen wie Gluck und verleugnen viertelstundenlang die „authentische“ Handschrift – in musterhafter Beiläufigkeit, ihre dramaturgische Funktion genau berücksichtigend.

Die Kernszene im Schlafgemach der Gräfin (Ende 2. Akt) atmete untergründige Bewegung und Stillstand zugleich; das Chanson erklang äußerst ruhig, konzentriert und akzentuiert auf den dunklen Stimmbereich. Die großartige Altistin Hanna Schwarz machte ihrem Namen Ehre durch ein tatsächlich abgründig „schwarzes“ Stimmregister. Noch die bedeutendsten klanglichen Steigerungen absolvierten die Wiener Philharmoniker mit einer geradezu paradox unangestrengten Markerschütterndheit. Um es so auszudrücken: Nach der zerfahrenen „Zauberflöte“ von vorletzter Woche erkannte man jetzt das Orchester wieder.

Von Anfang an zeigte sich die Szene stilsicher und gestalterisch souverän. Vom früher so drastischen Neuenfels’schen Provokations- und Zündel-Potential ist immer noch einiges vorhanden, doch wird es in ruhigere Zusammenhänge eingebettet. Die einleitende Chorszene erstrahlt in gleißendem Weiß. Doch halt! Auch bei der Miroslav-Srnka-Opernuraufführung „South Pole“ war das Neuenfels’sche Weiß (München 2016) ja nichts Positives.

Die beteiligten Kinder- und Erwachsenenchöre formieren sich jetzt also nicht zum festlichen Tableau. Die Buben und Mädchen werden in käfigartigen Waggons auf die Bühne gezogen und anschließend zu einer Militärparade abgerichtet (die Mütter stehen hinter ihnen und halten sie an der Leine wie Hunde). So dominiert der (vielleicht von „Carmen“ abgelauschte) Effekt kindlich-militaristischer Nachahmungsfreude nicht in naiver Munterkeit. Und im weiteren Verlauf werden alle Massenszenen zu grotesken bis horriblen monumentalen Spuk-Auftritten. Am frappierendsten und durchaus obszön die kollektive Aufgekratztheit des letzten Chorauftritts im Spielsaal nach dem Selbstmord Lisas.

Während also die Chorauftritte (Wiener Staatsopernchor, Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor) drastisch die Dämonie und die konformistische Gewalt repräsentierten (wobei die Bühne immer auch eine etwas dubiose Auffüllung mit Mensch und Material erzwingt), wurde die sonst manchmal sehr schrille Mumienhaftigkeit und Skurrilität der Gräfin stark abgemildert – und mehr zu einer mitmenschliche Einsicht hingelenkt, für die Alter und Gebrechlichkeit genug theatralische Beklemmung und Todesanspielung bedeuten. Immerhin wurde Hanna Schwarz die nach der Perückenabnahme schockierend sichtbare Glatze gegönnt. Ein schauspielerisches Kabinettstück, wie sie als „Leiche“ mehrmals im Stuhl wie eine Gliederpuppe zu schlenkern versteht.

Nicht, dass Neuenfels und besonders der versierte Bühnenbildner Christian Schmidt nicht auch ihre Mühe mit der Bühne im Großen Festspielhaus gehabt hätten. Sie mit Personen zu füllen und zu leeren, ist immer wieder heikel.

Vorherrschend ein typisch Schmidt’scher großflächiger Bühnen-Innenraum mit kassettenartig gemusterten Wandflächen. Im 3. Akt (Hermanns Visionen und Traumerscheinung der Gräfin) wird allzu wahllos von Video-Projektionen Gebrauch gemacht. Wunderlich, aber plausibel der verkleinerte Schlafraum der Gräfin, grell ausgeleuchtet und in Weiß wie ein Krankenhauszimmer. Am gelungensten das drehbare und mit Türen versehene zentrale Bauteil zum Quintett im 1. Akt – unschwer Verbindung und Entfernung zwischen den Personen herstellend. Die Monochromie der durchaus den optischen Eindruck beherrschenden Kostüme (Reinhard von der Thannen) wird fast nur bei Hermann (rote Uniform) und der Gräfin (etwas poppiges Outfit wie eine US-Seniorin) durchbrochen.

Neuenfels sieht zu Recht Hermann und Lisa als Außenseiter inmitten einer zynisch in sich rotierenden Spaßgesellschaft. Hermann hat dabei den labileren Part – ein Getriebener, Verführter, zwischen den feindlichen Obsessionen Liebe und Spielsucht sich Verfangender und Verzehrender. Eine beispiellos exaltierte Tenorpartie, bis zum Ende kraftvoll ins selbstvergessen Hochdramatische hineingeführt von Brandon Jovanovich.

In sich gefestigter und wunderbar stetig aufblühend die Lisa von Evgenia Muraveva – sublim und psychologisch bis in zarteste Nuancen ausdifferenziert das zögernde und fordernde körpersprachliche Spiel beider Sängerdarsteller bei der Liebesbegegnung. Als Hauptakteur der die Katastrophe in Gang setzenden Verführung Hermanns ist Vladislav Sulimsky (Graf Tomski) eine prägende Figur, insbesondere natürlich mit dem brillant vorgetragenen Lied von den „tri karti“ (drei Karten), dessen orchestrales Hauptmotiv den Opernbesucher sicher noch lange begleitet, wenn nicht für immer.

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