Musik und Darsteller überzeugten das Publikum in der Inszenierung von Romeo Castellucci. Asmik Grigorian begeistert in der Hauptrolle

    Ach ja, diese „Salome“ von Richard Strauss … Schon klar scheint, was dafür so sicher zu kommen hat wie das Amen in der Kirche: ein Schleiertanz der ebenso schönen wie irren Prinzessin. Theater-Blut. Und der Kopf von Johannes dem Täufer als finale Splatter-Requisite. Doch die Salzburger Festspiele und ihr Intendant Markus Hinterhäuser trauten sich nun, ihre zweite Opern-Premiere radikal, klug und nun ja: erschreckend geil auf links zu drehen. Sich allen großen Vorgaben des Librettos konsequent zu verweigern. Sie erwies sich als erstes Großereignis dieser Saison.

    Als Romeo Castellucci mit Kent Nagano seine Bach-„Passione“ in die Hamburger Deichtorhallen wuchtete, ließ er mal eben einen Reisebus durchs Bild schieben. In Salzburg entblößte er, Szene für Szene, dieses Drama. Er machte in der Felsenreitschule ein faszinierendes Bilderrätsel aus dem Seelen-Striptease, cool, heiß, pervers, anrührend. Es gab begeisterten Beifall und stehende Ovationen am Ende, nach einem Festspielabend fürs Langzeitgedächtnis.

    Die Bühne: leer gefegt, kalt wie Stein, die Arkadenbögen eingeebnet. Der Hofstaat mit einer Prise Kafka garniert, mit Stereotypen in dunklen Anzügen, während eine Putzkolonne den dick vergoldeten Palastboden wienerte. Alles riesige Projektionsfläche für das schrecklich schöne Kopfkino, mit dem Castellucci das Publikum sinnstiftend verstörte. Und während die ersten Blicke noch umherwanderten, nach vertrauten Schauwerten suchend, lieferten Franz Welser-Möst und die Wiener Philharmoniker, riesig besetzt und um jedes Detail der Partitur bemüht, die ersten Drogen-Takte aus dem Graben.

    Ein Klang wie maßgeschneiderte Dessous, alles für und wegen dieser Salome: schmal und in keusches Weiß gekleidet, aber markiert durch einen blutroten Fleck. Asmik Grigorian, im letzten Festspielsommer noch die Marie neben Matthias Goerne im Salzburger „Wozzeck“, sollte in dieser Premiere über alles und jeden hinauswachsen, knapp zwei Sternstunden lang Opern-Star sein. Das wird die junge Litauerin von nun an wohl bleiben. Idealbesetzung, Sensationserfolg. Oft „machte“ Grigorian fast gar nichts, außer Singen. Doch das erzählte alles. Wie sie Jochanaan – ihre nachtschwarze, frommere Hälfte, in einen animalischen Zottelviechmantel gewickelt – umschwärmte, ohne seinen „weißen Leib“ dabei zu sehen; Gábor Bretz ist hier ein wuchtig dröhnender Berg von Prophet. Wie Salome dem Hauptmann Narraboth (Julian Prégardien) ihren Köderkörper hinhielt und gurrte: „Du wirst das für mich tun …“, bevor er sich prompt wegen ihr umbringt. Wie sie sich einen Sattel anlegte, um dem Täufer ihrer Träume kurz Gehorsam vorzuspielen. Wie neben ihr, im Zisternen-Abgrund, tatsächlich ein pechschwarzes Pferd auftauchte wie aus Freuds Bilderbuch. Später wird dieser Salome der abgeschnittene Pferdekopf als Triebabfuhr-Spielzeug dienen. Denn Castellucci erfüllte keinerlei Wünsche, er zeigte sie, allerdings durch ihr genaues, negatives Spiegelbild. Der abgeschlagene Kopf des Johannes? Den musste man sich denken. Ein grausames Kammerspiel endet in einer Katastrophe, die provozierend unsichtbar bleibt.