„Parsifal“ in Bayreuth : Das Hässliche abgewaschen
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Brillante Textverständlichkeit: Derek Welton als erbarmungsloser Klingsor in der Bayreuther „Parsifal“-Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg. Bild: Enrico Nawrath/Festspiele Bayreuth/dpa
Uwe Eric Laufenbergs „Parsifal“-Inszenierung nimmt den holzgeschnitzten Christus vom Kreuz und legt damit Richard Wagners antichristliche Ambitionen offen.
Man könnte den „Parsifal“ von Richard Wagner auch einmal nur auf die Sublimation des Malerischen hin betrachten, darauf also, wie Sichtbares in der Phantasie des Hörers erzeugt wird, ohne dass die Musik es allzu naturalistisch imitiert. Wagner ist ein Meister des Unterschwelligen, darauf beruht seine immense Wirkung. Schwäne etwa sind im „Parsifal“ immer wieder im Spiel. Singen hört man sie selten, aber ihren Flügelschlag in der Luft kann man erahnen und das Kräuseln der Wasseroberfläche des Sees, kurz vor der Landung, auch. Dass Wagner den Hörer lenkt, ihn aber letztlich zum Mittäter macht, ist ein Geheimnis seines Manipulationsgenies.
Semjon Bytschkow, der dieses Jahr in Bayreuth das Dirigat des „Parsifal“ von Hartmut Haenchen und Marek Janowski übernommen hat, hält sehr genau diese Balance zwischen der dringlichen Insinuation von Bildern und dem Verwischen der Spuren solcher Manipulation. Das Orchester kann, besonders am Anfang des zweiten Aufzugs, in geradezu altbarocker Drastik die Gesten des Zorns malen und dabei ins Schrille und Pfeifende überdrehen.
Aber im Vorspiel zum ersten Aufzug, in den Verwandlungsmusiken und dem Karfreitagszauber schwebt doch alles mit einer seidenmatten Unfassbarkeit dahin, die das Hören anregt und sich doch der Mitverantwortung für die Bilder immer wieder entzieht. Überhaupt ist Bytschkow ein Dirigent des Maßes, kein Extremist. Der erste Aufzug ist bei ihm mit einer Stunde und fünfundvierzig Minuten zwar zwölf Minuten langsamer als bei Hans Zender, aber immer noch einundzwanzig Minuten schneller als bei Arturo Toscanini.
Extrem sind die Sänger dieser Besetzung: Das Duett zwischen Parsifal (Andreas Schager) und Kundry (Elena Pankratova) im zweiten Aufzug hat man selten so laut gehört wie hier. Vielleicht liegt es am Verstärkungseffekt der Bühne von Gisbert Jäkel – im ersten und im dritten Aufzug ein christliches Kloster im Nordirak, im zweiten ein orientalisches Frauenbad, immer mit dem gleichen Raumteilungseffekt –, aber es liegt wohl auch an den Singenden selbst, die ihre Töne mit vulkanischer Energie herausschleudern. Dabei hat Pankratova viel Wärme und Zartheit für „der Liebe ersten Kuss“, den sie Parsifal schenkt. Und auch Schager hat sich durch die vokalen Rüpeleien der ersten zwei Aufzüge keineswegs kaputtgesungen, so dass er bei der Taufe im vorletzten Bild Schmelz und Süße abrufen kann. Das hätte man auch vorher schon mal gern gehört.
Günther Groissböck ist von der Stimme her kaum ein gütiger Gurnemanz; auch die Regie verlangt ihm die Ruppigkeit eines Zuchtmeisters ab. Die Textverständlichkeit könnte besser werden. Sie ist dagegen geradezu brillant bei Derek Welton als erbarmungslosem Zauberer Klingsor, auch bei Thomas J. Mayer als Amfortas, der sich hier mit äußerster Aggressivität der Zumutungen durch die mönchische Ritterschaft erwehren muss. Dem Chormeister Eberhard Friedrich ist es zu verdanken, dass die Konfrontationen zwischen den Gralsrittern und Amfortas musikalisch und sprachlich zu eindrucksvollen Momenten sozialdynamischer Gewalt werden. Dazwischen dröhnt kolossal die grabeshohle Stimme von Tobias Kehrer als Titurel.
Amfortas als der neue Gekreuzigte
Die Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg, jetzt im dritten Jahr zu sehen, verstört das Publikum merklich. Es gibt heftige Buh-Lawinen, die das Regieteam, zu dem noch Jessica Karge als Kostümbildnerin gehört, beim Schlussapplaus wegzulächeln versucht. Dabei hat Laufenberg Richard Wagners Idee vom „Bühnenweihfestspiel“, durch das „die Kunst die Substanz des Religiösen zu retten versucht“, ziemlich konsequent durcherzählt. Die Gralsritter sind am Anfang eine Ritualgemeinschaft, die noch immer archaischen Opferkulten anhängt. Sie trinken buchstäblich das Blut des Amfortas, dem sie bei jeder Mahlgemeinschaft neue Wunden zufügen.
Dass dabei der holzgeschnitzte Christus vom Kreuz genommen und Amfortas in die Pose des Gekreuzigten (mit Dornenkrone) gebracht wird, entstellt auch Wagners Absichten zur Kenntlichkeit: Seine Spätschriften rund um den „Parsifal“ triefen vor einer Sprache in Dialysemetaphorik, wonach das Blut des Erlösers – Jesus Christus – von seinen jüdischen Anteilen gereinigt und durch arisches Blut ersetzt werden müsse. Dieser Prozess der szenischen Ersetzung von Christus durch Amfortas fängt diese zutiefst antichristliche Ambition Wagners, die zur Zeit der Uraufführung vom evangelischen Theologen Gustav Portig wachsam thematisiert worden ist, ein.
Im Lauf der Inszenierung wird aus Parsifal, dem Krieger, ein Künstler im Dirigentenkostüm. Er befriedet die Gewalt der Religionen, beendet den Opferkult der Gralsritter, befreit die muslimischen Frauen aus dem Schador zu glücklicher, gemischtgeschlechtlicher Nacktheit mit Männern beim übergriffsfreien Duschen im Karfreitagsregen. Ein Videozuspiel lässt Richard, Winifred und Wolfgang Wagner friedlich die Augen schließen. Sie sind aus ihrem Amt als Gralshüter entlassen. Noch während die Musik spielt, erstrahlt der Zuschauerraum in zauberischem Licht als Ort der Verklärung. Dass Wagners Kunstreligion auch im „Entjudungsinstitut“ in Eisenach Gestalt gewann, wo man nach 1933 die Kantaten- und Oratorientexte von Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel von allen jüdischen Verweisen gereinigt hat, bleibt hier ausgespart. Was hässlich ist an Wagner, wäscht Laufenberg ab. Das Werk soll schöner sein und größer als der Mensch.