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Bayreuther Festspiele
Blaues Wunder

Die Eröffnungspremiere der Festspiele in Bayreuth leuchtete in Blautönen. Das Künstlerpaar Neo Rauch und Rosa Loy haben das Bühnenbild zu Richard Wagners "Lohengrin" gestaltet. Die Inszenierung macht aus der Oper ein Märchen - und bleibt hinter ihren Möglichkeiten zurück.

Von Christoph Schmitz | 26.07.2018
    Blick auf das "Lohengrin"-Bühnenbild und die Kostüme: Das Künstlerpaar Neo Rauch und Rosa Loy haben beides in diesem Jahr gestaltet.
    Blick auf das "Lohengrin"-Bühnenbild und die Kostüme: Das Künstlerpaar Neo Rauch und Rosa Loy haben beides in diesem Jahr gestaltet. (Festspiele Bayreuth)
    Blau ist die Farbe dieser Inszenierung. Sie entsteht ganz aus dem Bild. Sie entwickelt sich und lebt aus der Malerei. Ein opulentes Gemälde in 3-D haben die Leipziger Maler Neo Rauch und seine Frau Rosa Loy geschaffen. Den Turm eines Umspannwerks aus der Zeit um 1900 sehen wir im ersten Aufzug. Elektrische Funken blitzen über die Stromleitungen, wenn der Gralsritter Lohengrin erscheint, um für die unschuldige Elsa zu streiten, die des Brudermordes bezichtigt wird.
    Jahrhunderte deutscher Geschichte rufen die Bilder wach
    Blau auch die Farben der Gewänder, stilisierte Historienkostüme aus früher Reichshistorie bis zur Nachgründerzeit. Jahrhunderte deutscher Geschichte rufen die Bilder wach. Aber auch die Welt der Märchen. Denn die Herrschaften sind geflügelte Wesen. Durchsichtige Insektenflügel wachsen ihnen aus dem Rücken - Elsa wirkt wie eine Fee. Und einen Schuss Science-Fiction mischen Rauch und Loy hinein: Es ist kein Schwan, der den Gralsritter Lohengrin nach Brabant bringt, sondern ein space-iges Fluggerät wie aus einer anderen Galaxie.
    Piotr Beczala als Lohengrin. Mit der Neuinszenierung der Richard-Wagner-Oper begannen am 25.07.2018 die Bayreuther Festspiele. 
    Piotr Beczala als Lohengrin (Enrico Nawrath/Festspiele Bayreuth/dpa)
    Im zweiten Aufzug dann, wenn Ortrud der angehenden Braut Elsa das Gift des Misstrauens gegenüber ihrem Retter und Bräutigam Lohengrin einflößt, sehen wir das Drama eines abendlichen Wolkenhimmels und hinein in eine tiefe Landschaft von Rembrandscher Dunkelheit. Was wollen uns die beiden Bühnen- und Kostümbildner Rauch und Loy damit sagen? Alles und nichts. Sie überführen Wagners Musiktheater in die Weite historischer, kunsthistorischer, populärkultureller Bezüge. Traumbilder suggerieren sie. Sie wecken mehr Imaginationen als konkrete Interpretationen und Bewertungen, was dem Stück bestens bekommt.
    "Lohengrin" erzählt als Märchen
    Wir sehen ein Märchen mit all seiner Naivität und Abgründigkeit. Und Dirigent Christian Thielemann hat sich hörbar darauf eingelassen. Wenn er es auf der Pressekonferenz am Vortag der Premiere nicht selbst gesagt hätte – jeder im Publikum hätte es gehört: Thielemanns Klanggestaltung ist farblich inspiriert. Sein "Lohengrin" klingt blau, silbrigblau, silbern, funkelnd, wie schon im Vorspiel zum ersten Aufzug. Vor allem die reinen Orchesterpartien sind immer wieder von dieser farbgesättigten, transparenten Art. Vielleicht war es der Hitze geschuldet, dass der große Klangkörper samt Chor und Solisten hin und wieder aus den Fugen geriet und Thielemann Mühe hatte, alles wieder ins Lot zu bringen.
    Georg Zeppenfeld als König Heinrich, Tomasz Konieczny als Friedrich von Telramund und Waltraut Meier als Ortrud ließen sich von der Sommerglut im Festspielhaus allerdings nicht irritieren. Präsent, wuchtig und klar waren ihre Interpretationen. Anja Harteros als Elsa von Brabant dagegen brauchte eine Weile, um ihren bronze eingedunkelten Sopran auf den Weg zu bringen, was ihr schließlich gelang. Auch der polnische Tenor Piotr Beczala musste sich einsingen. Spätestens im dritten Aufzug, nachdem Elsa das Verbot, Lohengrin nach Namen und Herkunft zu fragen, gebrochen hat, konnte Piotr Beczala Schmelz und Leuchten seiner Stimme zeigen.
    Inszenierung wirkt statisch
    Am Ende: Gewaltige Lichtbalken schieben sich im Hintergrund durchs Wolkenblau. Windzerfetzte Gräser davor. Lohengrins Rettungsversuch ist gescheitert. Er selbst ist der Schuldige. Das ist die Geschichte, die der amerikanische Regisseur Yuval Sharon erzählt. Sein Lohengrin verlangt von Anfang an blinden Gehorsam. Das Zögern und Zweifeln der Leute kümmert ihn nicht. Elsas Sorgen sind ihm egal. Das kann nur schiefgehen. Doch auch Sharons weitere szenische Arbeit ist leider schiefgegangen. Weil er zu wenig macht.
    Alles bleibt statisch, konventionell. Er nutzt die Symbole und Räume des so reichen Bühnenbildes nur ansatzweise. Hier ist noch viel Luft nach oben. Für die Wiederaufnahmen in den nächsten Jahren sollte er sie unbedingt nutzen. So bleibt dieser neue "Lohengrin" hinter seinen Möglichkeiten zurück. Nach mittelguten Inszenierungen von "Meistersingern", "Parsifal" und "Tristan und Isolde" müsste in Bayreuth wieder ein Meisterstück her. Potential dafür hätte Rauchs und Thielemanns "Lohengrin".