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Foto: © Bregenzer Festspiele / Anja Köhler
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Diva und Tango – Astor Piazzollas „Maria de Buenos Aires“ auf der Bregenzer Werkstattbühne

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Die musiktheatralische „Orchideen-Pflege“ der Bregenzer Festspieldramaturgie bietet nach der ganz besonderen „Blüte“ im Festspielhaus in der durchweg schwarzen Werkstattbühne nun ein ganz exquisites, argentinisches Nachtschattengewächs: eine „Tango-Operita“… zu der nur leider nicht getanzt werden durfte…

In dem 1968 in Buenos Aires uraufgeführten Werk setzte Altmeister Astor Piazzolla den Weg vom puristisch reinen Tango weiter fort, fast schon zum heutigen „Tango Nuevo“. Er erweiterte das instrumentale Spektrum weit über das Bandoneon hinaus und ermöglichte variable Besetzungen. Parallel dazu griff er kompositorisch gezielt klassische Formen auf: „Tocata rea“, „Miserere canyengue“, „Aria“ und „Romanza“ finden sich als Titel, auch eine „Fuga y misterio“.

Es entstand ein 90-minütiges Opus aus 16 Nummern, die, mal zwei, mal sieben Minuten lang, in kurzen Szenen schlaglichtartig Stationen aus dem Leben des Vorstadtmädchens María herausleuchten: ihre Herkunft aus der Vorstadt, ihre Verführung, das Leben als Hure zwischen verschiedenen Männern, ihr früher Tod – doch all das nicht chronologisch; María wird vielmehr von „El Duende“, einer dämonischen Mischung aus Mephisto, Mafioso und Zuhälter, zu Anfang aus dem Grab geholt, das längst von einer asphaltierten Straße überzogen ist; ihr Leben wird legendenartig erzählt; sie erscheint als Sehnsuchtsfigur männlicher Projektionen; ihr „Fall“ wird von einem satirisch komponierten „Chor der Analytiker“ untersucht; ihr Leben endet mit der jungfräulichen Geburt einer neuen María - und so wird diese María zur Metapher, zur symbolischen Figur der steten Wiedergeburt derartiger Frauenleben und Frauensehnsüchte in Buenos Aires – und wohl allen Megalopolen dieser Welt.

Daraus hat Regisseur Olivier Tambosi auf einem kleinen Podium ein „Erzählkonzert“ gemacht. Wie eine Milva-Nachfolgerin kommt Sopranistin Christiane Boesinger mit wallender Blond-Mähne im leuchtend rotem Abendkleid – der schwarze Borsalino und ein abgetragener Männerledermantel sollen wohl „Verruchtheit“ signalisieren, doch trotz Lümmeln und laszivem Geräkel im roten Velour-Fauteuil neben einer hohen Porzellanlampe: da muss eine Diva mähnewerfend unentschieden zwischen „Nutte und Erzählerin“ wechseln. Dazu klingt ihr Sopran auch so rund und schön, dass die vom deutschen Texteinsprengsel genannten „drei Nägel in Marias Stimme“ fehlen. Zu den mal surrealen, mal symbolistischen Texten in argentinischem Spanisch gibt es keine kürzeren oder längeren Übertitel im Hintergrund, nur schlichte Farbspiele, mehrfach Straßengeräusche vom Band und ein paar deutsche Zwischentexte von Kontrabassist Eddie Luis.

Der konzeptionell schief liegende Abend wurde aber zum musikalisch bejubelten Erlebnis. Das österreichische Trio „Folksmilch“ erarbeitet sich seit zwanzig Jahren alle Raffinessen des Tango: im Zentrum Christian Bakanic (Akkordeon und Percussion), dazu Eddie Luis (Kontrabass, Erzählung und Gesang) und Klemens Bittmann (Violine und Mandola). Perfekt ausgesteuert (Bravo der Tontechnik!) fegten da anschmiegsames Melos, knallende Kante, atemverhaltender Stillstand und losfetzendes Tempo über die vollbesetzte Großtribüne. Die melancholische, dann eruptiv leidenschaftliche und sofort wieder tristesse-verhangene Tango-Atmosphäre, in der Liebe, Lust und Leid, Verfallenheit, Gewalt und Tod sich fatal mischen – das gelang fesselnd und fulminant, ein musikalisches Feuerwerk. „Folksmilch“: unbedingt wiederhörenswert!

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