„Beatrice Cenci“ in Bregenz : Vom Vatikan gedeckter Missbrauch
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Christoph Pohl als Graf Francesco Cenci mit Gal James als Beatrice Bild: Bregenzer Festspiele/Karl Forster
Auf die korrupte Kirche ist kein Verlass: Die Oper „Beatrice Cenci“ des verfemten Komponisten Berthold Goldschmidt eröffnet die Bregenzer Festspiele.
Mit Berthold Goldschmidts Oper „Beatrice Cenci“ wurden die 73. Bregenzer Festspiele nun noch vor der Wiederaufnahme der Seebühnenproduktion von Georges Bizets „Carmen“ eröffnet. Der 1950 fertiggestellte Dreiakter greift einen historisch verbürgten Fall auf, der sich vor mehr als vierhundert Jahren in Rom ereignet hat. Damals wurde die zweiundzwanzigjährige Patriziertochter Beatrice Cenci als Anstifterin zum Mord an ihrem gewalttätigen Vater Francesco vor der Engelsburg enthauptet. Ihre Stiefmutter Lucrezia traf dasselbe Los, ihr Bruder Giacomo wurde nach Folter grausam hingerichtet. Überliefert ist, dass trotz Sympathien der Bevölkerung für die Verurteilten zahlreiche Schaulustige das widerliche Spektakel verfolgten. Noch zweihundert Jahre später schändeten französische Besatzungssoldaten das namenlose Grab von Beatrice. Erst 1999 ließ die Stadt Rom eine Gedenktafel anbringen, auf der die Unglückliche als Opfer päpstlicher Unrechtsjustiz rehabilitiert wird. Die Kurie hat einst übrigens von den Summen, mit denen sich Francesco Cenci nach seinen Gewalttaten jeweils freikaufte, ebenso profitiert wie später vom Einzug des riesigen Familienvermögens, das Francescos Vater als Schatzmeister der apostolischen Kammer durch Unterschlagungen angehäuft hatte.
Auch in Goldschmidts Oper verhält sich die Menge ambivalent. Das Libretto von Martin Esslin basiert auf Percy Bysshe Shelleys Versdrama „The Cenci“ von 1819. Wie dort steht der brutal erzwungene Inzest als Motiv für den Vatermord im Vordergrund der Handlung. Auf die korrupte Kirche ist für die Opfer Francescos auch hier kein Verlass. Auf einem ausschweifenden Fest feiert der Graf die von ihm in Auftrag gegebene Ermordung zweier Söhne, die seinem Schreckensregiment entkommen wollten. Als Lucrezia, Beatrice und deren jüngerer Bruder Bernardo den Festgästen ihre Qualen schildern, sperrt er sie ein und vergewaltigt die Tochter.
Zur Hinrichtung ein Requiem
Hilfe verspricht sich Beatrice vom jungen Prälaten Orsino, der jedoch ein Gesuch von ihr an den Papst nicht weiterleitet und sie stattdessen in eine Falle lockt. Wenn er sie schon als Partnerin nicht bekommen kann, möchte er sie in perverser Zuneigung wenigstens auf anderem Weg von sich abhängig machen. Er schlägt vor, Francesco von Killern um die Ecke bringen zu lassen. Der Plan gelingt, doch die Leiche wird entdeckt. Die Sache fliegt auf. Die unter Mordverdacht verhafteten Anstifter gestehen unter Folter und werden zum Tod verurteilt. Nur für Bernardo gibt es Gnade. Zur Hinrichtung erklingt in der Ferne ein ergreifendes Requiem.
Dass Goldschmidts „Beatrice“ in diesen Tagen einer schwarz-blauen Regierung in Österreich die Bregenzer Festspiele eröffnet, kann man als mutiges Statement werten. Nicht nur die von Johannes Erath beklemmend inszenierten Vorgaben des Stücks, sondern auch die biographischen Erfahrungen des deutsch-britischen Komponisten, der seine Heimat als Jude 1935 verlassen musste, rücken ins Bewusstsein, wohin Machtmissbrauch und politische Entgleisungen führen können. Bundespräsident Alexander Van der Bellen beschwor vor der Premiere die unbedingte Freiheit der Kunst. Dass mit Paulus Hochgatterers Schauspiel „Böhm“ auch eine kritische Aufarbeitung der Rolle des Dirigenten Karl Böhm im „Dritten Reich“ auf dem Festspielprogramm steht, setzt ein weiteres Zeichen in diese Richtung. Während Böhm nicht nur als großartiger Künstler, sondern auch als „williger Diener des Nationalsozialismus“ (Van der Bellen) Karriere machen konnte, wurde die vielversprechende Laufbahn Goldschmidts nach 1933 abrupt abgewürgt.
Der 1903 in Hamburg geborene Komponist hatte in Berlin bei Franz Schreker studiert und 1932 mit seiner ersten Oper großen Erfolg. In England, wohin er vor den Nazis floh, musste er von vorn anfangen, konnte aber mit eigenen Werken nicht Fuß fassen. Nach dem Krieg verstummte er als Komponist für Jahrzehnte. „Beatrice Cenci“ wurde erst 1988 in London konzertant und 1994 am Magdeburger Theater szenisch uraufgeführt. Zwei Jahre später starb Goldschmidt in London.
Erath hat in Bregenz erschütternde Bilder für die geschändeten Seelen von Missbrauchsopfern geschickt überblendet mit Andeutungen kollektiver Gewalt, die auf Terror und Kulturbruch im faschistischen Deutschland verweisen. Katrin Connans Bühne verortet die Schutzlosigkeit der Opfer in einem schwarzen Erinnerungstunnel mit runden, nach hinten gestaffelten und immer enger werdenen Sichtfenstern. Bernd Purkrabeks schräg einfallende Beleuchtung der düsteren Szenerie erzeugt eine albtraumhafte Atmosphäre, mit der die üppig zwischen Renaissance und heute changierenden Kostüme von Katharina Tasch surreal kontrastieren.
Schwarzweißfotos des Vatikans zur Zeit Hitlers verweisen dezent auf die Verstrickung der Kirche in Diktaturen, während gleichzeitig fragmentarisch ins Bild gerückte Seelenräume wie in einer Therapiesitzung den Plot der Oper entfalten. Gal James als Beatrice mit einer Puppenattrappe ihres missbrauchten inneren Kinds, Dshamilja Kaiser als Lucrezia und Christina Bock in der Hosenrolle des Bernardo mit Pagenschnitt singen ergreifend von ihrer Ohnmacht. Christoph Pohl verkörpert Francesco als grausam-fröhlichen Macht- und Genussmenschen, der sich gottgleich wähnt, während er über Goldhaufen und Leichen geht. Auch Michael Laurenz als Orsino, Per Bach Nissen als klerikaler Mitläufer Camillo und der Prager Philharmonische Chor sorgen für belcantistischen Glanz, der in dieser Partitur die Abgründe umso krasser hervortreten lässt. Johannes Debus animiert die Wiener Symphoniker zu plastisch-ausdrucksstarkem Spiel. Am Ende greift sich Bernardo zaghaft eine Pistole, lässt sie wieder sinken und zündet zögernd eine Kerze an. Dann wird es stockfinster. Nur ein winziges Licht schimmert in der Dunkelheit.