Da mit sanfter Bedächtigkeit singen, dort wieder die Seemannsbraut geben: Gal James darf als gequälte Adelstochter Beatrice musikalisch allerlei Extreme durchleben.

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Auf der Autofahrt nach Hause hat man unverhofft einen Passagier mehr an Bord. Ein Ohrwurm fährt mit: Lächelst oder weinst du, Freund, Beatrices Arie vor ihrer Hinrichtung. Als ein schlichtes, trauriges Wiegenlied hat Berthold Goldschmidt diese komponiert, versüßt mit einem Schuss Rührseligkeit à la Erich Wolfgang Korngold.

Es ist dies einer der wenigen Momente des Abends, der stimmig ist: Die Zeit und auch der bunte Jahrmarkt der Inszenierungsideen stehen für einige Momente still. Auf der Bühne erlebt man schlicht einen verzweifelten Menschen, dessen Klage rührt. Gal James singt den Abschiedsgesang der missbrauchten römischen Adelstochter und heiligengleicher Mörderin mit sanfter Bedächtigkeit und einem in der Höhe fast körperlosen Pianissimo.

Zuvor muss sie die Seemannsbraut auspacken, in Dein heulend Klagelaut: Schneidend durchpflügt ihr vibratoaffiner Sopran die Orchesterwellen. Schade, dass James' Aufmachung verunglückte: Die Titelheldin sieht aus wie die auftoupierte Tochter von Krusty, dem Clown. Tragisch. Aus Sicht des Regiekonzepts von Johannes Erath aber auch wieder stimmig, der Beatrice Cenci zur schrillen Farce auffrisiert.

Prächtig kostümiert

In seiner Inszenierung tut der Deutsche sowieso alles Menschenmögliche, um es unmöglich zu machen, Goldschmidts 1950 fertiggestellte, aber erst 1994 szenisch aufgeführte Oper wiederzuentdecken. Nicht nur, dass er das Publikum im Schlussakt regelrecht blendet. Auch die Regiearbeit ist in Summe kaum mehr als Blendwerk. Immerhin ein virtuoses: Die luxuriösen Kostüme von Katharina Tasch sind eine große Schau (Motto: Renaissance reloaded by John Galliano), Katrin Connan (Bühne) und Bernd Purkrabek (Licht) schufen für deren Präsentation filmnahe und realitätsferne Raum- und Bilderwelten à la Tim Burton.

Doch trotz dieser opulenten Tableaus der Dekadenz und zahlloser Regieeinfälle ereignen sich im Festspielhaus nur Sehfestspiele der seichten Art. Denn Erath opfert den Götzen der glänzenden Oberfläche und des optischen Mehrwerts inhaltliche Tiefe und Substanz: außen hui, innen hohl. Die meisten Protagonisten sind auf der Bühne fast ständig präsent, interagieren aber oft selbst dann nicht, wenn dies szenisch und musikalisch angebracht wäre.

Oft arbeitet Erath auch ungenau. Im zweiten Akt trägt Beatrices väterlicher Peiniger seine Großartigkeitsarie mit Glitzersakko und Schlagerstarpose vor. Das würde passen. Dann sollte dieser Cenci eigentlich von Wein und Gift ermüden, aber Erath lässt ihn bei den Worten "Es ist schon spät ... die Augen schmerzen" weiter posieren. Und Beatrice muss nach seiner Ermordung natürlich auch noch zum Mikrofon greifen, unpassenderweise. Aber wenn es schon mal rumsteht ...

Vokale Intensität

Leider hat Christoph Pohls Graf Cenci nichts Gefährliches, sein weicher Bariton ist dynamisch limitiert und wohlklangsorientiert. Wobei es Goldschmidt Sänger und Publikum schwer macht: Die Partie des mutmaßlichen Monsters ist fahrlässig unterdramatisiert. Per Bach Nissen veranschaulicht als Kardinal Camillo die Todsünde der Völlerei glaubwürdig, hat aber gesanglich nur wenige außergewöhnliche Momente.

Der Einzige, der dank vokaler Intensität und Prägnanz Weckdienste verrichtet, ist Michael Laurenz (als Orsino) mit seinem dringlichen, hellen Tenor. Erfrischend auch Dshamilja Kaiser als Lucrezia, Beatrices Stiefmutter, und Christina Bock als Bernardo.

Die kurzweilige, gemäßigt moderne Musik des vor den Nazis nach England geflohenen Schreker-Schülers Goldschmidt setzt Johannes Debus mit den Symphonikern feinsinnig, vital und meist akkurat um: die vielen Fugati, auch die gewalttätige Motorik des Schicksals à la Schostakowitsch gegen Ende, das Filmmusik-Pathos zu Beginn. Am Schluss, als das oberflächliche Prickeln der Szene längst schal geworden ist, bleibt die Erkenntnis, dass zu viel Geld nicht nur den Charakter verderben kann, sondern auch den einer Operninszenierung. (Stefan Ender, 19.7.2018)