Leichen pflastern den Weg ihrer Bühnenfiguren, echte Machtmenschen säumen den Parcours ihrer Bühnenauftritte. Selten kommen sich Oper und Realität so nahe wie jetzt an der Berliner Lindenoper in Verdis düsterem „Macbeth“. Über so viel Blut in dem alten, eben von ihr geschlachteten König wundert sich die darob schwachsinnig gewordene Lady.
Aber sehr viel energetischer Saft scheint auch in drei grumpy old men zu sprudeln, die hier neben der deutlich jüngeren Anna Netrebko ungerührt ihr Ding durchziehen: Plácido Domingo, Harry Kupfer, Daniel Barenboim.
Das miese Paar, Netrebko und Domingo, durfte extra die Berliner Generalprobe vorverlegen, damit man bei Wladimir Putins russischen Fußballweltmeisterschaften am Moskauer Roten Platz trällern konnte; die Netrebko gönnte sich anschließend eine weitere öffentliche Generalprobe, indem sie bei Valery Gergievs „Weiße Nächte“-Festival am Petersburger Mariinsky-Theater noch schnell eine weitere Lady Macbeth einschob.
Und Domingo, man weiß wirklich nicht, wo der die Energie hernimmt, sitzt zwischendurch bereits im Bayreuther Orchesterabgrund, um sich in die Wagner-Mysterien der dort bei den Festspielen von ihm zu dirigierenden „Walküre“ einführen zu lassen. Angeblich soll er sich vorher eine Woche lang in Los Angeles ein ganzes Orchester gemietet haben, um zu üben.
Kristalline Burgruinenvideos
Und so kann er jetzt optisch einigermaßen souverän als uniformbetresster südamerikanischer Operettentyrann über die spiegelnde Bühne stiefeln. Die ist, Marmorwände und weiße Ledersessel inklusive, mal wieder von Hans Schavernoch, und irgendwie sieht das verdammt aus wie in den Neunzigern hier der Wagnerzyklus des gleichen Teams. Nur die kristallin gepixelten Schlachtfeld- und Burgruinenvideos von Thomas Reimer sind neu.
Shakespeares böse Fantasie über den mörderisch fehlschlagenden Willen zur Macht, in Verdis mal sarkastisch tänzelndem, mal abgründig fahlem Klanggewand als Parabel auf die moderne Politik – das kann man übrigens genauso und szenisch besser auch in Robert Carsens „Macbeth“-Inszenierung an der Deutschen Oper genießen.
Anna Netrebko ist natürlich grandios. Die Schlafwandelszene der Lady hat sie als blutrünstiger Vamp im Goldglitterkleid erstmals 2013 zur Eröffnung der oligarchenprotzigen Mariinsky-Zweitbühne vor Putin gesungen, ein Jahr später balancierte sie dann bei dem Münchner Opernfestspielen über Totenschädel und durch die gesamte Partie. Seiher hat sie zwar die Koloratur im Trinklied weitgehend verloren, auch das finale Des in der Wahnsinnsnummer wackelt, aber sie ist hinreißend fies.
Hass in schönsten Tönen
Im schwarzen Businessanzug stöckelt sie giftig dahin wie Robin Wright in „House of Cards“. Im grünen Seidenfummel sieht sie aus wie Imelda Marcos, und ähnlich schubst sie den senilen Gatten in die Kissen. Guttural und schwarz glitzernd schwappt ihr der Hass in schönsten Tönen aus der Kehle, der fehlgeleitete Ehrgeiz verführt sie zu funkelnden Melodien. Selten machte ein fieses Weib mehr Spaß.
Das Berlin Daniel Barenboims ist der Geburtsort des Baritons Plácido Domingo. Hier stiegt der Ex-Tenorissimo 2009 erstmals zum Simon Boccanegra hinab, 2015 gab er im Schiller-Theater sein Macbeth-Debüt. Das erstaunlicherweise heute besser klingt als damals.
Seit dieser 143. Rolle hat der Vielfraß sich noch weitere sechs einverleibt, immer noch ist er kurzatmig, nicht wirklich ein energetischer, wenn auch von der Lady angestachelter Feldherr. Lieber sitzt er auf dem Sofa und lässt herbstgoldene Kantilene folgen. Die Triolen im zweiten Finale schafft er nicht mehr, oft ist er leise, lässt die Töne nach unten wegsinken, hat Texthänger. Aber immer wieder glimmt auf, dass dieser Mann ein einzigartiger Superstar der Oper war.
So wie Harry Kupfer in seiner durchgewinkten Regieverrichtung ist auch Daniel Barenboim langsam geworden, dirigiert ohne Sendungsbewusstsein einen bleischweren, aber instrumental blitzsauberen „Macbeth“.
Nicht nur grauhaarig, auch graustimmig präsentiert sich Kwangchul Youn als Banquo; mehr mit seiner Leibesfülle als mit seinen mal gequetschten, mal zittrigen Tönen beeindruckt Fabio Sartori (Macduff). Am Ende erinnert man sich nur noch an Domingos eindrückliche, diesmal aus der ersten Verdi-Fassung übernommene Sterbeszene.