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Psychogramm einer traurigen BrautVon Stefan Schmöe / Fotos von Nienke Elenbaas und Hans van den Bogaard © Nederlandse Reisopera
Das Auge als Spiegel der Seele: Ein Auge und eine Guckkastenbühne wie mit einem Spiegel ausgeschlagen, das sind die bestimmenden Bildelemente am Anfang dieser Inszenierung. Der Spiegel zerbricht alsbald in Stücke - ein früher Hinweis auf ein nicht allzu glückliches Ende, aber auch auf vielfach gebrochene Perspektiven. In vielen Szenen sieht man das Meer, mal ruhig und mal aufgewühlt, und teilweise aufgesplittert in den Bruchstücken des Spiegels. Ausstatter Gary McCann und die für die raffinierten Video-Projektionen zuständige Gruppe Silbersalz Film haben beeindruckende Bildlösungen gefunden für die Inszenierung von Paul Carr, die immer wieder den Blickwinkel Sentas einnimmt. Mädchen sollten nicht so viele Schauerromane lesen: Senta mit Buch (Foto: Nienke Ellenbaas)
Schon zur Ouvertüre sieht man die junge Frau mit einem Buch, worin sie sicher die Geschichte vom "fliegenden Holländer" nachliest, und das zeigt die Doppelbödigkeit der Inszenierung zwischen Realität und Schauermärchen. Mit dem braven und hier durchaus zupackenden Erik verlobt, lässt sich das Drama auch als Panikattacke Sentas vor der bevorstehenden und bestenfalls halbherzig gewünschten Hochzeit verstehen. Die Spinnstube des zweiten Aufzugs deutet Carr, als arbeiteten die Mädchen auf ihre Bestimmung zur Brautschaft hin, passend um in ein Atelier für Brautkleider, in Schräglage und mit Panoramafenstern zum Meer, das doch wie hinter Gittern sehr fern scheint. Die Frauen tragen überwiegend hübsche, ein wenig bieder anmutende Kleider wie in den 1960er-Jahren, als Heiraten die höhere Bestimmung der Frau war; die Herren bekommen, je nach Situation, wetterfeste Seemannskleidung oder Anzüge. Das sieht nach einer nicht allzu fernen Vergangenheit aus, an die man sich noch gut erinnert. Der Holländer ist eher nicht von dieser Welt, sondern eine Märchengestalt mit langen zotteligen Haaren, assistiert von sechs Tänzern von ganz ähnlichem Aussehen. Carr hält geschickt offen, ob das nun Visionen oder reale Erscheinungen sind - man kann die Inszenierung psychologisch deuten, aber auch ganz naiv auf sich wirken lassen, und diese Mehrgleisigkeit des Erzählens ist für eine Tourneeproduktion, die in verschiedenen Theatern mit entsprechend unterschiedlichem Publikum gezeigt, kein schlechter Ansatz. Treffen der Seeleute (erster Aufzug): Unten links Daland, rechts der Holländer (Foto: Hans van den Bogaard)
Zwar bewegt sich dieses psychologische Deutungsmodell in wenig überraschenden Bahnen, es ist aber weitgehend schlüssig. In den starken Momenten finden Carr und sein Team elegante Bühnenlösungen, so für den ersten Auftritt der norwegischen Seeleute in einer Balkenkonstruktion, in der man genug Schiff erahnt, um die Geschichte bruchlos zu verstehen, und die gleichzeitig abstrahiert und vor übermäßiger Seefahrerromantik schützt. Im dritten Akt gelingt es, mit den sechs Tänzern ausreichend schauerliche Atmosphäre zu erreichen, und die Videoprojektionen sorgen ohnehin für eine dichte Atmosphäre. In den weniger gut gelungenen Momenten erliegt Carr einem Hang zum Dekorativen und auch zum Kitsch. Mitunter ist die Choreographie der Tänzergruppe allzu klassisch und allzu banal geraten, Projektionen von Feuer wirken unangemessen pathetisch, und missglückt ist das Finale mit dem Rückgriff auf den später von Wagner ergänzten Erlösungs-Schluss: Da sieht man Senta, die sich zuvor mit Eriks Jagdmesser erstochen hat, in den Armen des Gespenster-Holländers - ein keineswegs ironisch gemeinter Märchenschluss aus ziemlich abwegigen Fantasy-Welten. Das tragische Ende der ersten Fassung - ohne Erlösung - wäre weitaus konsequenter. Aus der Spinnstube ist hier ein Atelier für Brautkleider geworden (Foto: Hans van den Bogaard)
Die handwerklich sehr ordentliche Regie arrangiert Sänger und Chor akustisch durchweg günstig, was sicher seinen Anteil am erstaunlich hohen musikalischen Niveau der Aufführung hat. Großartig ist der (regelmäßig für Produktionen der Reisopera verpflichtete) Chor Consensus Vocalis, der mit ebenso hoher Präsenz wie Präzision singt, durch das reduzierte Vibrato sehr klar im Klang, ungemein zupackend und trotz der für Holländer-Verhältnisse kleinen Besetzung von "nur" 48 Sängerinnen und Sängern (die sich im dritten Aufzug ja auf zwei Chöre verteilen müssen!) mit Wucht und Klangfülle. Und Aile Asszonyi singt eine verblüffend gute Senta, klangschön und jugendlich im Ausdruck und jederzeit fähig zur dramatischen Attacke. Darren Jefferey gibt einen düsteren, großformatigen Holländer; am Ende ging ihm in der hier besprochenen Aufführung ein wenig die Kraft aus, nachdem er zuvor (im sehr spannungsreich gesungenen Duett mit Senta vielleicht allzu sehr) aufgetrumpft hat. Yorck Felix Speer gibt einen sehr ordentlichen, volltönenden Daland ab, Samuel Sakker als Erik hat mit seinem "italienisch" geführten Tenor hier und da Probleme in der hohen Lage, kann aber insgesamt in der nicht gerade dankbaren Rolle durchaus Akzente setzen. Ceri Williams als Mary und Torsten Büttner als Steuermann runden das durchweg überzeugende Ensemble ab. Großes Finale (Foto: Nienke Ellenbaas)
Dirigent Benjamin Levy ist ein umsichtiger, flexibel reagierender musikalischer Leiter, der mit dem recht guten Nord Nederlands Orkest eine dramatisch zupackende Interpretation liefert, immer wieder klangmalerisch illustrierende Effekte sucht - das passt gut zur bildmächtigen Regie. Wenn der Regisseur Wagners Partitur als tolle Filmmusik bezeichnet, ist das ja nicht falsch, und in diese Richtung geht auch Levys Dirigat - mit viel Sinn für die unmittelbare Dramatik. Einhelliger Jubel im leider nicht ganz voll besetzten Theater De Spiegel in Zwolle.
Eine musikalisch ausgezeichnete, szenisch nicht revolutionäre, aber mit ein paar Abstrichen ansehnliche Produktion. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Licht
Video
Choreographie
Solisten
Daland
Senta
Erik
Mary
Der Steuermann Dalands
Der Holländer
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