Ungarische Staatsoper : Im glitzernden Tränensee
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Alles innerpsychisch, auch die Türen, die kurz symbolisch als Narben am Körper Blaubarts sichtbar werden: Szene aus der Budapester Produktion Bild: Valter Berecz
Die Ungarische Staatsoper feiert mit Péter Eötvös das Jubiläum von Bartóks „Herzog Blaubarts Burg“. Doch wirklich überzeugen konnte das Konzept nicht.
Die Anzahl kürzerer Werke, die mit Béla Bartóks epochalem Einakter „Herzog Blaubarts Burg“ für abendfüllende Aufführungen kombiniert wurden, ist groß: Schönbergs Monodram „Erwartung“ steht wohl an erster Stelle der Paarungen, aber auch Strawinskys „Oedipus rex“ oder Bartóks „Wunderbarer Mandarin“ wurden schon zusammen mit der Maeterlinck-Vertonung gezeigt. Den Vogel schießt derzeit die Leipziger Oper ab durch die Ergänzung von „Blaubart“ mit Leoncavallos „Pagliacci“. All den Kombinationen ist gemein, dass keines der Stücke so recht zu Bartóks impressionistisch angehauchter Musik auf den dunkel-symbolistischen Stoff passen will.
Deshalb schrieb der ungarische Komponist Péter Eötvös 2014/15 eine Kurzoper, die sowohl vom Sujet als auch vom Musikalischen her Bartóks Einakter sinnvoll ergänzen soll. Der Stoff stammt aus Alessandro Bariccos Novelle „Senza sangue“, die dem Einakter auch den Titel verlieh. Geschildert wird in dem italienischen Libretto, das Mari Mezei ähnlich enigmatisch gestaltete wie Béla Balázs den „Blaubart“-Stoff, die Begegnung einer Frau mit einem älteren Mann, der einst im spanischen Bürgerkrieg, als die Frau noch ein Kind war, ihren Vater erschoss. Eine Konfrontation zwischen Mann und Frau wie im „Blaubart“, nur scheint in „Senza sangue“ Letztere die deutlich besseren Karten zu haben als Judit, der bei Bartók die ewige Finsternis droht. Dass die Frau in Eötvös’ knapp dreiviertelstündigem Einakter am Ende mit dem Mörder ihres Vaters in unzweideutiger Absicht ein Hotelzimmer aufsucht, ist eine letzte rätselhafte Volte des Stücks – das Opfer identifiziert sich mit dem Täter.
An der Ungarischen Staatsoper in Budapest hatte „Senza sangue“ exakt am Tag der hundertsten Wiederkehr der Uraufführung von „Herzog Blaubarts Burg“ gemeinsame Premiere mit Bartóks Einakter. Dass nur Letzterer wirklich szenisch dargestellt und „Senza sangue“ bloß mit einigen Videos bebildert wurde, ist eines von vielen Budapester Rätseln. Denn nur eine konsequente szenische Verknüpfung könnte die innere Gemeinsamkeit der beiden Stücke schlüssig sichtbar machen. Musikalisch war der Bezug jedenfalls ähnlich deutlich wie bei der szenischen Hamburger Uraufführung von „Senza sangue“ im November 2016 – trotz des akustisch problematischen Erkel-Theaters, wohin die Budapester Oper wegen der Renovierung derzeit ausweichen muss. Eötvös, der die Aufführung selbst leitete, verwendet bis auf die Orgel ein identisches Instrumentarium wie Bartók in „Blaubart“ und orientiert sich auch stark an dessen dunkler Grundierung. Ohne falsche Anbiederung und ohne Allusionen zu verwenden, gelingt es Eötvös einen Einakter zu komponieren, der feine Grauschattierungen zeichnet, gelegentlich auch grellweiß aufleuchtet und somit eine ähnlich düstere Atmosphäre verbreitet wie der anschließende „Blaubart“.
Musikalisch wurde auch Bartóks Kurzoper unter der Leitung von Eötvös ein Ereignis. Detailgetreu schlüsselt der Ungar die Partitur auf und hebt genau und behutsam jede wichtige Stimme hervor. Deutlich akzentuiert Eötvös deren Nähe zum Impressionismus, aber auch zur ungarischen Volksmusik und deren Melodik, die er gesanglich rund verströmen lässt. Hinzu kommt die große innere Ruhe, mit der Eötvös das Orchester der Ungarischen Staatsoper dirigiert, was vor allem den See der Tränen geheimnisvoll aufblitzen lässt.
Von den wechselnden Gesangspaarungen konnte jene von „Senza sangue“ stärker überzeugen: Die Mezzosopranistin Andrea Mélath singt eine resolute, dunkel timbrierte Frau; der Bariton Csaba Szegedi einen erschrockenen und um Fassung ringenden Mann, der mit rundem Legato beeindruckt. In Bartóks „Blaubart“, der im ungarischen Original unter dem Titel „A kékszakállú herceg vára“ gesungen wurde, sind wegen des Regiekonzepts zwei bereits etwas ältere Sängerinnen besetzt. Denn der dänische Regisseur Kasper Holten zeigt Blaubart und Judit als Ehepaar, das am Ende des Lebens noch einmal Stationen seiner Beziehung vorüberziehen lässt. Die verdiente Ildikó Komlósi, die ihren stimmlichen Zenit wohl überschritten hat, musste sich im Gegensatz zum sattelfesten András Palerdi oft in überzeichnende Vibrati flüchten.
Blaubart ist bei Holten ein Maler, der sich ungeachtet seiner Berühmtheit jedes Mal quälen muss, wenn er ein neues Bild zu malen anfängt. Dementsprechend ließ sich Ausstatter Steffen Aarfing vom Malersaal in den Werkstätten der Budapester Oper inspirieren: ein offener, hoher Raum, durch dessen seitliche Schlitze mehr Licht dringt, als in den Burgen, die bei „Blaubart“ üblicherweise gezeigt werden. Alles ist ins Innerpsychische verlegt, auch die Türen, die kurz symbolisch als Narben am Körper Blaubarts sichtbar werden. Auf dem Höhepunkt zündet Blaubart seine Bilder an (als Symbol für die fünfte Türe), und Judit erblickt am Ende anstelle der vielen Frauen Blaubarts sich selbst im Spiegel in verschiedenen Lebensstadien. Wirklich überzeugen konnte dieses Konzept nicht, enttäuschender war aber die vertane Chance, die gelungene Kombination von Bartóks mit Eötvös’ Einakter auch szenisch schlüssig zu zeigen.