Eine Fürstin, die einst den Neffen ihres mittlerweile verstorbenen Mannes abgewiesen hatte, der daraufhin enterbt wurde und zum Zirkus gehen musste; dazu ein in seiner Ehre gekränkter Prinz mit einem Racheplan und zu guter Letzt ein ziemlich konstruiertes Happy-End. Inhaltlich ist Emmerich Kálmáns Zirkusprinzessin, selbst an Operettenstandards gemessen, reichlich absurd. Und auch das Libretto wartet mit Stilblüten beziehungsweise Belanglosigkeiten – so liegt der Iwan am Diwan und „amour” reimt sich zwangsläufig auf „nur” – en masse auf, die gut und gerne aus der Feder von Dieter Bohlen stammen könnten. Dass das Werk trotzdem immer noch ein Hit ist, liegt einzig und alleine an den unglaublich süffigen Melodien, die der Komponist geschaffen hat und die unter der Leitung von Dirigent Karsten Januschke herrlich erblühten.

Das Orchester der Wiener Volksoper stellte sein gutes Gespür für Walzerseligkeit unter Beweis und kostete die leichten Verzögerungen der Musik wunderbar aus. Besonders die Streicher legten viel Seele in ihre Gestaltung und Januschke spornte seine Musiker immer wieder zu halsbrecherisch feurigen Tempi, aber auch zu abgestufter Dynamik und wortwörtlich leiseren Tönen in melancholischeren Momenten an. Die Koordination zwischen Orchester, Solisten und Chor funktionierte dabei stets einwandfrei, wobei beinahe alle Sänger auffallend häufig und intensiv den Blickkontakt zum Dirigenten pflegten, was sich in einer sehr harmonischen Gesamtwirkung, vor allem hinsichtlich der dynamischen Gestaltung und der donaugewellten Verzögerungen, widerspiegelte.

Eine sichere Bank in der Operettensparte der Volksoper ist Ursula Pfitzner, die darstellerisch eine auffallend selbstbewusste und unabhängige Fürstin Fedora Palinska war. Zwar neigte die Stimme in der Höhe, im Besonderen im Forte, zu flackernder Schärfe, in der Mittellage hingegen schmiegte sich der kühl timbrierte Sopran sehr geschmeidig an Kálmáns Musik und harmonierte gut mit der Stimme ihres Bühnenpartner Szabolcs Brickner. Der ungarische Tenor konnte bereits in der Auftrittsarie des Mister X alle Trümpfe ziehen und mit strahlenden Höhen verschwenderisch die „zwei Märchenaugen” besingen. Genau so muss, zumindest für meinen Geschmack, ein Operettentenor klingen: ein leicht melancholisches, slawisches Timbre, die richtige Dosis an Rubato, durch das die charakteristischen Donauwellen entstehen und dazu eine überaus wortdeutliche Textgestaltung.

Blasiert und arrogant legte Kurt Schreibmayer den in sinem Stolz gekränkten Prinz Sergius Wladimir an, der Mister X zur Intrige anstiftet, vermochte dabei aber insgesamt wenige Akzente zu setzen. Für eine rollenadäquate vokale Leistung und vor allem eine große Portion Wiener Schmäh sorgte Jakob Semotan in der Rolle des Toni Schlumberger, der sich ebenso unbeholfen wie selbstbewusst durch den Zirkus und den russischen Adel manövrierte und dabei von Fettnapf zu Fettnapf schliderte. Der Hotelierssohn läuft oftmals Gefahr, zu einer nervigen Schablone zu verkommen, Semotan wirkte aber so authentisch in seinem Spiel, dass man nicht anders konnte, als den Charakter ins Herz zu schließen. Verhältnismäßig blass blieb an seiner Seite die Miss Mabel Gibson von Elisabeth Schwarz, die, außer mit ihren Spitzentönen, immer wieder Probleme hatte, über das Orchester zu kommen und nicht so richtig mit der Rolle zu verschmelzen schien. Aus den kleineren Partien stachen vor allem Herbert Steinböck als herrlich grantelnder Oberkellner Pelikan mit Seitenhieben gegen die schwarz-blaue Regierung und die resolute Carla Schlumberger von Elisabth Flechl hervor, die sich mit einer Liebeserklärung an Wien auch gesanglich gut in das Ensemble einfügten. Darstellerisch harmonierten ohnehin alle Sänger sehr gut, positiv zu erwähnen ist auch die hohe Wortdeutlichkeit aller Beteiligten – sowohl in den Gesangspassagen als auch in den Dialogen, die glücklicherweise nicht nur zu reinem Füllmaterial zwischen den Arien und Duetten verkamen, sondern spürbar gleichwertig behandelt wurden.

Zur Inszenierung gibt es nicht viel zu sagen, Regisseur Thomas Enzinger ließ zu Beginn den gealterten Zirkusdirektor in die verfallende Manege zurückkehren, wo er einem Wache haltenden Soldaten der roten Armee auf dessen Drängen hin schließlich von der Glanzzeit des Zirkus und der Liebesgeschichte zwischen Fedora Palinska und Mister X erzählt. Optisch erstrahlten Bühne und Kostüme in klassischem Operetten-Design, in bunten Farben mit einem Hauch von Glitzer. Als Draufgabe sorgten die Akrobaten des Duo Aquarius mit atemberaubenden Einlagen für ein authentisches Zirkusgefühl. Die sängerische Qualität war an diesem Abend zwar nicht immer ganz makellos, aber die Pointen saßen, die Inszenierung lieferte zauberhaft charmante Bilder und bei Kálmáns Musik stellt sich beschwingte Operettenseligkeit ohnehin von ganz alleine ein.

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