Im Schulturnsaal streifen Elfen umher, werden junge Leute per Zauberstaub in Liebesnöte gebracht, und doch haben wir es nicht mit einer neuen Folge von Harry Potter zu tun, sondern mit Damiano Michielettos Inszenierung von Brittens A Midsummer Night's Dream und über die Inszenierung der hundertsten am Theater an der Wien gegebenen Oper durfte man staunen.

Michielettos Regiearbeiten für das Haus – Rossinis Otello 2016 und Puccinis Il trittico 2012 – werden vielen noch in angenehmer Erinnerung sein, und auch die aktuelle Realisierung des Sommernachtstraums in Brittens musikalischem Zaubergewand kommt beim Publikum bestens an. Anders als zu Shakespeares Zeiten trifft man junge Leute heutzutage ja eher in Bildungseinrichtungen denn im Forst an, also warum nicht den originalen Handlungsort (ein Wald vor Athen) zugunsten einer englischen Schule aufgeben, wo sie in Schuluniform und weißen Kniestrümpfen Frühlingsgefühlen nachgeben? So weit, so nachvollziehbar, aber es muss doch recht viel gekünstelt werden, um diese Idee fortzuführen – schließlich braucht man eine Erklärung, warum der Turnsaal zur Elfenwelt mutiert, und welche Rolle Puck darin spielen soll.

Michieletto hat letzteres Problem gelöst, indem er Puck als traumatisiertes Kind zeigt. Aber scheinbar kümmert sich keiner um den Buben, denn anders lässt es sich nicht erklären, dass er nachts in der Schule bleibt und niemandem fehlt. Vermutlich hat er auch keine oder eine unfähige Kinderpsychologin, denn er erträumt sich eine Feenwelt, in der Oberon und Tytania Papa und Mama sind, die bei einem Autounfall am Weg zur Schule ums Leben kamen, während er selbst auf dem Rücksitz saß. Die Sache erschließt sich aber nicht nur Puck gegen Ende, nachdem man den letzten gemeinsamen Morgen des einsamen Problemkindes mit seinen Eltern in Videoeinspielungen zu instrumentalen Stellen der Partitur erlebt hat.

Immerhin geht die solcherart mit Tragödie verquickte Komödie gut aus: Erst als ein paar postpubertäre Kerle Pyramus und Thisbe als grandiosen Schwank auf der schuleigenen Theaterbühne aufführen und sich Pyramus ersticht (sein Schwert dürfte eine weiß gestrichene Laubsägearbeit sein), streift Puck die Erkenntnis, dass Oberon und Tytania seiner Fantasie entspringen. Sie verabschieden sich von ihm, und der Kleine hat hoffentlich sein Traum bewältigt. Leider geht derlei nicht ohne Tränen, und auch die Großaufnahme der Toten im Autowrack hinterlässt einen bitteren Beigeschmack, die zum Sommernachtstraum nicht recht passt. Der Kritik, ein sensibles Thema für billige Unterhaltung zu missbrauchen, kann sich Michieletto immerhin entziehen: Erlösung durch Kunst, und sei es nur eine tollpatschige Schüleraufführung, ist immerhin ein nobles Thema.

Wie es dazu kommt, dass Pucks Fantasie auf reale Personen (Hermia und Lysander, Helena und Demetrius, und nicht zuletzt Bottom aus der Neigungsgruppe Bühnenspiel) reale Auswirkungen hat, wird der Regisseur vielleicht selbst nicht erklären können. Wenn er sich darauf verlassen hat, das Publikum mit von der Decke wachsenden Leuchtstäben, Bühnennebel und fluoreszierendem Zauberstaub hinreichend abzulenken, hat er jedoch richtig kalkuliert. Es macht Eindruck, wenn sich Bottom in eine riesige Ausgabe von Pucks Kuschel-Esel verwandelt und von Tytania ein loses Knopfauge angenäht bekommt.

Die Personenregie ist exzellent ausgearbeitet und lässt den sommernächtlichen Tumult und Klamauk unter Jugendlichen sehr natürlich wirken; auch der Sprachcoach (Stephen Chaundy) hat ganze Arbeit geleistet und allen Shakespeare-English in den Mund gezaubert. Allen voran begeistert in dieser Disziplin die kleine, zierliche und quirlige Maresi Riegner in der Sprechrolle des Puck. Zusätzlich schafft sie es, wie ein rund Zehnjähriger zu intonieren – fast meinte man, einen besonders Begabten der St. Florianer Sängerknaben vor sich zu haben; letztere verdienen sich für Ihre tolle Leistung zu später Stunde natürlich auch größtes Lob.

Nachdem A Midsummer Night's Dream aufgrund des zahlreichen Personals eine Ensembleleistung ist, darf man pauschales Lob für alle aussprechen, wiewohl man natürlich nicht umhinkommt, einige Partien hervorzuheben: Bejun Mehta ist ein stimmschöner und intonationssicherer Oberon; die Hymne aller Countertenöre („ I know a bank where the wild thyme blows“) gelang ihm an diesem Abend überirdisch schön. Tytania passt perfekt zu Daniela Fally, die in ihrem ersten Engagement an diesem Haus Oberon eine strenge Ehefrau und dem Kuschel-Esel eine schmeichelnde Geliebte ist. Natalia Kawalek (Hermia) und Mirella Hagen (Helena) gehen nicht nur stimmlich aufeinander los – bei dem feschen Streitgrund (Rupert Charlesworth als Lysander und Tobias Greenhalgh als Demetrius) kein Wunder. Die gestrenge, aber pädagogisch unbegabte Frau Lehrerin Hippolyta (anforderungsgemäß robust: Ann-Beth Solvang) turtelte mit Kollegen Güneş Gürle, der als Theseus stimmliche und erzieherische Kompetenz zeigte. Die dankbarste Partie hatte der stimmgewaltige Bass Tareq Nazmi; seine grandiose Darstellung des Tölpels Bottom sorgte für viele Lacher. Aus der launigen Theatertruppe seien zusätzlich deren Chef Quince (Lukas Jakobski) sowie der kaugummi-kauende, bemüht falsch singende Andrew Owens (Snout) hervorgehoben.

Am Pult der Wiener Symphoniker stand Antonello Manacorda. Die Genannten bildeten mit Michieletto schon beim erwähnten Otello ein gut eingespieltes Team, und diese Zusammenarbeit hat sich positiv weiterentwickelt (zumal den Symphonikern Britten besser liegt als Belcanto) – die feingliedrige, interessant instrumentierte  Partitur leuchtete in ihrer ganzen Farbenpracht und gab wie der Abend insgesamt Anlass zu viel Jubel.

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