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Der Tod tanzt mit

Dieser Blick sagt alles. Während Don José versucht, Carmen seine Liebe zu beteuern, sie glühend anfleht, ihm zu glauben, steht sie nur da und blickt über das Publikum ins Leere. Sie gaukelt dem Soldaten Teilnahmslosigkeit vor, Stolz. Doch in ihr drin, da brodelt es. Da ist Sehnsucht nach Nähe und gleichzeitig die Gewissheit, ebendiese nicht ertragen zu können. Ihr wird am Ende nur der erlösende Tanz mit dem Tod bleiben. All das liegt jetzt schon in ihrem Blick, und im nervösen Zucken der Mundwinkel. Das Publikum sieht es, Don José bekommt nur die Abweisung zu spüren.

Ist Carmen die grosse Manipulatorin, die heimliche Romantikerin, oder weiss sie gar nicht, was Liebe ist? Diese Fragen wirft die Oper «Carmen» von Georges Bizet auf. Stephan Märki, Intendant von Konzert Theater Bern, geht in seiner Inszenierung, die am Samstag am Stadttheater Premiere feierte, noch einen Schritt weiter und fragt: Sind wir nicht alle ein bisschen Carmen? Jede Frau auf der Bühne – auch die Gegenspielerin Micaëla – trägt die gleiche Frisur wie Carmen, ist ähnlich gekleidet. Der Kinderchor besteht aus gleichgeschalteten Schönheitsköniginnen im Carmen-Miniaturformat.

Nicht stolz, sondern tragisch

«Carmen», uraufgeführt 1875 in Paris, war in Bern schon länger nicht mehr zu erleben – zum letzten Mal vor vierzehn Jahren in der Ära von Eike Gramss. Die Berner Carmen 2018 ist keine stolze Verführerin im Volantrock, sondern eine tragische Figur im Hosenanzug. Die Mezzosopranistin Claude Eichenberger arbeitet das Innenleben der Carmen eindrücklich heraus: Sie zeigt eine Frau, die ihr Glück nicht finden wird. Und die das auch weiss. Die andere kontrolliert, um selbst nicht die Kontrolle zu verlieren. Eichenbergers Stimme ist in jeder Lage funkelnd intensiv, einnehmend gerade in den leisen, gebrochenen Tönen. Dazu kommt ihr darstellerisches Können: Ebenso überzeugend, wie sie die Carmen singt, spielt sie sie auch. Und das raumfüllend.

In ihr drin, da ist Sehnsucht nach Nähe und die Gewissheit, ebendiese nicht ertragen zu können.

Der Gegenpart einer solchen Carmen ist nicht Don José, sondern der Tod. Da ist es nur logisch, dass ihm eine eigene Rolle zukommt. Als «Joker» ist er in der Berner Inszenierung immer dabei, verkörpert vom Tänzer Winston Ricardo Arnon, der mal mit Totenmaske, mal mit Stierkopf auftritt. Er umgarnt als eigentlicher Strippenzieher alle Figuren in diesem traurigen Spiel: Auch die bodenständige Micaëla, die eigentlich viel besser zu Don José passen würde. Auch den narzisstischen Stierkämpfer Escamillo, der Carmen ebenfalls liebt und Don José zu rasender Eifersucht treibt. Ein grossartiger Kniff auch deshalb, weil in der Musik von Bizet bereits viel dynamisch Tänzerisches steckt.

Wir sind auch Don José

Regisseur Stephan Märki schafft gemeinsam mit dem Bühnen- und Kostümbildner Philipp Fürhofer eine düstere Welt in Schwarz, Rot und Weiss. Eine grosse Spiegelwand bringt den Theaterraum – und damit das Publikum – auf die Bühne und mitten ins Geschehen. Don José sitzt zu Beginn im Publikum und wird aus der Menge von Carmen auserkoren. Wir sind also nicht nur alle ein bisschen Carmen, wir sind auch Don José. Es wird Nähe zum Publikum geschaffen, etwa mit einer schmalen Zusatzbühne zwischen Orchestergraben und Publikum. Das Spiegelmotiv taucht immer wieder auf: Kleine Spiegel funkeln an den Kostümen des Chors, und Don José ermordet Carmen am Ende nicht mit einem Messer, sondern mit einer Scherbe.

Herausragender Chor

Märki kann auf ein engagiertes Gesangsensemble und einen herausragenden Chor zählen, die seine Lesart mittragen. Elissa Huber ist eine stimmlich wie darstellerisch agile und präsente Micaëla, Xavier Moreno (Don José) und Jordan Shanahan (Esca­millo) verkörpern ihre Rollen mit Herzblut und stimmlicher Brillanz, schauspielerisch wirken sie allerdings etwas hölzern.

Gar nicht hölzern zeigt sich das Berner Symphonieorchester unter der Leitung von Mario Venzago: Mit kluger Transparenz und umsichtiger Ausgestaltung bis ins kleinste Detail führt das Orchester durch den Abend. Es gibt dem Folkloristischen eine wohltuend trockene Kontur und umschifft die Kitschfalle auch bei den «Gassenhauern» souverän.

Gibt es also überhaupt etwas zu mäkeln an dieser klugen und stringenten Inszenierung? Wenn, dann höchstens den Hang zur Überfrachtung. Das zu viel an Ideen. Auf die übergrossen Videoprojektionen beispielsweise, auf denen man Carmen mal lasziv rauchend, mal als Torrera sieht, hätte man auch verzichten können. Nicht nötig, dort nachzudoppeln, wo ein Blick schon alles sagt.

Weitere Vorstellungen: Bis 21. Juni, Stadttheater, Bern.