Düsseldorf Alles muss man selber machen

Düsseldorf · Axel Kober dirigierte, Dietrich Hilsdorf inszenierte Richard Wagners "Siegfried" im Düsseldorfer Haus der Deutschen Oper am Rhein.

Im Privaten war das Genie Richard Wagner bekanntlich ein schlimmer Finger, was auf die Verwandtschaftsverhältnisse im "Ring des Nibelungen" voll durchschlug. Kaputte Familien, Lügen und Ehebruch, wohin man schaut. Kein einziges seiner vielen Kinder hat Wotan mit Gemahlin Fricka gezeugt. Die inzestuöse Liebe von Zwillingen trägt sündige Frucht. Und bevor der jugendliche Held Siegfried ausgerechnet mit seiner Tante Brünnhilde eine Verbindung eingeht, wird er von einem Zwerg namens Mime großgezogen, der ihm "Vater und Mutter zugleich" sein will. Ein Tollhaus.

Wie Siegfried ist dieser Mime ein Tenor, aber durch viele Produktionen muss er sich wie eine Miniaturausgabe, wie eine Karikatur mit Piepsstimme winseln. Auch Cornel Frey in Dietrich Hilsdorfs Düsseldorfer "Siegfried"-Inszenierung muss sich fortwährend krümmen und ducken, ein Rumpelstilzchen mit lebhaftester Mimik, das sich im Heimkino Videoszenen seines früheren Lebens anschaut, flackernde Gewaltphantasien, zu denen er sich im Frisörstuhl windet. Seine Schmiedekompetenz ist erloschen, stattdessen fertigt der Hänfling Abbilder seiner selbst - nämlich Gartenzwerge, die an der Wand in Reih und Glied aufgestellt sind.

Freys stimmliche Kompetenz aber adelt den spillerigen Mime als Persönlichkeit. Durch die monströse Partie singt er sich mit einer wendigen Präzision sondergleichen, mit Nachdenklichkeit und etlichen Feinheiten, er schärft die Deklamation und unterläuft Spitzentöne nicht, sondern stellt sich ihnen mannhaft - und siegreich. Seine vokalen Begegnungen mit Siegfried sind Duelle auf Augenhöhe.

Körperlich spielt dieser Siegfried von Michael Weinius natürlich in einer ganz anderen Liga. Er ist ein Brocken, dessen gefährliche Langsamkeit indes regelmäßig explodiert, auch in grandios strahlenden Spitzentönen. Diese tolle Stimme haut nichts um, vor allem nicht das expressive Dauerfeuer der großartigen Düsseldorfer Symphoniker unter dem umsichtigen und zugleich energischen Axel Kober. Sie führen ihren "Siegfried" nicht wie ein Kammerspiel auf, sondern wie das leibhaftige Donnerwetter. Hier müssen die Sänger dagegenhalten und bisweilen forcieren - sie können es.

Und weil zwei derartige Spitzentenöre das Level hochschrauben, kann auch Wotan (nun "Wanderer" genannt) kaum an sich halten. Auf seine letzten Tage als Aktivposten in der "Ring"-Handlung nimmt er noch mal richtig Fahrt auf. Das Herrische singt Simon Neals wunderbarer Bariton bannend aus, der Gott will sich nicht um jeden Preis beugen, auch wenn er defensiv mit dem Fahrrad daherkommt. Das bringt ihn, den Wahrer von Recht und Gesetz, übrigens in Konflikt mit der Straßenverkehrsordnung, denn auf seinen göttlichen Radwanderwegen führt er ja den baumlangen Verträgespeer am Mann, ebenso eine Jutetasche mit "W"-Aufdruck, aus der er, ein Herr von Lebensart, beizeiten Baguette und Rotwein auftischt.

Es gibt viele dieser Details, die uns Dietrich Hilsdorf als Vermittler zwischen Ernsthaftigkeit und Spaß präsentieren. Ganz stark, ja unerwartet zwingend ist der Einfall, dass Wotan die Urmutter Erda für ihren ewigen Schlaf verhüllt und auf ein Sofa am Bühnenrand schiebt - wo sie sitzen bleibt. Wenn dann ihre Tochter Brünnhilde im dritten Akt erwacht, werden beide einander einmal tief ins Auge schauen, wenn nämlich vom "Wissen" die Rede ist.

Spitzenreiter auf der Komikskala ist das Wissensquiz: Wotan lässt seinen Sparringspartner Mime auf dem Frisörstuhl brutal nach unten sausen, worauf Mime den Sitz mühsam wieder hochschraubt. Auch die Luftpumpe, mit der Mime in auswegloser Lage - er hat soeben seinen Kopf verwettet und verloren - als Friedensangebot Wotans Vorderreifen befüllt, zählt zu den heiteren Momenten. Drakonisch vollzieht sich später die Entsorgung Mimes: Siegfried ersticht ihn rücklings und zieht ihn am Fleischerhaken in die Höhe. Leider keine Geisterbahnfahrt beschert uns Riese Fafner (Thorsten Grümbel), der aus dem Bauch einer gemütlich rauchenden Dampflok auf die Bühne rollt, als Maschinist seines Besitzes ganz in Schwarz getaucht. Da macht Emma mehr Eindruck.

Einige Details wirken gar nicht, weil es immer ziemlich dunkel ist und weil permanenter Nebel die Sichtverhältnisse verschlechtert. Ausgerechnet im Schluss des dritten Aktes, da sich jeglicher Dunst lüftet, hat sogar Hilsdorf keinen Durchblick. Die Erweckung Brünnhildes ist eine quälend theaterfeindliche Aktion. Wie Siegfried da tapsig um den ausgebrannten Walküren-Helikopter (klar, den aus "Apocalypse now") schleicht, wonach Linda Watson ihre Brünnhilde wie eine steinerne Göttin vom Forum Romanum durch die Kulisse schiebt und auch so unbeweglich singt: Das macht alle Gedanken an Liebe und Furcht zunichte. Hier erleben wir zwei Heroen, die nichts miteinander anzufangen wissen.

Was sonst noch war? Hübsch der riesige Giftpilz aus Mimes Kräuterküche, eher geschmacksarm Jürgen Linns Alberich, beeindruckend Okka von der Dameraus undurchdringliche Erda und Elena Sancho Peregs zauberflötender Waldvogel.

Also musikalisch ein Abend auf oberstem Niveau. Auch die Inszenierung kann sich bei jenen Zuschauern sehen lassen, die nicht an Nachtblindheit leiden.

(w.g.)
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