Zimmermanns Oper in Nürnberg : Raufbolde beim neckischen Ringelpiez
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Die wollen nur spielen: Offiziere (Chool Seomun, Yongseung Song, Chang Liu, von links) Haudy (Tim Kuypers, Mitte), Mary (Ludwig Mittelhammer, rechts). Bild: Ludwig Olah
Zum hundertsten Geburtstag von Bernd Alois Zimmermann bringt das Staatstheater Nürnberg dessen Oper „Die Soldaten“ auf die Bühne. Die Regie von Peter Konwitschny wird schnell fertig damit.
Bernd Alois Zimmermanns monumentales Werk „Die Soldaten“ ohne Soldaten? Geht doch, sagte sich Peter Konwitschny und steckte bei seiner Inszenierung an der Nürnberger Oper die brutale Soldateska, die durch das Stück marodiert, in gediegene Anzüge. Er glaubt, dass es in Zimmermanns opus summum heute gar nicht mehr um Soldaten geht, sondern um das „Soldatische im Menschen“, und das steckt seiner Meinung nach vor allem in Körpern von Bankern, Spekulanten und skrupellosen Geschäftsleuten. Es seien gar keine Kriege mehr nötig, die Zerstörung der Welt würden allein schon „ungeheuerliche Börsenspekulationen“ besorgen. Konwitschny hat es geschafft, selbst das monströseste, ungefügigste Musiktheaterstück des zwanzigsten Jahrhunderts in das Prokrustesbett seiner obsessiven Kapitalismuskritik zu zwängen.
Soldaten seien in der Öffentlichkeit gar nicht mehr sichtbar, es gebe ja auch keine Garnisonsstädte mehr, meinen Konwitschny und sein Nürnberger Produktionsteam. Das stimmt natürlich, ist aber nur die halbe Wahrheit. Die Gefahr, den Weltuntergang mit einem – vielleicht auch nur versehentlich ausgelösten – Atomkrieg heraufzubeschwören, wie es Zimmermann am Ende seiner Oper andeutet, ist heute vielleicht sogar noch größer als im Uraufführungsjahr 1965. Das Fernsehen liefert zudem aus dem Nahen und Mittleren Osten täglich Bilder von brutalen Soldatenhorden, wie sie der Komponist im Zweiten Weltkrieg erlebt hat. Und: Selbst in den deutschen Kasernen gibt es immer wieder skandalträchtige Vorkommnisse.
Zimmermann war kein unpolitischer Mensch, aber er hat sich nie von einer ideologischen Strömung vereinnahmen lassen. Sein Weltuntergangstheater geht an die Grundfesten menschlicher Existenz. Konwitschnys „Wirtschaftssoldaten“, wie er die Angehörigen seiner Businesshorrorszene nennt, können zwar wahre Raufbolde sein, doch nimmt sich deren Rabatz eher wie neckischer Ringelpiez aus. Von einer Schichtung der Zeit, der Gleichzeitigkeit vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger Aktionen, wie es Zimmermann vorsieht, ist bei Konwitschny wenig zu erleben.
Meister lebendiger, stringenter Personenführung
Die intimeren Szenen werden auf einer fast leeren Bühne eher eindimensional vorgeführt, vor kleinen Versatzstücken wie stilisierten Wänden mit Fensteröffnungen (Bühne und Kostüme: Helmut Brade), in kurzer Folge, getrennt von Umbaupausen. Die komplexen Simultanszenen im zweiten Akt werden kurzerhand in „ein Bett irgendwo“ verlegt. Konwitschny, dem Meister lebendiger, stringenter Personenführung, gelingt es freilich, die von Zimmermann dem Drama von Jakob Michael Reinhold Lenz entnommene Kerngeschichte, den Abstieg der Hauptfigur Marie vom behüteten Mädchen mit einem „anständigen“ Verlobten in das Milieu der adligen Soldaten, pardon: der Wirtschaftssoldaten, bis hinab zur Hure, recht plausibel zu erzählen.
Für den vierten Akt, der sich durch die endgültige Auflösung von Raum und Zeit weitaus radikaler als die drei vorangegangenen Akte gebärdet, hat sich Konwitschny ein Mitspiel-Raumtheater der besonderen Art ausgedacht. Das Publikum wird nach der Pause auf die Bühne geleitet und soll dort das Finale in Zimmermanns „Zeitkugel“ erleben. Das geht leider ziemlich schief, weil Konwitschny auf die von dem Komponisten vorgeschriebenen Filmprojektionen und Tonbandeinspielungen verzichtet, die das Stück am Ende zu einem apokalyptischen Multimediadrama erweitern – eine Pioniertat Zimmermanns.