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Die Tragik weitgehend ignoriertVon Christoph Wurzel / Fotos von Ludwig Olah Ein romantischer Sternenhimmel wölbt sich über der ersten Szene am Strand von Kreta, wenn die trojanische Prinzessin Ilia den Tod ihres Vaters Priamos betrauert, der im Krieg von den Griechen getötet wurde, eben denselben Griechen, bei denen sie nun als Kriegsgefangene leben muss. Ein Gefühlschaos tobt in ihrem Inneren, denn ausgerechnet in Idamante hat sie sich verliebt, den Sohn ihres Feindes Idomeneo, der nach beendetem Krieg nun bald in Kreta zurück erwartet wird. Schon diese Ausgangslage verheißt Konflikte, zu denen der schöne Sternenhimmel einen irritierenden Kontrast bildet.Dem Sturm entronnen: Idomeneo (Ilker Aracayürek) und Chor Denn die Konflikte steigern sich noch ins Tragische, da Idomeneo, um aus einem Seesturm gerettet zu werden, gegenüber Neptun das Gelübte abgelegt hat, ihm den ersten Menschen zu opfern, dem er an Land begegnen wird. Schrecklicherweise wird dies sein Sohn Idamante sein. Und eine dritte Konfliktebene enthält das Libretto: Elektra (Elettra), Tochter Agamenons und Klytämnestras, ohnehin schon mit allerschwerster Familiengeschichte beladen, beansprucht Idamente anstelle der „feindlichen“ Prinzessin aus Troja für sich selbst. Da Idamante aber Ilia und nicht sie liebt, ist auch diese Dreieckskonstellation äußerst konfliktbeladen. Trotz einiger dramaturgischer Schwächen hat Gianbattista Varesco für Mozart hier ein eminent tragisches Opernlibretto geschrieben, dessen Geschichte nur mit Mühe gut ausgeht, da in barocker Manier ein deus ex machina für ein glimpfliches Ende sorgt, Idamante zum neuen König ernennt und mit Ilia vereint. Stoff also genug für spannende Regie, die sich mit komplexen Seelenlagen auseinandersetzen könnte oder mit der Frage, wie weit der Gehorsam der Menschen ihren Göttern gegenüber gehen soll oder darf. In Erinnerung ist noch die Aufregung um die Berliner Inszenierung von Hans Neuenfels mit den am Schluss abgeschlagenen Köpfen der Religionsstifter Jesus, Mohammed und Buddha, was seinerzeit zu heftigen islamistischen Reaktionen und sogar zur Absetzung der Produktion vom Spielplan führte. Opferszene: Idomeneo (Ilker Aracayürek) mit Chor Derart aufregend und provokativ ist die Inszenierung von David Bösch in Nürnberg nun nicht, sondern vielmehr gelinde gesagt enttäuschend. Denn statt die psychologischen oder die ethischen Fragen der Oper zu vertiefen, rettet sich der Regisseur in eine Flut von Bildern, die letztlich nur oberflächlich reizen. Angedeutet ist zwar ein Generationenkonflikt, der aber nicht weiter stringent entwickelt wird. Unter den vielen Aktionen erscheinen in Böschs Regiearbeit Figuren, die eher Schemen ähneln als wahren Charakteren. Viel wird mit Pistolen hantiert oder schnell mal eine Selbstverbrennung imitiert - Effekte, die sich allzu schnell abnutzen, da sie nicht aus der Situation entwickelt, sondern lediglich aufgesetzt wirken. Vielfach steht der szenische Aufwand in keinem Verhältnis zum geistigen Gehalt der Oper. Dass Idomeneos Minister Arbace im Rollstuhl mit Schlafanzug und Bademantel auftritt, dass zu Elettras Sehnsuchtsarie weiße Täubchen daherflattern mit einem Bändchen „Für Elettra“ im Schnabel, dass in der Szene von Idamentes Opferung gleich ein halbes Dutzend Kreuze hochgezogen werden: allzu plakativ sollen wir zur Erkenntnis gebracht werden (zudem im letzten Fall mit fragwürdiger Konnotation). Per Video werden die Vorgeschichte der Oper (zur Ouvertüre ein Comic als Kinderzeichnung) und Elettras Familiengeschichte (die komplette Ahnengalerie) präsentiert, am Schluss torkelt der durch höhere Gewalt abgesetzte Idomeneo mit Whisky-Flasche auf die Bühne, um sich sogleich zu vergiften. Und zu Elettras Wutarie, die übrigens von Mozart kurz vor der Uraufführung wieder gestrichen wurde, kommt gespensterhaft als Geist ihr Bruder Orest mit jenem Beil vorbei, mit dem er (allerdings in einer anderen Tragödie) die ehebrecherische Mutter mit ihrem Liebhaber einst im Bade erschlug. Hier nun schlitzt sich damit die Schwester die Pulsadern auf. Alles Bilder von recht erwartbarer Evidenz, deren Bühnenmagie sich allerdings in Grenzen hält, zumal sie in der Manier trivialer Leinwandmovies daherkommen. Solcher Regiestil wird in Amerika abschätzig als German trash bezeichnet. Elettra ( Leah Gordon) und Orest (Statist) mit dem Beil In der Premiere mühten sich die Sängerdarsteller redlich bei allem Aktivismus mit dem Gesang Schritt zu halten. Nicht allen gelang das optimal, Alex Kim als Arbace stolperte sich durch seine einzige Arie und selbst der ansonsten tadellos singende Ilker Aracayürek in der Titelrolle kam bei allem Herumgetobe trotz robuster Tenorstimme in den Koloraturen seiner zweiten Arie “Fuor del mar ho un mar in seno” unter Druck. Stimmschön aber gelangen ihm die leiseren, sanfteren Töne. Das junge Paar wird von Ida Aldrian (Mezzosopran) als Idamente und Ina Yoshikawa (Sopran) als Ilia verkörpert, beides junge Stimmen voller Wärme und Ausdruckskraft. Der Farbenreichtum der einen, Frische und Klarheit der anderen mischten sich in den Duetten berührend zu klangschöner Harmonie. Zur Karikatur schließlich macht Bösch die Figur der Elettra, der er keinerlei tragische Seite gewährt, sondern ihr nur die wütend gestikulierende Furie oder die verliebte Naive erlaubt. Leah Gordon sang diese Rolle mit viel Pathos und fast schon zu großer Stimme wie eine Strauss-Heroine. Auch singt der Chor stellenweise nicht homogen und wenig weich. Idomeneo (Ilker Aracayürek) und Idamente (Ida Aldrian) Marcus Bosch am Pult legte ein ziemlich rasches Tempo vor, an sich für Mozarts geniale Sturm-und-Drang-Oper nicht unpassend. Hier ging dies allerdings zu Lasten der musikalischen Empfindung; so ließ er im Abschiedsquartett des 3. Akts wenig Raum für Mozarts große Empathie mit den Figuren: “Soffrir più non si può - zu schwer ist diese Pein” - allzu forsch dirigierte er über diese Gefühle hinweg. Mehr abgeschwächte Dynamik und vor allem mehr piano im Orchester hätten die musikalischen Farben sicherlich mehr zum Leuchten gebracht. Auch die zarte Lyrik jener Arie, in der Ilia zu Beginn des 3. Aktes die “linden Lüfte” als Liebesboten anruft, litt erheblich unter der ungeduldig davon eilenden Orchesterbegleitung. Der erste Satz von Mozarts kleiner g-Moll-Sinfonie als Zwischenaktmusik vor dem 2. Akt wirkte regelrecht durchgepeitscht. Insgesamt klangen die Streicher an zu vielen Stellen scharf und kalt, den Hörnern hätte ein weicherer Ansatz ebenfalls gut getan. Dagegen brillierten die Flöten in ihrer Tongebung. Ilia (Ina Yoshikawa) und Idomeneo ( Ilker Aracayürek) Diese
Opernpremiere firmiert in Nürnberg als Koproduktion mit der Opera
Vlaanderen Antwerpen. Allerdings hat David Bösch zusammen mit denselben
Ausstattern 2013 in Basel bereits schon einmal Idomeneo inszeniert (siehe auch
unsere Rezension). Aber das Konzept, die Realisierung, Bühnenbild und
Kostüme weisen im Vergleich mit der „neuen“ Antwerpener bzw. Nürnberger
Produktion nur wenige neue Ideen auf. Besonders auffällig das
Meerungeheuer als hässliche Krake. Offensichtlich haben der
Regisseur und das Ausstatterteam ihre alte Produktion aus Basel
mindestens zum Teil recycelt. Schade drum - neue Ideen hätten
mehr erfreut.
Das
aufgewärmte Regiekonzept schmeckt eher schal. Eine ruhige
Dirigenten-Hand hätte Mozarts Musik mehr glänzen lassen. Gesungen wird
vor allem in den drei Hauptrollen ansprechend gut. |
ProduktionsteamMusikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Video
Chor
Lichtdesign
Dramaturgie
Statisterie des Staatstheaters Nürnberg
Hammerklavier Solisten
Idomeneo, König von Kreta
Idamante, sein Sohn
Ilia, trojanische Prinzessin
Elettra, Prinzessin aus Argos,
Tochter des Agamemnon
Arbace, Vertrauter Idomeneos
Oberpriester
Stimme des Orakels
Zwei Kreterinnen
Zwei Trojaner
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