Berlin. Große Premiere von „ Tristan und Isolde“ an der Staatsoper: Daniel Barenboim bejubelt, Regisseur Dmitri Tcherniakov ausgebuht.

In „Tristan und Isolde“ gibt es etwas musikalisch Legendäres: den „Tristan-Akkord“. Er erklingt gleich zu Beginn des Vorspiels und verkündete bereits 1865 bei der Uraufführung die Aufhebung der vertrauten Tonalität. Richard Wagners Akkord kann keine Erlösung finden. Der Komponist schrieb ihm vor, „langsam und schmachtend“ daher zu kommen. Daniel Barenboim färbt ihn in der Staatsoper Unter den Linden etwas anders ein. Bei ihm verströmt der Akkord viel Sehnsucht nach Stabilität, wird zur zaghaft wiederholten Frage, bevor sich die Oper in all ihren Seelenwirren verheddert.

Die Premiere ist zuerst ein Barenboim-Ereignis. Selten ist die Abstimmung zwischen der Staatskapelle und ihrem Chef so intensiv zu erleben, auch wenn die Hörnergruppe nicht den allerbesten Abend erwischt hat. Aus der detailgetreuen Ausdeutung der Partitur mag man die gemeinsamen „Tristan“-Erfahrungen heraushören. Es ist bereits Barenboims dritte Neuproduktion am Hause. Er sucht nicht nach der Wagnerschen Dauerekstase, die einen fünfeinhalbstündigen Abend in Hochspannung halten soll, sondern zeigt sich spielerisch-besonnen in der Wahl von Momentaufnahmen und Tempi.

Der betrogene König wirkt resigniert statt zornig

Seltsam mutet es aber im zweiten Aufzug an, als König Marke das hocherhitzte Paar Tristan und Isolde überrascht. Barenboim lässt plötzlich im Orchestergraben die Zeit stillstehen. Stephen Milling präsentiert sich stimmlich kontrolliert, aber seinem stattlichen Marke fehlt so alle Leidenschaft eines Betrogenen. Es klingt eher nach Resignation als nach Klage und Zorn. Die Auflösung folgt vorm dritten Aufzug, als Intendant Jürgen Flimm vors Publikum tritt und die Erkältung des Sängers entschuldigt. Im Finale steht Marke auf der Bühne, Barenboim überdeckt den Gesang mit wülstigem Orchesterklang. Auch solche Rettungsmanöver gehören zu den Tricks erfahrener Operndirigenten.

Die Premiere ist weniger der Abend des Regisseurs, der sich am Ende bejubelt und ebenso heftig ausgebuht sieht. Dabei gehört Dmitri Tcherniakov zu den derzeit angesagtesten Bühnenvisionären und die Inszenierung ist fein gedacht und bilderstark ausgearbeitet. Der Russe legt „Tristan und Isolde“ auf die rote Couch und entdeckt für sich das Psychodrama. Tristan ist der Psycho. Die Handlung verlegt der Regisseur ins Heute. Der erste Akt findet in der halbrunden Luxuslounge einer modernen Jacht statt. Jede Menge Alkoholflaschen stehen auf dem Tisch. Ein Monitor an der Wand zeigt an, wo sich das Schiff gerade befindet. Es liegt nahe, dass Tcherniakov das Bild einer Oligarchen-Jacht vor Augen hatte, jenem Hinterzimmer, in dem sich derzeit die Milliardäre und Mächtigen treffen. König Marke wartet daheim auf seine junge Braut. Die Damen tragen Kostüm, die Herren mehr oder weniger gut sitzende Anzüge. Helden sehen anders aus. Tcherniakov verweigert den Mythos.

Die Aussprache endet im heftigen Lachanfall

Der Liebestrank wird auf großflächigen Filmeinspielungen verabreicht. Man weiß nicht genau, welcher Cocktail sich in der Reiseschatulle befindet, den Isoldes Vertraute Brangäne (dramatisch ebenbürtig: Ekaterina Gubanova) mit sich führt. Und wie der Drogenrausch zustande kommt, denn Tristan und Isoldes Aussprache über Schuld und Sühne endet in einem heftigen Lachanfall der Beiden.

In Markes großer Villa treffen Tristan und Isolde im zweiten Aufzug wieder aufeinander. Der große Liebesakt fällt aus, denn zwischen den Beiden gibt es keine Liebe und wenig Sehnsucht nach Berührung. Andreas Schager ist ein gestalterisch beeindruckender Tristan. Der stimmmächtige Wagnertenor mit leicht metallischer Färbung führt einen leichtfüßigen Antihelden vor. Er verkörpert einen im Smoking tänzelnden Todessehnsüchtigen, der Isolde umgarnt, manipuliert, ja hypnotisiert, mit ihm zu gehen. Die Isolde der Anja Kampe ist ihm verfallen. Es gelingen die innigsten Momente des Abends, an dem die Sopranistin nicht immer den großen dramatischen Atem findet, aber ihrer Mammutpartie viele Zwischentöne entlockt.

Tristan durchlebt wahnhaft sein Geburtstrauma

Die ganze Szenerie erinnert schon an Wagners Lebensumstände zur Entstehungszeit der Oper. Der Komponist war seinerzeit in Mathilde, der jungen Frau seines Gönners Wesendonck verliebt, angeblich alles nur platonisch. Das Ganze endete in Verzweiflung.

Aber das seine Regiedeutung erklärende Psychoanalyse-Paket hat sich Tcherniakov für den dritten Aufzug aufgehoben. Tristans Burg ist sein Kinderzimmer. Darin durchlebt Tristan, dessen Mutter bei der Geburt verstarb, wahnhaft sein Geburtstrauma. Es sind starke und überdeutete Bilder. Der Regisseur hat dafür übrigens das Zimmermodell aus seiner ersten „Tristan“-Inszenierung am Mariinsky-Theater übernommen. Im Berliner Kinderzimmer wird allerdings nicht wie in Petersburg geschossen. Hier prügelt man sich im Dunkeln, nur ein Lichtstrahl durchdringt das Flurfenster. Bis auf Tristan überleben alle die Oper, Isoldes Liebestod fällt aus, sie verharrt wie eine sorgende Mutter an seinem Totenbett.

Staatsoper Unter den Linden, Mitte. Termine: 15., 18., 25.2.; 3., 11., 18.3.