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Es muss so sein

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Auch der fabelhaft ausgestattete Chor hadert mit dem Schicksal von Jephthas Tochter.
Auch der fabelhaft ausgestattete Chor hadert mit dem Schicksal von Jephthas Tochter. © Karl & Monika Forster

Achim Freyer legt seine eigenwillige und gutaussehende Lesart von Händels Oratorium „Jephtha“ vor.

Die nicht mehr abebbende Barockwelle hat längst auch Oratorien auf die Bühne geschwappt, Werke, die zwar nach Opernregeln funktionieren, aber nie als Musiktheater gedacht waren. Achim Freyer, dem höchst eigenwilligen Bühnenbildermaler, kommt das allerdings beides entgegen: das barocke Ambiente und das Statische.

Dass er jetzt erstmals eine seiner zwar im Prinzip vorhersehbaren, aber doch immer wieder ziemlich einmaligen Inszenierungen für das Staatstheater Wiesbaden vorbereitet hat, ist ein Coup für das Haus. Und steht Georg Friedrich Händels „Jephtha“ (1752 in London uraufgeführt) gut. Hakte es in Freyers „Ring“ am Nationaltheater Mannheim (2011–2013) daran, dass Richard Wagner Menschen auf die Bühne schickt, die hinter den Masken einfach verschwanden und zu Zeichen ohne Wunder wurden, ist Händels „Jephtha“ selbst ein so stilisiertes, ritualisiertes Drama, dass Musik und Bild sich auf halbem Wege treffen. Vom ersten Moment an lässt Freyer zelebrieren.

Mehrere halbtransparente Vorhangschichten, rhythmisiert hochgezogen, geben erst allmählich einen freieren Blick auf Podeste und eine zweite Ebene. Das Ensemble steht bereit, wuchtige Kostüme und eine fantastische Verbindung aus Maske und Schminke haben sie in große und vor allem großäugige, Bele-Bachem-äugige Holzpuppen verwandelt. Entsprechend bewegen sie sich steif und sehr langsam, aber sie bewegen sich.

Iphis, Jephthas Tochter, und Hamor, ihr Geliebter, würden sich umarmen, wenn sie nicht viel zu weit auseinander stünden. Storgè, Jephthas Frau, zeigt sich im Kassandra-Modus voller Pessimismus und Skepsis, auch wenn sie noch nicht wissen kann, wie berechtigt ihre Sorge ist. „It must be so“, heißen die ersten Zeilen, Zebul, Jephthas Bruder, ruft zur Gegenwehr gegen die Ammoniter. Krieg als einziges mögliches Mittel, zu allen Zeiten war das furchtbar. Zu allen Zeiten waren es nur einzelne, denen das von vornherein klar war. Man darf sich nicht vorstellen, dass Freyer hier etwas Neues zutage bringt. Er weiß es aber zu zeigen, mit quasi barocken Mitteln: Einer opulenten Ausstattung (an der Petra Weikert mitarbeitete), mit einfachen, großen Gesten (an denen Sebastian Sommer mitarbeitete). Die schneeweißen, schaumstoffsteifen Kostüme, teils handbemalt wie auch diverse Vorhänge und Laken – es geht kunstgewerblich zu und sieht auch nostalgisch aus – sind bald mit Blut bespritzt. Die großen Gesten bekommen bald eine hohle Note, teils grotesk – die müden Krieger kommen ja kaum noch hoch, das Kasperletheater lässt grüßen –, teils böse, wenn das leere Pathos sich in Jephthas läppischen Denkmalposen austobt.

Das möglicherweise Menschliche bleibt Figurentheater: Iphis muss erfahren, dass ihr Vater leider auf den alten (damals aber noch neuen) Märchentrick reingefallen ist und Gott als Opfer für den Sieg das erste Lebewesen versprochen hat, das ihm in der Heimat begegnen würde. Natürlich ist es die Tochter, der Freyer nun eine merkwürdige Apotheose beschert. Hingebungsvoll auch zum Sterben bereit, wenn es der Sache dient, fliegt sie im Zeitlupentempo zur Seite ab. Auch das ist ein attraktives Bild, es darf nur nicht der Eindruck entstehen, man hätte eine womöglich gar politische oder auch nur strenge Deutung vor sich.

Seltsam nämlich: Obwohl Freyer extra das Händelsche Ende abschneidet, den Angelus ex machina vermeidet, der Iphis entgegen des biblischen Textes und in heiterer Barockmanier doch noch rettet, bietet auch er eine Portion Transzendenz. Sie verschönert die Umstände eines gewaltsamen Todes doch wieder ins Harmlose. Vieles wirkt komplizierter, als es ist. Das sinnfällige Hantieren mit zauberischen Stäben – asiatische Theaterszenarien sind meistens in der Nähe, wenn Freyer inszeniert – ist doch rein dekorativ. Rituale verweisen nicht in die Tiefe, sondern an die Oberfläche. Auch das in Barocktradition.

Delikat und aus einem Guss gestaltet sich die musikalische Seite. Konrad Junghänel dirigiert das in kleiner Besetzung antretende Orchester, als hätten die Musiker nie etwas anderes getan, als eine so filigrane Musik herzustellen und ein so spektakuläres Pianissimo. Mirko Roschkowski lässt als Titelheld einen gediegenen Tenor hören, mit leichter Erschöpfung am Ende, Gloria Rehm ist eigentlich gegen ihre Gewohnheit eine sehr zurückhaltende Iphis, die immer ein bisschen klingt, als käme ihre Stimme schon aus dem Jenseits. Wie sie müssen auch der Counter Terry Wey als Hamor, der sehr sonore Bass Wolf Matthias Friedrich als Zebul und die spät, aber heftig gefragte Ann Alàs i Jové als tragische Mutter fast ständig Bühnenpräsenz haben. Hierhin wiegen, dorthin wiegen in Freyers eigenwilliger Fantasterei. Hervorragend einstudiert (von Albert Horne) der ebenfalls fabelhaft ausstaffierte Chor.

Staatstheater Wiesbaden:
7., 10., 13., 16., 22. Februar.
www.staatstheater-wiesbaden.de

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