OPER: Der Rachegott hat abgedankt

Mozart war erst 25, als er «Idomeneo» schrieb – ein Vater-Sohn-Drama. Die Neuproduktion am ­Opernhaus Zürich schwankt ­zwischen Konzentration und Unentschlossenheit. Und hat zu wenig Feuer.

Tobias Gerosa
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In keinem anderen Bühnenwerk Mozarts sind die Figuren derart innerlich zerrissen. (Bild: Monika Rittershaus)

In keinem anderen Bühnenwerk Mozarts sind die Figuren derart innerlich zerrissen. (Bild: Monika Rittershaus)

Tobias Gerosa

Die Geschichte ist nicht einfach zu inszenieren: Der kretische Feldherr Idomeneo entrinnt dem Sturm nur mit dem Versprechen, den ersten Menschen zu opfern, den er an Land triff. Das ist sein Sohn. Was dann passiert zwischen Vater und Sohn sowie den beiden feindlichen Prinzessinnen, ist primär innerlich – und ungemein packend in Musik gesetzt.

Womit beginnen? Mit dem unglaublichen Moment, als Idomeneo mit dem Finger am Abzug das verlangte Opfer vollziehen muss und die Welt und die Musik ein paar lange Sekunden einfach stehen zu bleiben scheinen? Mit der Intensität von Joseph Kaiser in der Titelpartie? Mit dem opernhaften Dolch- und Pistolenschwenken?

Zunächst gewinnt die Neuproduktion diesem frühen Meisterstück des 25-jährigen W. A. Mozart am Opernhaus Zürich sehr viel ab. Die Ouvertüre hebt unter Giovanni Antoninis Leitung federnd und pulsierend an: Hier wird mit Einsatz und hellwacher Artikulation musiziert. Man hört das gut, auch weil Dirigent Antonini oft relativ langsame Tempi anschlägt. Wenn die Oper dann aber in ihrem Sturm-und-Drang-Gestus wild wird, die Stürme dräuen, die Emotionen überkochen, wirkt die Interpretation wie mit gezogener Handbremse. War da nicht noch mehr Feuer?

Gideon Davey hat einen schlichten, schmutziggrauen Kubus ins Opernhaus gestellt, in den von hinten unten der Chor steigen kann, während die Solisten in modernen Kostümen vorne auf- und abtreten. Meist überlappen sich die Szenen: Während noch gesungen wird, kommen schon die nächsten Figuren auf die Bühne. Das stört die Musik. Vor der Pause und am Schluss heben sich die Wände. Die Bildwirkung ist gross, die akustischen Auswirkungen leider auch. Und ausgerechnet im musikalisch intimsten Moment der drei Stunden, dem Quartett im dritten Akt, wird die Bühne leergeräumt.

Dem Ende ist kaum zu trauen

Wer ist diese Stimme, die unerwartet im letzten Augenblick Neptuns Sinneswandel verkündet? In Zürich bleibt sie eine geheimnisvoll posaunenbegleitete und gekürzte Off-Erscheinung, abgehoben von den Figuren. Regisseurin Jetske Mijnssen interessiert sich für deren Verletzungen, beobachtet diese genau, bringt sie aber nicht unter den Bogen der Handlung. Der Feldherr Idomeneo leidet an seinen Erinnerungen – Joseph Kaiser zeigt und singt das eindrücklich, wären da nur nicht die enorm schwierigen Koloraturen. Elettra, die auf die Hand Idamantes (szenisch blass, aber mit reichem Mezzo: Anna Stéphany) hofft, leidet an der Geschichte ihrer Atriden-Familie, die Mijnssen gleich zweimal mit Statisten zeigt. Zum Finale interessiert sich Idomeneo überhaupt nicht für seinen geretteten Sohn und dessen bezaubernd singende Braut Ilia (Hanna-Elisabeth Müller), sondern hält die eben sehr gemässigt rasende Elettra (Guanqun Yu) im Arm, die statt dem Sohn nun halt mit dem Vater? Dem Ende ist kaum zu trauen. Das abschliessende Ballett lässt man gleich ganz weg.