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Das Meer kümmert sich nicht um unser Leid

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Fiesco, Amelia, der sterbende Boccanegra und das gleichmütige Meer.
Fiesco, Amelia, der sterbende Boccanegra und das gleichmütige Meer. © Martin Sigmund

Ein nachtschwarzer, gutaussehender und wohlklingender "Simon Boccanegra" am Staatstheater Darmstadt.

Geschmackssicher folgt die Darmstädter Inszenierung der konsequenten Düsternis von Giuseppe Verdis „Simon Boccanegra“. Die Ausstattung ist ausgesucht, die Gestensprache unaufdringlich konventionell. Die seinerzeit offensiv experimentelle Orientierung des in späten Jahren (1881, fast ein Vierteljahrhundert nach der Uraufführung der ersten Fassung) grundlegend überarbeiteten Werks wird dadurch eher indirekt spürbar. Ein Titelheld ohne fundamentale Arie gehört dazu, ein dialog- und duett-betontes Vorandrängen einer Handlung, die keine Chance auf einen guten Ausgang hat. Verdis großer Textschreiber Arrigo Boito trieb die Weltsicht der frühen Fassung noch weiter ins allgemein Nachtschwarze. Regisseur Dirk Schmeding lässt die Überlebenden, zu denen immerhin das junge Liebespaar gehört, am Schluss nicht zum zukunftsweisenden Familientableau antreten. Hände und Blicke finden sich nicht, jeder bleibt für sich in einer Trauer, deren Ende nicht absehbar ist.

Stephan von Wedels Bühnenbild setzt das Meer vor der Hafenstadt Genua vielfach und eindrucksvoll in Szene. Dessen psychedelisches Wogen im bühnenfüllenden Video (Johannes Kulz) kann die Erregung der Menge ebenso symbolisieren wie Boccanegras schlechten Zustand während seines langen, qualvollen Vergiftungstodes. Auch rückt ins Bild: Das Meer ist ewig, der Mensch hingegen von keinerlei Dauer, was dem Meer wiederum unwichtig ist.

Gemäldeartige Bilder in altmeisterlichem Chiaroscuro werden von Frank Lichtenbergs teils opulenten historisierenden Kostümen dominiert. Von Wedels Bühnenbild stellt sie vor schwarzem Grund umso mehr aus. Der Palast der Grimaldi, in dem Boccanegras verloren gegangene Tochter lebt – das ist nun wieder nach Manier der italienischen Oper verwickelt und schwer zu erklären – und der Dogenpalast sind wiederum schneeweiß. Hinter Boccanegras Platz ein kostbares Gemälde. Die Figuren wirken hier wie Freisteller, auch ist es, als sei der Raum nicht vollständig zu rekonstruieren gewesen. Das Bruchstückhafte, in der Tat deutlich in Einzelszenen zerfallende der Handlung betont das auf originelle Weise. Die Hand kluger Museumsmacher hat bereits gewaltet und die Bruchstücke elegant in Räume eingearbeitet. Die Umbaupausen für den Augenschmaus sind zum Teil länglich.

Musikalisch ist der Zugriff packend, Will Humburgs Dirigat lässt einen kernigen, dunkel grundierten Verdi auf Richard-Wagnerischen Pfaden hören. Die schockierende Selbstverfluchung des Schurken Paolo scheint direkt zwischen dem Rigoletto-Fluch und dem fatalen Speer-Eid aus der „Götterdämmerung“ angesiedelt zu sein.

Dass die Personenführung handwerklich sicher ist, aber überschaubar bleibt, erhöht die Konzentration im Ensemble und im höchst disziplinierten Chor. Die grundsoliden tiefen Männerstimmen werden angeführt vom konditionell ausgezeichneten Lucio Gallo als Boccanegra. Seokhoon Moon ist ein sehr wohlklingender Fiesco, Krzysztof Szumanski überzeugt als verschlagener Bösewicht Paolo optisch und mit angerautem, herbem Bariton auch stimmlich. Oben strahlt Sung-Kyu Park als feuriger (allerdings stets gehinderter) Rächer und Liebhaber mit einem über den Abend immer freier werdenden Tenor. Natalie Karl präsentiert die engelhafte Amelia mit Klasse. Dass die familiären Enthüllungen wie immer eine kuriose Seite haben (seine Tochter? ihr Großvater?), dämpft die Tragödie nicht. Die Premiere endete mit Jubel für alle Beteiligten.

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