Vorhang auf für die erste Donizetti-Oper im Theater an der Wien und Respekt für einen interessanten Einfall der Intendanz: Anstatt der gewohnten Rossini-Neuproduktion erlebt man in dieser Saison ein Thema der im Vorjahr gezeigten Rossini-Rarität Elisabetta, regina d‘Inghilterra aus einem anderen Blickwinkel.

Die Rede ist von der Beziehung zwischen Elizabeth I von England und Robert Dudley, Earl of Leicester, die bei Rossini durch Leicesters heimliche Heirat mit einer fiktiven Tochter von Mary Stuart herausgefordert wird, bei Donizetti gar mit der Liebe zu Mary Stuart selbst. Bei Donizetti gipfeln diese „fake news“ aus dem 16. Jahrhundert bekanntermaßen in einer von Leicester eingefädelten Konfrontationsszene zwischen den Königinnen, nach welcher die von Maria infam beleidigte Elisabettas („Figlia impura die Bolena!“) die Hinrichtung ihrer Widersacherin anordnet.

In der besprochenen Aufführungsserie wird die kritische zweiaktige Fassung von Maria Stuarda nach der Wiederentdeckung von Donizettis Autograph 1981 gezeigt, wobei im ersten Teil die Protagonisten und der historische Kontext vorgestellt werden. Nach dem Ende dieses Aktes mit der erwähnten fatalen Begegnung der Königinnen widmet sich der zweite Teil der Vorbereitung auf Marias Tod in drei großen Szenen.

Das ist, nüchtern betrachtet, wenig Handlung, fällt aber in der handwerklich genau gearbeiteten Inszenierung von Christof Loy nicht weiter auf. In seiner gewohnt kompetenten Personenregie, welche die Psychogramme der handelnden Personen exzellent herausarbeitet, lässt die Spannung nie nach. Auch der bekannt wandelbare und darstellerisch wie musikalisch überzeugende Arnold Schoenberg Chor profitiert von seiner Führung. Geglückt ist auch der Einfall, mit Gieorgij Puchalski einen Tänzer als Vertrauten der Königin zu etablieren. In Marias Beichtszene, in welcher sie die Schuld am Tod ihres Mannes und des Barden Rizzios gesteht, liegt er, stumme Anklage, reglos am Boden. Schlangenartig in ihrer Nähe kriechend symbolisiert er Gefahr; gegen Ende des Stückes kommt ihm auch die wichtige Rolle zu, die oratorienhafte Stimmung zu beenden, als er durch den hölzernen Bühnenhintergrund bricht und Elisabeth das Henkersbeil für den tödlichen Schlag reicht.

Womit wir, bei allem grundsätzlichen Lob für die Inszenierung, zur Kritik kommen: Mit diesem originellen, aber doch hanebüchenen Ende schneidet sich Loy ein gutes Stück Erfolg ab und lässt ein „miterschlagenes“ Publikum zurück.

Der Ausstattung (Katrin Lea Tag) hätte hingegen ein wenig mehr Originalität in der Optik gutgetan. Die runde und drehbare schiefe Ebene in der Bühnenmitte unterstützt durch ihre, wenn auch leicht knirschende Bewegung, grundsätzlich die Dynamik der Handlung, schneidet aber den Parkettplätzen mitunter ein wenig die Sicht ab. Begrenzt wird diese Scheibe im Hintergrund von einem raumhohen, parkettartig vertäfelten Halbrund mit dem Charme eines Sitzungssaales. Positiv ist immerhin die dadurch erzeugte Akustik – die Sänger sind auch dann gut hörbar, wenn sie in Richtung Bühnenhintergrund singen. Negativ macht sich diese nur bemerkbar, wenn Maria in ihrem ersten Auftritt Blumen verstreut und deren Plastikstängel laut auf den ebenfalls hölzernen Boden knallen.

Die Kostüme im ersten Akt sind ausladend historisierend, für den zweiten Akt hat man sich für zeitgenössischen Business- und Trauer-Look in Schwarz entschieden – dem Vernehmen nach, um auf die Emotionen zu fokussieren und diese als zeitlos zu vermitteln. Das ist zwar intellektuell nachvollziehbar, erweckt aber in Kombination mit dem nüchternen Bühnenbild eher den Eindruck, dass der Idee des Minimalismus schön langsam graue Haare wachsen und das, was vor 10, 15 Jahren noch neu und frisch gewirkt hätte, fast schon dogmatisch wirkt. Abgesehen davon hatte sich die historische Mary Stuart für ihre Hinrichtung besonders schön gemacht.

Uneingeschränkt zugestimmt kann der musikalischen Leitung von Paolo Arrivabeni werden, der das ORF Radio-Symphonieorchester Wien zu einem freundlichen Begleiter der Sängerinnen und Sänger im besten Sinn machte. Besonders positiv fällt auf, dass der für ein Orchester mitunter langwierig zu spielende, aber im Belcanto essenzielle Rhythmus nur für dramatische Fermaten und Kunstpausen abriss.

Von der solcherart bestens unterstützten Sängerriege kannte man Alexandra Deshorties als Elisabetta und Norman Reinhardt als Leicester bereits aus ihren vorjährigen Rossini-Partien, wobei die Sopranistin mit ihrem voluminösen, kernig klingenden Instrument und dem Mut zur schrillen Attacke die englische Königin an diesem Abend erneut glaubhaft vermittelte. Demgegenüber und im Vergleich mit seiner Leistung als Rossini-Leicester hatte man bei Norman Reinhardt eher den Eindruck, dass dieser stimmlich mit angezogener Handbremse unterwegs war und nur in den Duetten richtig aufblühte. Stefan Cerny, der große schmale Wiener mit dem üppigen Bösewicht-Bass, ging seinen Talbot im ersten Akt verhalten an, fand aber in der Beichtszene mit Maria zu seinem gewohnten beeindruckenden Ausdruck. Die größte Begeisterung löste erwartungsgemäß Marlis Petersens als Maria aus. Sie hatte sich zwar als krank ansagen lassen, lieferte jedoch die von ihr gewohnte Qualitätsarbeit mit flüssigen Koloraturen und großer Emotion tadellos ab. Auch der Rest des Ensembles, unter anderem Tobias Greenhalgh als unsympathischer Einflüsterer Elisabettas, bot durchwegs mehr als nur solides Beiwerk.

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