Für ein Staats- oder höfisches Theater hatte Emanuel Schikaneder das Libretto seiner Zauberflöte 1791 nicht eingerichtet. Die Bühnenbretter seines Theaters waren so rauh wie die Späße, die dort für einfache Leute gegeben wurden. So war Laura Scozzi, die die Nürnberger  Zauberflöte inszenierte, sich sicher, dem Singspiel kräftige Farben und eine pralle Handlung geben zu dürfen. An Stelle von märchenhaften Tempeln und warmen Palmenhainen eines imaginären antiken Ägypten fand der Zuschauer sich in einer verschneiten Bergwelt moderner Provenienz wieder, deren Geschäftigkeit von Natacha LeGuen de Kerneizen effektvoll in ein detailreiches Bühnenbild von Alpendorf, Seilbahn, Helikopter und Schneekulisse gepackt und von Jean-Jacques Delmotte in bunt-schrille Wintersportmode gekleidet war.

Bereits die Ouvertüre wird zum pantomimischen Vorspiel: der Vorhang öffnet sich und ein Brautpaar im leicht silbrigen Schneefall strahlt das offensichtlich gerade erreichte Glück aus. Da beginnt er, an der Braut nach seinen Vorstellungen zu ziehen und sie wie Knetmasse zu formen. Das wirft ein Licht auf das damals gängige Bild von Frauen- und Männerrollen, das später durch ein Hausfrauenballett in moderner Kücheneinrichtung karikiert und vom Priester aus Sarastros Männer-Loge so zusammengefasst wird: „Ein Weib tut wenig, plaudert viel!“ Dieser Beziehungs-Zündstoff interessiert Laura Scozzi, sie lässt die Zuschauer vordergründig darüber lachen und treibt die Gefühlsverwicklungen auf die (Berg-)Spitze. Sie scheut sich nicht, unter der eisigen schneeweißen Oberfläche auch Gefühlskälte und Hintergründiges auszugraben.

Dass sich die drei Damen gern mehr mit dem schlafenden Tamino befassen würden, machten Isabel BlechschmidtIrina Maltseva und Ida Aldrian im rassigen Outfit, verführerischen Trippelschritten und wunderbar timbrierten Stimmeinsatz nur zu deutlich. Selbst im Schlussbild, mit Trolleygepäck und Businesskostüm zum Flughafen unterwegs, war ihr Auftritt amüsant und geradezu Slapstick-artig gespielt. Mehr erd- und schneeverbunden sorgten die drei Knaben (Laura Demjan, Berenike Huber, Martina Langbauer) für Erheiterung, die mit einer bunten Schar von Schlittenhunden, dem geschickt auf Photoleinwand nachempfundenen Skilift oder video-animiertem Pistenhubschrauber in identisch blau-roten Skianzügen und Bommelmützen unterwegs waren, um Papageno vor unüberlegten Kurzschlusshandlungen zu bewahren.

Maximale Spielfreude strahlte dieser Papageno von Martin Berner aus, der sich als Gast spürbar wohl fühlte in seiner Rolle. Seine Rockerkluft ließ zunächst den mit Machomanier das weibliche Pendant suchenden Halbstarken vermuten; mit variablem und fein abgestimmtem Baritonvolumen spielte er im Verlauf immer mehr den empfindsamen und verletzlichen Liebhaber, der am Ende glücklich war, dem Prüfungsstress zu entkommen und die so gut zu ihm passende Papagena (Theresa Steinbach) zu finden.

Anfangs sind sie ja Gegenspieler: Königin der Nacht und Sarastro. Während sie (Pauline Rinvet) zuerst in pelzbesetztem Fürstin-Gracia-Kleid aus dem Après-Ski-Klub die Bühne betrittt und die mitgebrachte Champagnerflasche offensichtlich schon weitgehend gelehrt hatte, signalisiert Sarastro (Alexey Birkus) in Smoking oder hellem Fellmantel vornehme Noblesse, die Rücksichtslosigkeit nicht ausschließt; diese geht seinen maurerischen Priestern in glänzenden Designeranzügen umso mehr von der Hand. Die Mutter, immer besorgter um Paminas Wohl, steckt ihrer Tochter schließlich einen Revolver zur Verteidigung zu, um sich auch Monostatos erwehren zu können, dessen geheime Gelüste Hans Kittelmann glaubhaft darstellte. Sarastro seinerseits zeigt immer mehr Nachsicht mit den Ergebnissen der Prüflinge Tamino und Papageno. Rinvet, anfangs noch zurückhaltend auftretend, fand schließlich mit klaren Sopran-Spitzentönen zu beeindruckenden Koloraturszenen. Birkus' angenehmer Bass glänzte zwar nicht in voluminöser Tiefe, gab den Handlungssträngen durch fein differenziertes Timbre Ruhepunkte im sonst rasanten Geschehen. Wenn am Ende sogar die ungezügelte Leidenschaft der Königin und Sarastros rationale Vernunft zueinander finden und beide als Liebespaar von der Bühne gehen, gehört dies sicher zu Scozzis denkwürdigen Regieeinsichten.

Dass Pamina (Ina Yoshikawa) in braven Blüschen mit Blütenmuster der Siebziger Jahre und blassblauem Glockenrock Tochter der Königin sein könnte, war nicht unmittelbar einsichtig, aber in ihrer mädchenhaften Ausstrahlung und mit samtig-weich eingesetzter Stimme war sie eine Top-Besetzung für diese Rolle. Den Tamino im jungenhaft-verblichenen Skioutfit charakterisierte Martin Platz bravourös, belustigt über Papageno in den komischen Szenen ebenso wie konzentriert in Sarastros Prüfungsaufgaben. Im Liebesduett fanden Pamina und Tamino die erlösende Harmonie, die den Kampf zwischen männlichen und weiblichen Schemata vergessen ließ.

Für den hat Laura Scozzi im instrumentalen Vorspiel des zweiten Akts bereits eine augenzwinkernde Lösung gefunden: wiederum das Brautpaar vom Anfang im Schneefall auf leerer Bühne, und nun er zieht sie ihn und zieht ihn hinter sich her.

Die Staatsphilharmonie hatte einen großen Tag: Andreas Klippert formte einen wahren Concentus Musicus aus ihr, der – durchaus historisch informiert – in Mozarts Musik transparent, mal markant volltönend, mal mit feinem Pinsel zart formulierend die vokalen Soli begleitete, ohne deren Verständlichkeit zuzudecken. Auch der von Tarmo Vaask einstudierte Chor schlüpfte begeistert und stimmgewaltig in die verschiedenen Rollenbilder.

Ein volles Haus und der am Ende kräftiger Beifall für Ballett, Sänger und Musiker zeigten, dass die Wiederaufnahme dieser Zauberflöte – 2009 in Scozzis ungewöhnlicher Inszenierung nur zögernd akzeptiert und selbst vom musikalischen Leiter des Hauses zunächst distanziert betrachtet – nun in der Mitte des Nürnberger Opernpublikums angekommen ist. Die Schussfahrt auf Pisten unterkühlter Liebesgefühle und Geschlechterrollen in Schräglage lässt keine Längen aufkommen und begeistert hörbar auch junges Publikum. Eine im guten Sinne sportliche Inszenierung mit temporeicher Umsetzung findet am Ende ihre Auflösung im Respekt der gegenseitigen Gefühle und Liebe.

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