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Im Märchenwald verlaufen
Von Joachim Lange / Fotos von Monika Rittershaus
Jetzt ist die Staatsoper endlich zurück in ihrem Stammhaus Unter den Linden. Also wieder bei sich und ihrem Namen. Dass Intendant Jürgen Flimm bis zur endgültigen Übergabe an seinen Nachfolger Matthias Schulz noch ein paar "richtige Premieren" im glanzvollen Rahmen auf seinem Konto verbuchen will, kann man verstehen. Nach einem Umzug mit Sack und Pack ins Schillertheater und (nach sieben Jahren) zurück. Mit der preußischen (Planungs-)Pünktlichkeit ist es in der deutschen Hauptstadt, über deren Flughafen-Neubau man nicht mehr lachen kann, nicht mehr weit her. Aber sei's drum. Zum Nationalfeiertag der Berliner Republik gab's die erste Eröffnung mit Festakt und eine eher behäbig aufgeblasene Faust-Melange zu der Schumann, Goethe und eben auch Flimm ihren Teil beitrugen. Rubrik: "Schwamm drüber". Jetzt ist zwar immer noch nicht alles fertig. Doch der Container neben der schmucken Fassade hat nichts mehr mit Bauleitung zu tun. Er fungiert als Kassenhäuschen - was nur ein Provisorium sein kann. Die Eltern von Hänsel und Gretel mit leerer Einfkaufstasche
Drinnen wird nach dem Motto "auf Nummer sicher" verfahren. Weihnachten und die Verkaufszahlen fest im Blick, verlaufen sich Hänsel und Gretel wie von selbst auf die Bühne. Und wenn der Name von Gesamtkunstwerker Achim Freyer darübersteht, dann ist natürlich auch eine neue Folge aus dessen unendlicher Traumgeschichte drin. Da marschiert unterm göttlichen Auge (wie bei Werner Tübke) in einem dunkel ausgeschlagenen Bühnenkasten sternenumfunkelt ein hinfabuliertes Panoptikum von Menschen, Tieren und Fabelwesen auf. Mit einer ordentlichen Dosis von Engelbert Humperdincks Wagner-für-Anfänger-Musik. Die er selbst Kinderstubenweihfestspiel genannt hat. Mit volksliedhaften Melodien. Wegen der Grimm'schen Vorlage und der Ohrwürmer im Ruf besonderer Kindertauglichkeit. Dabei kann der Plot mit diversen Computer-Ballereien von heute mühelos mithalten. Immerhin geht es um Leben und Tod. Es ist fast ein Wunder, dass die Lösung des Problems im Märchen, eine alte Frau mit einem Tritt ins Feuer zu befördern und bei lebendigem Leibe zu verbrennen, noch keinem Korrektheitswahn zum Opfer gefallen ist. So groß die Kinderköpfe geraten sind, so klein ist das Hexenhaus
Bei Achim Freyer ist allerdings keine Gefahr für die Gemütsverfassung des Zuschauernachwuchses zu befürchten. Bei ihm sind sogar die Wald-Wildschweine possierlich. Die Hexe ist mit ihrer Nase aus einem lockenden Finger, der eher einem Reisendildo ähnelt, komisch bis albern. Immerhin hat sie zwei riesige freilaufende Hände, die die Kinder einfangen. Man muss zwar nicht gleich hinter jedem Baum eine Missbrauchsfalle wittern, aber diesmal wirkt Freyers Universum so entschärft, dass kein Lebkuchenkrümel mehr übrigbleibt, vom leichten Grusel, der noch zwischen jedem "es war einmal" und "wenn sie nicht gestorben sind" bei den Grimms mitschwingt. Was die beiden Besenbinderkinder möglicherweise ausgestanden haben, konnte man an ihren Gesichtern jedenfalls nicht ablesen. Die steckten unter riesigen Ballonköpfen, die nur mit den Augen rollen können, wenn die Sängerinnen an entsprechenden Strippen ziehen. Die Hexe mit den frei laufenden Händen
Geradezu ärgerlich ist, dass das Hexenhaus eher einer Hundehütte gleicht, der Hexenritt über ein Hoppe-hoppe-Reiter nicht hinaus kommt und auch das Feuerchen nur mäßig videoflackert. Da nützen auch ein paar possierlichen Kleinigkeiten nicht viel. Wenn der Kuckuck ruft, dann sieht man in der Höhe Vogelköpfe und unten drunter schwingen die Pendel, wie bei einer Uhr. Wenn eine Maus über die Bühne huscht, dann ist der Kater, der sie fängt, nicht weit. Und wenn ein (Berliner) Bär mit Engelsflügeln auftaucht, dann darf man ruhig an den ewigen Flughafen Bauplatz denken. Auch diesmal startet Freyer zwar wie immer in seinem Universum - aber in dem der Grimms und Humperdincks kommt er nicht wirklich an. Er geht in der Spielecke im Opern-IKEA verloren. Schade. Man erkennt leicht: Auch beim Märchenklassiker ist Achim Freyer als Gesamtkunstwerker am Werke.
Um die Musik freilich steht es besser. Sebastian Weigle, dessen Gruß zur Staatskapelle und zu den Zuschauern per Video gezeigt wird, fremdelt kein bisschen mit dem Orchester, in dem er selbst viele Jahre als Solohornist gespielt hat. Das klingt alles schön rund, und maßvoll postwagnerianisch. Zumindest vom ersten Rang aus hat sich die Akustik der neuen Staatsoper im Vergleich zu früher deutlich verbessert. Im Ganzen wird fabelhaft gesungen: das fängt an bei den Eltern Arttu Kataja als Peter und der markanten Mriana Prudenskaja als dessen Weib Gertrud (wie es so schön heißt), geht weiter über den Hänsel der frisch klingende Natalia Skrycka (die Mitglied des durch die Liz Mohn Kultur- und Musikstiftung geförderten Internationalen Opernstudios der Staatsoper Unter den Linden ist) und die Gretel von Evelin Novak. Jürgen Sacher als Kunsperhexe und Corinna Scheurle als Sandmännchen sowie Sarah Aristidou als Taumännchen (die letzten beiden ebenfalls vom Opernstudio) komplettieren ein Ensemble, das zusammen mit dem Kinderchor der Staatsoper Freude macht. FAZITAchim Freyer enttäuscht mit seiner Version von Hänsel und Gretel, die Musik und das Ensemble profitieren von der Unverwüstlichkeit des Märchen-Klassikers. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung, Bühne, Kostüme
Mitarbeit Regie
Mitarbeit Bühne und Kostüme
Licht
Video
Kinderchor
Dramaturgie
Sänger
Peter, ein Besenbinder
Gertrud, sein Weib
Hänsel
Gretel
Die Knusperhexe
Sandmännchen
Taumännchen
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