PREMIERE: Das kleine Glück im grossen Unglück

Drei Matrosen stehen im Zentrum von «On the Town», dem ersten Musical von Leonard Bernstein. Am Theater St. Gallen inszeniert es Josef Ernst Köpplinger als bunt-bewegte Szenenfolge voller Humor und Lebenslust.

Rolf App
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Es ist Morgen und New York noch müde, da überlegen sich Ozzie (Jörn-Felix Alt), Gabey (Daniel Prohaska) und Chip (Boris Pfeifer), was sie so unternehmen könnten an «ihrem» Tag. (Bild: Andreas J. Etter)

Es ist Morgen und New York noch müde, da überlegen sich Ozzie (Jörn-Felix Alt), Gabey (Daniel Prohaska) und Chip (Boris Pfeifer), was sie so unternehmen könnten an «ihrem» Tag. (Bild: Andreas J. Etter)

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rolf.app@tagblatt.ch

Der Zufall hat im Leben des Komponisten, Dirigenten und Pia­nisten Leonard Bernstein eine unübersehbare Rolle gespielt. Zufällig steht der 25-Jährige am 14. November 1943 zur Verfügung, als sowohl der vorgesehene Dirigent wie der Chefdirigent der New Yorker Philharmoniker verhindert sind – und legt vor den Radiomikrofonen ein derart überragendes Zeugnis seines Könnens ab, dass damit sein Ruf als Dirigent begründet ist. Zufällig lernt er den Choreografen ­Jerome Robbins kennen, der für ein Ballett über drei Matrosen auf Landgang einen Komponisten sucht. «Fancy Free» hat am 18. April 1944 Premiere. Und zufällig muss er kurz darauf ins Spital und trifft dort den Librettisten Adolph Green, der sich mit dem Gedanken trägt, aus dem Ballett ein Musical zu machen. In zwei nebeneinanderliegenden Krankenzimmern tragen sie nun aus, was am 28. Dezember 1944 als «On the Town» Premiere hat. Und was diesen Samstag am Theater St.Gallen in der Inszenierung von Josef Ernst Köpplinger fröhlich Auferstehung feierte.

«On the Town» ist erfüllt von Lebensfreude

Denn obwohl noch der Zweite Weltkrieg wütet, ist «On the Town» erfüllt von unbändiger Lebensfreude und beneidenswerter Unbekümmertheit. In Projektionen zeigt Köpplinger aber doch, was die drei Matrosen Gabey (Daniel Prohaska), Chip (Boris Pfeifer) und Ozzie (Jörn-Felix Alt) erwarten könnte, wenn sie von ihrem 24-stündigen Ausflug in die Metropole der Unterhaltung zurück sind – dabei jene Mädchen zurücklassend, die sie gesucht und erobert haben. Doch einerlei: Im grossen Unglück suchen sie das kleine Glück. Die lustvolle Jagd danach steht im Zentrum, wobei die Jäger auch wieder zu Gejagten werden. Die Polizei, eine alte Dame und ein Museumsdirektor sind hinter ihnen her, während Gabey nach Ivy Smith (Julia Klotz), der U-Bahn-Schönen, sucht, und während Chip der Taxifahrerin Hildy Esterhazy (Sigrid Hauser) anheimfällt und Ozzie Claire de Loone (Bettina Mönch) vom Pfad der Wissenschaft abbringt.

Das alles ist wunderbar turbulent. Rasch wechseln die Schauplätze, Rainer Snell hat dazu eine staunenswert raffinierte Bühne entworfen. Die von Adam Cooper choreografierten, stimmungsvollen Tanzszenen bilden ein ganz wesentliches Element. Die Tanzkompanie wird in ihnen zum Motor des Abends. Mit ihr eine Musik, die, wie der Dirigent Michael Brandstätter sagt, «die vom Jazz geprägte amerikanische Musik mit europäischer Sinfonik verbindet».

Die Virtuosin des Abends heisst Dagmar Hellberg

Köpplinger lässt «On the Town» in seiner Entstehungszeit spielen. Das gibt Alfred Mayerhofer Gelegenheit, mit sicherem Sinn für Farbakzente vor allem in den Tanzszenen jede Menge wunderschöner Kostüme zu präsentieren. Den Hauptdarstellern wird viel abverlangt – schauspielerisch, sängerisch, tänzerisch –, und es sind nicht die drei Matrosen, die dabei am meisten überzeugen. Sie bleiben im Gegenteil doch eher blass. Und auch Julia Klotz bekommt als Ivy Smith nicht wirklich Farbe.

Mächtig ins humoristische Zeug legen sich dafür Sigrid Hauser als aufsässige Taxifahrerin Hildy und Bettina Mönch als zuerst arg unterkühlte, dann heftig entflammte Steinzeitforscherin Claire de Loone – deren Verlobter Pitkin W. Bridgework (Alexander Franzen) immer alles bezahlen darf, was die muntere Gesellschaft so hinuntergekippt hat.

Die Virtuosin des Abends aber heisst Dagmar Hellberg. Als geldgierige Singlehrerin, als Nachtclubsängerin Diana Dream und kubanische Unterhalterin Dolores Dolores kommt sie zu ein paar wunderbar schrägen Nummern. Und als alte Dame folgt sie den Matrosen keifend auf dem Fuss.