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Evelin Novak (Drusilla), Katharina Kammerloher (Ottavia), Xavier Sabata (Ottone), Lucia Cirillo (Amore). Foto: © Bernd Uhlig
Evelin Novak (Drusilla), Katharina Kammerloher (Ottavia), Xavier Sabata (Ottone), Lucia Cirillo (Amore). Foto: © Bernd Uhlig
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Sinnlich höfische Zur-Schau- und Selbstdarstellung – „L’incoronazione di Poppea“ an der Staatsoper Unter den Linden

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Die Barockoper gehört einfach zu Unter den Linden, und so gab es am zweiten Tag des Spielbetriebes gleich die Premiere jener Oper, die einen herausragenden Höhepunkt in der Geschichte des Musiktheaters bildet, Claudio Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“.

Auf den ersten Blick schien sich die Neuinszenierung in altem Fahrwasser zu bewegen, mit einer Einheitsdekoration und in barocken Kostümen. Erst der zweite Blick zeigte, dass es sich dabei um eine eigenwillige Versuchsanordnung handelt und dass die Hauptdarstellerin, die Luxuskurtisane Poppea eine Ausnahmestellung innehat, keineswegs historisch kostümiert, sondern in einem Outfit unserer Tage. Basierend auf zehn Thesen des Dramaturgen Mark Schachtsiek wird die Handlung als eine karnevalistische Version höfischer Liebes-Ethik präsentiert.

In dieser Neuinszenierung der im Karneval des Jahres 1643 im Teatro SS. Giovanne Paolo in Venedig uraufgeführten Oper ist stets die gesamte barocke Hofgesellschaft auf der Bühne. Sie teilt sich in die darzustellenden Rollen und übernimmt weitere Partien, über die Dramaturgie der einzelnen Figur hinaus. So gestaltet etwa das komplette Ensemble den Wettstreit der Prinzipien Fortuna und Virtù im Prolog der Oper und bildet auch den chorischen Gesang der Gefährten des Seneca.

Die Permanenz höfischen Zeremoniells und gleichzeitig ausschweifenden Spiels begründet der Dramaturg damit, dass bei Hofe alles öffentlich stattfindet, „auch die Liebe des Herrschers zu seiner Mätresse“, wie Neros öffentliche Exzesse im Rahmen der Saturnalien auch historisch belegen. Somit ist Tanzen – Lieben – Tanzen die Devise.

Die Liebesszene zwischen Damigella und Valetto, hier nur Zofe und Page genannt, wird dadurch ausgelöst, dass die Putzfrau im goldenen Lurexgewand das blutige Rasiermesser Senecas findet und entsorgt. Sexuell bedrängt vom bebrillten Pagen (Lucia Cirillo) genießt die Zofe (Narine Yeghiyan) als Allegorie der „süßen Sache der Liebe“ Erdbeeren aus jenem Schierlingbecher, den Liberto dem Philosophen Seneca überbracht hatte. Aber Seneca – der sonore Bassist Franz-Josef Selig – hatte es vorgezogen, sich als Affront gegen die Hofgesellschaft mit einem Rasiermesser die Kehle durchzuschneiden und blutig die Schräge herabzurollen.

Eva-Maria Höckmayr hat für ihre Inszenierung drei Kinder das Kaiserpaares Nerone und Ottavia hinzuerfunden, die auch gesanglich zum Einsatz kommen, die trefflichen Kindersolisten Niels Domdey, Artina Krapeljan und Noah Schurz.

Max Emanuel Cencic als Nerone wirft seine höfische Perücke zu Boden um fortan als exzessiver Erotomane glatzköpfig singend zu agieren. Als Ausdrucksmittel integriert der Counter auch mal einen Huster in seine Partie und zeichnet ein stimmlich wie darstellerisch faszinierendes Charakterbild des frühen Gesamtkunstwerkers.

In jeder Facette überzeugt Anna Prohaska als Poppea. Selbst gelegentliches Detonieren scheint im Sinne einer Kolorierung als Mittel vokal zugespitzter Sinnlichkeit bewusst gewählt. Wie die Sopranistin im Gegenlauf zu der unmerklich in der Dekoration rotierenden Drehscheibe mit Nerones Position Schritt hält, dann ohne ihre Stiletten, barfüßig den auf dem Bauch liegenden Kaiser von hinten mit dem Fuß befriedigt um anschließend auf seinem Geschlecht zu reiten, das ist stimmlich betörend geformt und einfühlsam gestaltet, gleichermaßen drastisch wie poetisch inszeniert und von Anna Prohaska hinreißend umgesetzt.

An der bis in den Schnürboden hinauf verlängerten, reflektierenden Spielfläche läuft der weich intonierende Counter Xavier Sabata als Ottone wiederholt im wahrsten Sinne verzweifelt die Wand hoch, um dann von oben, wie ein Skateboarder aus der Half Pipe, hinunterzustürzen.

Dass dieser einfache Einheitsbühnenraum von Jens Kilian – in dem von Anfang an die Leiche einer jungen Frau liegt – so viele unterschiedliche Bildeindrücke ermöglicht, vom übergroßen Schattenriss Senecas bis zur Sinnstiftung verdoppelter Liebeshandlungen auf unterschiedlichen Ebenen, ist das Werk der Light Designer Olaf Freese und Irena Selka, deren Kunst hier auch einmal lobend Erwähnung finden soll.

Die Aufführungsfassung von Diego Fasolis und Andrea Marchol fügt in Monteverdis Komposition Nummern von Francesco Cavalli, Francesco Sacrati, Benedetto Ferrari und anderen ein. Die in der Ouvertüre dominant hereinbrechenden Pauken erweisen sich im weiteren Verlauf als Thema der Liebes- oder auch Sex-Macht. Immer wieder stellen sich verblüffende Klangwirkungen ein; so wird beispielsweise die Arie von Drusilla (Evelin Novak) mit Tamburin begleitet.

Der Liebesszene von Damigella und Valetto schließt sich in dieser Fassung ein Tanz als Nachspiel an. Auch nach dem Verklingen der Musik geht das Spiel noch weiter, denn auch die zweite Zofe will Valettos Liebe genießen und zieht die Beiden für einen Dreier hinter den sich zur Pause herabsenkenden Vorhang.

Nach der Pause füllen zusehends Leichen den Bühnenraum des kaiserlichen Imperiums, sich mischend mit den Paarungen der sich auf dem Boden liebenden Höflinge. Nach Senecas Tod hat sich dessen Gefährte Lucano (Gyula Orendt) an Nerone herangemacht und singt mit ihm ein schwules Duett, worauf Poppea eifersüchtig reagiert. Sie behält die Oberhand, indem sie sich, als sich das männliche Paar auf dem Boden liebt, auf den Mund von Nerones Liebhaber setzt und die Lippen des Kaisers liebkost.

Als Zeichen ihrer Verbannung nimmt Nerone der Kaiserin Ottavia (souverän: Katharina Kammerloher) selbst Oberkleid und Handschuhe ab und setzt ihr Diadem seiner Geliebten ins schwarzgelockte Haar.

Doch so, wie Ottone und Drusilla nach ihrer Verbannung gleichwohl als Mitglieder des Settecento-Hofes auf der Bühne anwesend bleiben (und selbstredend auch weitere Ensembles mitsingen), so geht auch Ottavia hier nicht in die Verbannung, sondern stirbt auf der Szene, betrauert von ihren drei Kindern und ihrer Amme, der Nutrice.

Jochen Kowalski als Nutrice obsiegt mehr mit Outrage als mit kaum mehr ausreichend vorhandener Stimme, wobei der traurige Rückblick dieser Amme auf ihre verlorene Jugend eine nostalgische Doppelung erfährt, wenn der erste Counter der DDR sie an der Stätte früherer Triumphe vorträgt.

Erfreulich, dass – entgegen der Publikumspraxis bei Barockopern – in dieser Produktion auf Zwischenapplaus verzichtet wurde; eine Ausnahme bildete dabei der spontane Zuspruch für den hinreißenden Bassisten Mark Milhofer als Poppeas Amme Arnalta. Arnalta teilt das Fazit ihres späten Aufstiegs der Kollegin Nutrice mit und wischt dabei ihre vordem schwarze Schürze in ein gleißendes Gold (Kostüme: Julia Rösler).

Das wohl schönste Duett der Operngeschichte, und in der Handlung der „Incoronatione“ Höhepunkt der von Monteverdi – als einem Geistlichen! – besungenen Sinnlichkeit, wird von der Regisseurin konterkariert: die auf dem Gipfel der Macht sichtlich vereinsamte Poppea stellt ihre Schwangerschaft fest, während Nerone sich wieder seinem männlichen Liebhaber zugesellt.

Das Black-Out am Ende des Opernabend konnte insofern nicht funktionierten, als vier Glühbirnen im Kronleuchter als Notlicht den gesamten Abend über brannten. Wohl ließen sich erleuchtete Zuschauerräume bei Barockopern historisch begründen und wären und auch in der Praxis des Musiktheaters nichts Neues. Hier jedoch werteten die Verantwortlichen dieses Manko des noch immer nicht fertigen Opernhauses (fehlende Geländer an Treppen, Toiletten!) als ein offenbar schwer zu behebendes Problem: Denn Hausherr Jürgen Flimm trat vor Beginn der Premiere vor den Vorhang um in seiner rheinisch-launischen Art einen Dialog mit dem Kronleuchter zu führen, welcher diesen Abend eigentlich „absagen“ wollte; nun jedoch war dieser– als einer der“ immer frecher werdenden Mitarbeiter“ – zu keiner Replik bereit.

Auch nach der Pause kam Flimm erneut auf die Bühne, um den Kronleuchter nun als seinen Freund zu titulieren und um obendrein eine (dann allerdings nicht hörbare) Indisposition des Tenors Gyula Orendt anzusagen.

Am Ende gab es lang anhaltenden Jubel, insbesondere für den mit viel Klangempfinden beschwingt und sicher leitenden Dirigenten Diego Fasolis und die Akademie für Alte Musik Berlin sowie für sämtliche Solisten und deren außergewöhnliche Leistungen.

Beim Auftritt des Regieteams mischten sich einige obligatorische Buhrufe in den Schlussapplaus; nicht auszumachen, ob aufgrund der Diskrepanz zwischen Akustik und Optik beim erhebenden Schluss-Duett oder aufgrund der von Monteverdi und seinem Librettisten Giovanni Francesco Busenello intendierten Freizügigkeit mit frech doppeldeutigen Texten, sinnlichen Melodien und kühnen Harmonien bei diesem frühen Meilenstein der Operngeschichte.

Ein großer, spannender Musiktheaterabend, den man nicht verpassen sollte!

  • Weitere Vorstellungen: 10., 13. Dezember 2017, 8., 12. Juli 2018.

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