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Statisterie. Foto: Sebastian Bühler
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Ende gut, alles gut … – Nicola Antonio Porporas „Mitridate“ in Heidelberg

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Das Theater Heidelberg schließt beim „Winter in Schwetzingen“ Rokokotheater des Schlosses mit der Deutschen Erstaufführung von Nicola Antonio Porporas „Mitridate“ nach sieben Jahren einen Zyklus zur sucuola napoletana ab.

Barock-Opern gehören längst zum guten Ton eines gut aufgestellten Theaters. Ihre Spezialfestivals haben sie sowieso. Allen voran die für Georg Friedrich Händel. Aber die Opernproduktion an den Höfen Europas war so gewaltig, dass auch heute noch viele Schätze zu heben sind, die als Entdeckung verblüffen. Im Rokokotheater beim „Winter in Schwetzingen“ erwirbt sich das Theater Heidelberg seit Jahren Verdienste damit, dem Publikum die Opern des neapolitanischen Barock zu präsentieren und die bislang nahezu völlig in Vergessenheit geratene, sogenannte scuola napoletana systematisch und mit eigens erstellten Editionen von ihren Anfängen bis zu ihrem Ende vorzustellen.

Die ehrgeizige Reihe „OPERA NAPOLETANA I-VII“ begann 2011 mit der Deutschen Erstaufführung von Alessandro Scarlattis “Marco Attilio Regolo“ (ML: Rubén Dubrovsky, Regie: Eva-Maria Höckmayr). 2012 folgte mit „Polifemo“ eine erste Oper von Nicola Antonio Porpora. Wiederum eine deutsche Erstaufführung, diesmal unter der musikalischen Leitung von Wolfgang Katschner und in der Regie von Clara Kalus. Auch 2013 leitete wieder Katschner (diesmal in der Regie von Rudolf Frey) die DEA von Tommaso Traettas „Ifigenia in Tauride“. Der 300. Geburtstag von Niccolò Jommelli war 2014 der Anlass, um dessen „Fetonte“ (ML: Felice Venanzoni, Regie: Demis Volpi) auf die Bühne zu bringen. 2015 ging es dann wieder mit den deutschen Erstaufführungen weiter: Leonardo Vincis und G.F. Händels „Didone abbandonata“ - wieder mit Katschner im Graben und in der Regie von Yona Kim. Niccolò Antonio Zingarellis „Giulietta e Romeo“ war zwar keine deutsche Erstaufführung, aber die erste seit 1829 (ML: Felice Venanzoni, Regie: Nadja Loschky/Thomas Wilhelm).

Mit der in diesem Jahr wieder echten Deutschen Erstaufführung von Niccolò Antonio Porporas „Mitridate“ ist diese Neuproduktion der Heidelberger für ihre Rokoko-Dependance im Schwetzinger Schloss zugleich ein Beitrag zum Gedenken an den 250. Todestag Porporas. 

Die für die Geschichte der Oper wichtige Epoche, die im 18. Jahrhundert von Scarlattis „Marco Attilo Regolo“ (1719) bis Zingarellis „Giulietta e Romeo“ (1796) gleichsam die Klassik vorbereitete, ist damit durch exemplarische Werke ihrer bedeutenden Vertreter vorgestellt worden. 

Der Rokokorahmen in Schwetzingen verlangt geradezu danach, zur passend kleinen Besetzung im Graben das Dacapo-Feuerwerk abzufackeln, mit dem die Komponisten damals vor allem ihre Kastraten-Stars an die Rampe geschickt haben.  

Als Abschluss jetzt also „Mitridate“ von Nicola A. Porpora (1686-1768). Heute kennt man vor allem Mozarts Jugendwerk mit dem gleichen Titel. Aber der historische Vorläufer aus dem Jahre 1736 erwies sich als Entdeckung mit Aha-Effekt. Nach einer ersten Fassung, die 1730 in Rom herauskam, war die zweite von 1736 für London als direkte Konkurrenz zu Händel „gemeint“.

Der 1686 in Neapel geborene Zeitgenosse und Konkurrent Händels hat nicht nur als erfolgreicher Komponist (über 50 Opern!) seine Spuren hinterlassen, sondern auch als Gesangspädagoge und Lehrer. Johann Adolf Hasse und Joseph Haydn profitierten von ihm, vor allem aber der italienische Belcanto. Dass er für seinen „Mitridate“ die Star-Kastraten Senesino und Farinelli (der obendrein wie Caffarelli sein Schüler war) zur Verfügung hatte, merkt man dem puren Umfang und dem Schwierigkeitsgrad der Bravourarien an, die er gleichsam den beiden Superstars ihrer Zeit in die Kehle geschrieben hat.

Und wenn dann so junge Sänger wie der koreanischstämmige Kanadier David DQ Lee als Mitridate und der obendrein auch noch ganz kurzfristig eingesprungene US-Amerikaner Ray Chenez in der Rolle von dessen Sohn Sifare ins Rennen gehen, das nötigt schon Respekt ab. Die beiden machen ihre Sache ausgezeichnet. David DQ Lee mit etwas mehr schon gereifter Erfahrung in der Titelpartie, die bei der Uraufführung mit Senesino besetzt war. Und Chenez in der Farinelli-Partie mit einer jugendlichen Frische, deutlich erkennbarem Potential und ohne Konditionsgrenzen. Die beiden Bravourarien und dann vor allem die wunderbar verschlungenen Duette mit seiner angebeteten (und vom eigenen Vater mit allen Mitteln begehrten) Semandra. Die junge Sopranistin Yasmin Özkan verleiht dieser Semandra ihre anmutige Gestalt und ihre zarte, aber mit diversen Königinnen der Nacht erprobten Stimme! Sie sind das Liebespaar in diesem selbst für Barockverhältnisse äußerst vertrackten Libretto von Colley Cibber. Man kriegt (mal wieder) Respekt vor einem Publikum, das dem ohne Übertitel folgen konnte.

Im Kern geht es um ein abrupt hin und her springendes Wer-mit-Wem zwischen den von den Römern bedrängten König von Pontos Mitridate (das historische Vorbild lebte von ca. 134 v. Chr. bis 63 v. Chr.) und seinen beiden Söhnen Sifare (Marke: aufrecht und gradlinig) und Franace (Marke: übergriffig wie der Papa und obendrein ein politisch unsicherer Kantonist). Letzterer wird als Hosenrollen kraftvoll gesungen und glaubwürdig gespielt von der aus Israel stammenden Shahar Lavi. Nach etlichem Hin und Her (in das auch noch Katja Stuber als von Vater und Sohn begehrte Ismene, und Zachary Wilson als Semandas Vater Archelao, sowie Seung Kwong Yang als Arcante und Xiangnan Yao als Oracolu verwickelt sind) scheitern die beiden übergriffigen Machos mit ihren amourösen Ambitionen gründlich. Das ohnehin schon durch seine wunderbaren Duette füreinander bestimmte Paar ist vereint. Vermutlich landen sie, wie es sich gehört, auch noch auf dem Thron. 

Regisseur Jacopo Spirei konzentriert sich auf die Liebeskonkurrenz zwischen Vater und Söhnen. Die Bühne von Madeleine Boyd setzt auf eine Opulenz, die in der Zerstörung noch vergangene Pracht erkennen lässt. Ein kaputtes Glasdach einer orientalisch mediterranen Villa, samt Riesentrümmerteil in der Mitte und abgestürztem Leuchter deuten, wie die offenbar unausrottbaren Kalaschnikows, auf den kriegerischen Hintergrund. Die MP des Königs ist sogar vergoldet. Diese Waffen und die Kostüme von Sarah Rolke deuten in ihrem heutigen Look auf das Exemplarische in der Geschichte. Dazu im zweiten Teil ein hoher Drahtzaun im jetzt nach hinten in die Dunkelheit geöffneten Raum. Immer wieder bedeutungsschwanger von schwarzen Gestalten aufgestelltes Soldatenschuhwerk, um das blutige Drum und Dran in Erinnerung zu halten. Der Regie geht es aber weniger um Brücken über die Jahrhunderte, sondern um den Clash der Generationen und Charaktere. Den entscheiden die „Guten“ – hier ohne vereinendes lieto fine – für sich. Diese Verwicklungen über drei Stunden kurzweilig und ohne Ermüdungserscheinungen auf der Bühne und im Saal über die Bühne zu kriegen, wurde vom Publikum honoriert. Gefeiert wurden die Protagonisten und die von Felice Venanzoni fabelhaft zu einem farbig sinnlichen Barock-Modus inspirierten Musiker des Philharmonischen Orchesters Heidelberg. Alle zusammen sorgten dafür, dass man diesen „Mitridate“ wohl nicht mehr einfach abhaken kann. 

Der Abend war außerdem die letzte Premiere, die der bisherige Heidelberger Operndirektor Heribert Germershausen verantwortet, bevor er als Intendant nach Dortmund wechselt. Das kleine aber feine Barockfestival „Winter in Schwetzingen“ hat er durch den jetzt abgeschlossenen thematischen Schwerpunkt über Jahre nachhaltig und mit überregionaler Resonanz profiliert. So gesehen ist „Mitridate“ auch der gelungene Abschluss einer für ihn und das Haus erfolgreichen Arbeit!

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