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Tod durch Liebe Von Thomas Molke / Fotos: © Lorraine Wauters - Opéra de Wallonie Gaetano Donizetti, der nach Rossinis Rückzug von der Opernbühne Ende der 20er Jahre des 19. Jahrhunderts als meistgespielter Opernkomponist die Bühnen in ganz Europa beherrschte, hatte es zunächst in Paris nicht so leicht wie sein Vorgänger Rossini oder sein Nachfolger Verdi. Das französische Publikum belächelte ihn teilweise als Vielschreiber. Immerhin brachte er es in rund 25 Schaffensjahren auf über 70 Opern. Erst Lucia di Lammermoor brachte ihm 1837 am Théâtre-Italien in der Seine-Metropole den Durchbruch und öffnete ihm schließlich 1840 auch die Tür für die Grand Opéra. Da ihm jedoch für die Komposition nur zwei Monate Zeit blieben, fiel seine Wahl auf ein Werk, das er bereits im Vorjahr unter dem Titel L'ange de Nisida komponiert, jedoch nicht zur Aufführung gebracht hatte. Unter dem Titel La Favorite erweiterte er das ursprünglich auf drei Akte angelegte Stück zu einer vieraktigen Grand Opéra mit obligatorischer Balletteinlage. Den vierten Akt soll er dabei in knapp vier Stunden vollendet und die große Kavatine des Fernand sowie Teile des Duetts zwischen Fernand und Léonor sogar erst bei den Endproben eingefügt haben. Das Ergebnis avancierte zu einem seiner größten Erfolge. Allein an der Pariser Opéra stand die Oper bis 1904 650 Mal auf dem Spielplan und wurde 1912 als eine der ersten Opern überhaupt auf Schallplatte aufgenommen. Außerhalb Frankreichs wurde die italienische Fassung La favorita bevorzugt, die in Mailand 1843 in einer textlich und musikalisch stark veränderten Version herauskam. Erst seit den letzten Jahren ist, wie zuletzt an der Bayerischen Staatsoper (siehe auch unsere Rezension), auch andernorts die französische Originalfassung wieder mehr in den Mittelpunkt gerückt. Fernand (Celso Albelo) als Novize im Kloster in Santiago de Compostela Die Oper handelt von Leonor de Guzmán (Léonor), einer kastilischen Adeligen des 14. Jahrhunderts, die jahrelang die Mätresse des Königs von Kastilien, Alfons XI (Alphonse XI), war. Während der reale König allerdings seine rechtmäßige Gattin, Maria von Portugal, wirklich verließ, mit Leonor zusammenlebte und insgesamt sogar zehn Kinder zeugte, bevor sich die gedemütigte Ehefrau des Königs nach seinem Tod an der Geliebten rächte und sie hinrichten ließ, verhindert in der Oper Balthazar, der Prior des Klosters in Santiago de Compostela, dass der König seine Ehefrau zugunsten der Favoritin verlässt, indem er ihm mit Exkommunikation droht. Da kommt dem König der junge und unbedarfte Fernand gerade recht. Dieser hatte sich ursprünglich als Novize für das Klosterleben entschieden, war jedoch am Weihwasserbecken Léonor begegnet und hatte sich unsterblich in sie verliebt, so dass er das Kloster verließ und auf Bitten Léonors für den König in den Krieg gegen die Mauren zog. Nach seiner siegreichen Rückkehr sieht der König die Chance, dem Ausschluss aus der Kirche zu entgehen, indem er den erfolgreichen Soldaten zunächst in den Adelsstand erhebt und ihm dann auch noch Léonor zur Frau gibt. Léonor will Fernand vor der Hochzeit mittels ihrer Vertrauten Inès über ihre Vergangenheit als königliche Mätresse aufklären, um ihn dann entscheiden zu lassen, ob er sie trotz dieses Makels noch lieben kann. Doch Inès wird auf dem Weg zu Fernand verhaftet. So erfährt Fernand erst nach der Hochzeit durch den Spott der Hofleute, wen er geheiratet hat, stößt Léonor verletzt von sich, fordert vom König Satisfaktion und begibt sich unter dem Schutz seines ehemaligen Mentors Balthazar zurück ins Kloster. Nachdem er die Weihen zum Priester empfangen hat, kommt es zu einer letzten Aussprache mit Léonor, in der sie ihn von ihren wahren Gefühlen überzeugen kann. Doch für eine gemeinsame Zukunft ist es nun zu spät. Léonor stirbt in Fernands Armen. Fernand (Celso Albelo) hat das Kloster aus Liebe zu Léonor (Sonia Ganassi) verlassen. Das Regie-Team um Rosetta Cucchi verlegt die Handlung aus dem 14. Jahrhundert in eine nicht näher datierbare Zukunft, in der die Natur keinen Platz mehr hat. Konservierte einzelne Pflanzen werden in durchsichtigen Plastikbehältern in Schubladen eines großen, hohen Schrankes archiviert, der in seinem dunklen Holzton an eine riesige Schmuckschatulle erinnert. Die Mönche des Klosters verwalten in langen weißen Gewändern diese Unikate. Einzig im Palast des Königs hängt ein riesiger silberner verästelter Baumstamm aus dem Schnürboden herab. Doch auch dieser ist von einer Plastikschutzschicht in Form eines breiten Zylinders umgeben. Außerdem wirkt dieser Stamm genauso leblos wie die Steine auf der Insel Léon, auf der Fernand, nachdem er das Kloster verlassen hat, auf Léonor, die Frau seines Herzens, trifft. Selbst das Meer, das in einer Videoprojektion von Sergio Metalli diese Insel umspült, wirkt kalt und leblos. Die Frauen erinnern mit ihren langen weißen Haaren und den hellen Gewändern beinahe schon an Wasserleichen. Selbst Léonor hebt sich als Favoritin des Königs optisch nicht von den anderen Frauen ab. Einzig den beiden Tänzerinnen werden von der Kostümbildnerin Claudia Pernigotti bunte Farben zugestanden. Doch am Ende des Tanzes, mit dem sie im zweiten Akt den Sieg des Königs über die Mauren feiern, brechen die Tänzerinnen leblos zusammen und werden von der Bühne gezogen. Die Freude über den Sieg ist also genauso wenig von Dauer wie Alphonses Liebesbeziehung zu Léonor. Das macht der Prior Balthazar dem König am Ende des zweiten Aktes sehr beeindruckend deutlich. Léonor (Sonia Ganassi) ist die Geliebte des Königs Alphonse XI (Mario Cassi). In dieser von Männern dominierten Welt haben die Frauen kaum eine Daseinsberechtigung. Im ersten Akt dürfen sie den Mönchen nur verschleiert entgegentreten, um aus einem futuristischen keilförmigen Becken eine Art Taufe entgegenzunehmen. Bei diesem Vorgang wird der Novize Fernand erstmals auf Léonor aufmerksam, indem er sie bei dem Ritual nicht nur berührt, sondern auch ihren Schleier abstreift und sie damit als Frau wahrnimmt, was ihn schließlich veranlasst, der Kirche den Rücken zu kehren und sein Heil im Kampf gegen die Mauren zu suchen. Wenn der König ihm dann anlässlich seines Sieges Léonors Hand verspricht, kann Fernand sein Glück zunächst nicht fassen. In einem goldenen glänzenden Kleid tritt sie in dem Glauben zu ihm, dass ihn Inèz über ihre Vergangenheit als Geliebte des Königs informiert habe und er bereit sei, über diesen Makel hinwegzusehen. Umso tiefer ist dann Léonors Fall, wenn Fernand sie empört von sich stößt, nachdem er ihre Vorgeschichte erfahren hat. Von nun an bricht Léonor aus dem optischen Korsett aus, auch wenn sie da schon dem Tod geweiht ist. Im letzten Akt trägt sie kurze Haare und eine Hose. Ihre Kleidung ist so rein, wie das Ansinnen, Fernands Gnade zu erflehen. Wenn sie sich seinem erneuten Wunsch auf eine gemeinsame Zukunft widersetzt und in seinen Armen stirbt, sieht man im Halbrund der hinteren Bühne zahlreiche weibliche Schaufensterpuppen hängen, die wahrscheinlich für die ganzen Frauen stehen, die ihr Leben der Liebe eines Mannes geopfert haben. Auch wenn man Cucchis Ansatz nicht in jedem Punkt folgen mag, lässt sich nicht leugnen, dass die Bilder beeindrucken. Fernand (Celso Albelo, vorne links) hat Léonor verloren. Musikalisch bewegt sich der Abend auf hohem Niveau. Luciano Acocella lotet mit dem Orchester der Opéra Royal de Wallonie-Liège die großartigen Melodienbögen der Partitur differenziert aus und präsentiert aus dem Orchestergraben einen regelrechten Ohrenschmaus. Celso Albelo gestaltet die Partie des Fernand mit lyrischem Tenor, der in den Höhen zu keiner Zeit angestrengt klingt und die Leiden des jungen Mannes mit sauberen Spitzentönen ansetzt. Für seine große Arie am Ende des ersten Aktes, "Oui, ta voix m'inspire", in der er seiner Zuversicht für eine glückliche Zukunft mit Léonor freien Lauf lässt, erntet er genauso verdienten Jubel wie für die große Arie "Ange si pur, que dans un songe" im vierten Akt, in der er seine große Enttäuschung über Léonors Vergangenheit zum Ausdruck bringt. Sonia Ganassi punktet in der Titelpartie mit warm strömendem Mezzosopran und leidenschaftlichen dramatischen Ausbrüchen. Ihre große Arie "O mon Fernand!" im dritten Akt, in der ihr Traum von einer gemeinsamen Zukunft mit dem Geliebten geplatzt ist, avanciert in Ganassis eindringlicher Interpretation zu einem weiteren Höhepunkt des Abends. Mit Albelos Tenor findet Ganassis Mezzo zu einer bewegenden Innigkeit. Mario Cassi begeistert als König Alphonse XI mit markantem, kräftigem Bariton, der auch darstellerisch einen glaubhaften Wechsel vollzieht vom verliebten Mann hin zum kalkulierenden Machtmenschen, der nicht nur bereit ist, die Geliebte für seinen Frieden mit der Kirche zu opfern, sondern sie und seinen erfolgreichen Feldherrn auch noch vor dem ganzen Hof lächerlich macht. Ugo Guagliardo verleiht dem Prior Balthazar mit dunkel gefärbtem Bass enorme Autorität. Cécile Lastchenko und Matteo Roma runden als Inès und Don Gaspar das Solisten-Ensemble überzeugend ab, so dass es für alle Beteiligten großen und verdienten Beifall gibt. FAZIT Die Opéra Royal de Wallonie bietet mit dieser Produktion Belcanto-Genuss vom Feinsten, der auch von Cucchis relativ modernem Regie-Ansatz nicht beeinträchtigt wird.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung Bühnenbild Kostüme Licht Video Chorleitung
Orchester und Chor
SolistenLéonor de Guzman Fernand Alphonse XI Balthazar Inès Don Gaspar Un seigneur Tänzerinnen Mönche Léonors Dienerinnen
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E-Mail: oper@omm.de