Wiesbadens neuer Generalmusikdirektor Patrick Lange überzeugt...

Patrick Lange, Wiesbadens neuer Generalmusikdirektor, überzeugt in Richard Wagners Oper „Tannhäuser“, der ersten Zusammenarbeit mit Staatstheater-Intendant Uwe Eric...

Anzeige

WIESBADEN. Bei Romeo Castellucci in München wabert ein beängstigender Fleischberg, Jan Fabre holte in Brüssel einen nackten Geburtsvorbereitungskursus auf die Bühne, Sasha Waltz entblößte ihre Tänzer in Berlin: Wenn es um den Venusberg in Wagners „Tannhäuser“ geht, dann ist der unverstellte Blick auf Venushügel Standard.

Gepflegte Freikörperkultur

In Wiesbaden, wo Intendant Uwe Eric Laufenberg das Werk nun inszeniert hat, ist die gepflegte Freikörperkultur von Tänzern und Statisten, die sich regelmäßig mit der züngelnden Venusberg-Motivik aus dem Orchestergraben einstellt, eher ein ästhetisch ansprechender Schulmädchen- bzw. Pilger-Report als produktiv verstörend. Und in der Bilderflut der Ouvertüre auch ein bisschen ablenkend vom Wesentlichen: einem Wunder aus Klarheit, Klangsinnlichkeit und delikater Differenzierung, das Patrick Lange hier aus dem Staatsorchestergraben hervorzaubert.

Anzeige

Das ist die wichtigste Nachricht aus diesem Premierenabend: Der neue Generalmusikdirektor erfüllt in seiner ersten gemeinsamen Opernproduktion mit dem Intendanten die Erwartungen in höchstem Maß. Dafür wird er mit seinem Klangkörper, neben Albert Hornes kraftvollen Chören und vorzüglichen Solisten, vom Publikum begeistert gefeiert.

Aber die Neuproduktion auf der Basis einer eigens erstellten (und im Programmheft leider trotzdem nicht reflektierten) Mischfassung von Wagners Werk-Varianten für Dresden, Paris und Wien hat auch szenisch sehr starke Momente. Vor allem im 3. Aufzug, wenn die Todesahnung, von der Wolfram singt, in Rolf Glittenbergs Bühnenbild den passenden Rahmen findet: ein schwarzer Kasten, in dem ein riesiges weißes Kreuz liegt, auf dem der unerlöste Rom-Rückkehrer Tannhäuser zum Schmerzensmann wird. Am Kreuz erzählt Laufenberg auch die Tragödie der Elisabeth, der Sabina Cvilak ihren berührenden Sopran leiht, fesselnd zu Ende. Das Hemdchen, in dem die Liebende schutzlos im Schnee steht, wird sie abwerfen und barfuß in den kalten Tod gehen. Man darf ihre Nacktheit vielleicht auch als Flucht der Figur vor ihrer Idealisierung sehen, in Richtung einer zwischen reinem Lustprinzip und keuscher Muttergottes vermittelnden Sinnlichkeit, die in Elisabeth ja durchaus angelegt ist. In einer vielsagenden Regieanweisung Wagners spendet sie im zweiten Aufzug Tannhäusers Verlangen Beifall, zensiert ihre Gestik freilich schnell angesichts normierter Sittlichkeit der Wartburg-Gesellschaft. Diese wird von Young Doo Parks mächtigem Landgrafen Hermann im hochdekorierten Offiziers-Anzug angeführt und von Thomas de Vries als Biterolf in der Lodenjacke kernig vertreten.

Mit der Triebabfuhr hat es die schöne Liebesgöttin Venus, von Marianne Glittenberg hoheitsvoll-edel eingekleidet und von Jordanka Milkova mit verführerisch abgedunkeltem Timbre ausgestattet, deutlich leichter als Elisabeth. Ihren Tannhäuser vernascht sie auf multifunktionalen, profanen wie sakralen Zwecken dienenden (Kirchen-) Bänken. Wenn Wagners Grazien bei Umbauarbeiten als Möbelpackerinnen gefragt sind, evoziert das schon mit Nestroy zur Parodie tendierende Opus allerdings auch in Wiesbaden eine gewisse Heiterkeit. Ganz, ganz ernst nehmen muss man freilich einen Wolfram von den lyrisch-baritonalen Qualitäten Benjamin Russells, neben Patrick Lange der umjubelte Star des Abends. Für Elisabeth, in die er ja höchst unglücklich verliebt ist, wäre dieser Wolfram auch stimmlich die bessere Wahl gewesen. Aber sublimierende Kuschelbären sind nicht so sexy wie coole Einzelgänger.

Zwischen Venusberg und Wartburg-Welt

Lance Ryan, als Peter Grimes in Wiesbaden ein großartiger Sängerdarsteller, kämpft mit den Erosionserscheinungen seines Tenors und laviert sich teils im Sprechgesang durch die schwere Partie. Schön ist das nicht, hat aber packende Momente, in denen der Stimmzustand mit dem gelebten bzw. verlebten Leben kongruiert, mit dem Leid eines zwischen Wartburg-Welt und Venusberg Aufgeriebenen. Als solchermaßen Zerrissener wird Tannhäuser bereits in der Ouvertüre szenisch eingeführt: Angesichts eines aktuellen Videos von Papst Franziskus inhaliert der Pilger, dem die allgemeine Heiligkeit über den Kopf wächst, mit einer Narkosemaske seine erotische Gegenwelt, entfesselt im Drogenrausch eine Phantasmagorie lustvollen Pilger-Treibens auf den Kirchenbänken. Dass er am Ende dann ins Licht und wohl in Richtung Erlösung geht und nicht etwa in der Wiederkehr des Immergleichen gefangen bleibt, überrascht ein wenig, sieht aber gut aus.