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Berlins Staatsoper – auferstanden mit Routine

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Daniel Barenboim im Saal der sanierten Staatsoper
Generalmusikdirektor Daniel Barenboim begrüßt in der sanierten Staatsoper. © dpa

Mit Promi-Getöse von Merkel bis Rehhagel und einer langatmigen „Faust“-Version ist am Dienstagabend die Berliner Staatsoper Unter den Linden wiedereröffnet worden.

Berlin – Böse Geister wie Mephisto tun ja so was: aufrechnen, dass 0,5 Sekunden zusätzlicher Nachhall und fünf Extra-Höhenmeter für nur 400 Millionen Euro zu haben sind. Gut, da wären noch die modernisierte Bühnentechnik, ein unterirdischer Gang, der das Kulissengeschiebe und Personalgelaufe erleichtert. Dazu neue Wandbespannungen, aufgefrischte Marmorböden, hinterngerechte Stuhlpolster und mit dem Apollo-Saal ein Foyer, das bei Übervölkerung nicht mehr gnadenlos knallt und dröhnt. Was sehr vorteilhaft ist, wenn wie am Eröffnungsabend die Promi-Blase von Maischberger und Merkel über Wickert, de Maizière, Lammert bis Müller-Westernhagen und Rehhagel (!) zu Sekt und Häppchen drängt. Altkanzler Schröder, der sich mit neuem Arbeitgeber offenbar als Kopf einer imaginären russischen Delegation fühlte, verdrückte sich in der Pause. Da war er nicht allein.

Intendant Jürgen Flimm (re.) begrüßte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. 
Intendant Jürgen Flimm (re.) begrüßte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. © dpa

Vom „nationalen Ereignis“ sprach Bundespräsident Steinmeier in seiner launigen Rede. Wiedereröffnung der Staatsoper Unter den Linden, nach Zwist, Kostenexplosion und Verzögerung, da halten sich Stolz, Erleichterung und ein allgemeines „Schwamm drüber“ die Waage. Der 3. Oktober ist am Berliner Nobelhaus, auch übrigens während der Exiljahre im Schillertheater, fix als großer Premierentermin. Dafür sorgt schon der geschichtsbewusste Generalmusikdirektor. Robert Schumanns „Szenen aus Goethes Faust“ waren Daniel Barenboims Wunschstück, nachdem die Uraufführung eines Werks von Wolfgang Rihm nicht zustandegekommen war.

DDR-Disney-Version von königlichem Barock

Für Barenboim, als Garant des Staatsopern-Ruhms mit Standing Ovations bejubelt, ist die Angelegenheit übrigens eine kleine Niederlage. Er war es, der eine Entkernung und einen modernen architektonischen Innenschuh gefordert hatte. Was nun gefeiert wird, ist jedoch nichts anderes als die DDR-Disney-Version von königlichem Barock – was sich eben die Arbeitereinheitspartei in den Fünfzigern unter alter Pracht so vorstellte. Nach den wenigen Eröffnungstagen, „Präludium“ getauft, muss übrigens wieder zugemacht werden, auch so eine Berliner Pointe. Noch ist die Renovierung nicht abgeschlossen, erst im Dezember geht es richtig los.

Immerhin: Der Umbau hat Verbesserungen gebracht. Früher drohte bei groß besetzten Opern das Knalltrauma, jetzt hat die Musik Luft. Nicht nur der Nachhall von 1,1 auf 1,6 Sekunden ist daran schuld, auch die Aufstockung um eine Schall-Galerie ohne Sitze. Die Verstärkeranlage möbelt die Akustik behutsam auf, ein auch andernorts genutzter, gern totgeschwiegener Kniff. Licht, obertonreich, griffig ist der Klang, viele Details lassen sich von den Kritikerplätzen des zweiten Rangs orten. Was etwas fehlt, ist die bassige Grundierung, der Unterleib, sind jene Resonanzen, die dafür sorgen, dass die Musik nicht nur ins Hirn, sondern auch in den Bauch geht.

Intendant Jürgen Flimm donnert den Abend mit Routine-Firlefanz auf

Hell ist das Haus geworden, nicht nur weil poliert wurde. Manchmal scheint es, als ob selbst in die Kristall-Lüster Dioden geschraubt wurden. Während der Vorstellung strahlen Sicherheitslampen, die in die Holztreppen montiert wurden, so penetrant, dass problemlos mitgelesen werden kann. Da braucht es die Handy-Screens gar nicht, auf die einige gelangweilte Gala-Gäste während der Premiere starren. Das Problem mit dem nicht genutzten Proszenium wurde auch im sanierten Haus nicht gelöst. Trutzig und wuchtig klotzen die beiden Steinwände in den Raum: Die Linden-Oper bleibt eben ein historischer Hybrid – wozu das Premierenstück ganz ausgezeichnet passt.

Oratorium? Oper? Leicht macht es Schumann mit seinen „Faust-Szenen“ nicht. Eine Schlaglicht-Folge, ein Best-of beider Goethe-Tragödien, das nach kurzen Zitaten der Gretchen-Handlung mit vollen Segeln im Ideendrama des „Faust II“ kreuzt. Kompositorisch ist der zweite Teil interessanter. Das Opus gilt als Interpretenstück (die Fan-Reihe listet Rattle, Gerhaher, Abbado plus Sawallisch) – und als Kassengift. Inszenieren ist bei dieser Produktion Chefsache. Intendant Jürgen Flimm belässt es nicht bei Schumann, sondern donnert den Abend mit Routine-Firlefanz und einer Überdosis Originaltext auf. Auch ein Geschenk für Sven-Eric Bechtolf, Freund aus Salzburger Festspieltagen, ist das, der den Gründgens light gibt und sich staatstheaternd am eigenen Ego weidet.

Teilzeit-Mephisto: Ex-Intendant Claus Peymann.
Teilzeit-Mephisto: Ex-Intendant Claus Peymann. © dpa

Zeitweise hat man das Gefühl, keiner Opern-, sondern einer Sprechtheater-Gala beizuwohnen. Meike Droste nölt und zickt das Gretchen, André Jung als Faust lässt mit Ironie aufblitzen, wie man sich der Sache besser genähert hätte. Auf Sänger-Seite werden ausschließlich Eigengewächse aufgeboten. Im Falle von René Pape, ein Mephisto zwischen Knurrhahn und Wohllaut, sowie der wunderbaren Elsa Dreisig (Gretchen) geht das auf, Roman Trekel liegt als Faust meist in vokalen Presswehen. Die Goethe-Schumann-Melange treibt Flimm mangels Reflexion in den Biedermeier-Comic. Wo Goethe Wichtiges, Wuchtiges verhandelt, dimmt die Regie alles mit Augenzwinkern herunter. „Wer hat das Haus so schlecht gebaut?“, mault Meike Droste einmal, dabei aufs Glucksen und Grinsen der Festgemeinde zielend.

Markus Lüpertz gestaltete das Bühnenbild

Markus Lüpertz, auch ein nationaler Künstler-Fall, lieferte als Bühnenbildner Puppentheaterhaftes mit hübschen Kreideschraffuren und zwei riesigen Figuren, die als Faust und Gretchen drohend über dem Abend wachen. Ein Kinderchor singt allerliebreizend als Gartenzwerg-Phalanx, Sopran-Legende Anna Tomowa-Sintow spricht die „Zueignung“ mit schwerem slawischen Akzent, im zweiten Rang schüttelt einmal Claus Peymann verzweifelt den Kopf.

Barenboim und die Staatskapelle Berlin interessieren sich für einen eher duftigen, geschmeidigen, fein abgeschmeckten Schumann. Nach nationaler Anstrengung klingt diese Interpretation gottlob nicht, am Ende gerät das Ensemble trotzdem etwas aus dem Gleis. Aber da ist es auch schon, nach Reden, zwei aufgedunsenen Teilen und überlanger Pause halb zwölf. „Gerichtet“? „Gerettet“? Gelangweilt. 

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