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macht aus der Welt einen Misthaufen Von Bernd Stopka / Fotos von Thomas M. Jauk „Dann soll er doch eine eigene Oper mit heutiger Handlung schreiben“ – ist einer der Standard-Stöhner von Opernbesuchern, die sich über allzu drastische Auswüchse des modernen Regietheaters ärgern. Leonard Bernstein hat es gemacht, eine Idee von Jerome Robbins aufgenommen und zusammen mit Arthur Laurents und Stephen Sondheim mit der West Side Story eine 1950er Version von Romeo und Julia geschaffen. Die spielt in den Straßen der West Side von Manhattan, einem Stadtteil, den man heute wohl als Problembereich bezeichnen würde. Statt der verfeindeten Veroneser Familien sind es amerikanische und puerto-ricanische Jugendliche („Jets“ und „Sharks“), die sich bekämpfen, die Liebenden heißen Tony und Maria. Aus dem Balkon wird eine Feuerleiter. Migration, Integration, Assimilation, verschiedene Traditionen und Werte - gesellschaftliche und kulturelle Konflikte von Einwanderern und Einheimischen sind zeitlos und gerade auch heutzutage nur viel zu bekannt und allgegenwärtig. Ensemble In Hannover hat Matthias Davids dieses erfolgreichste aller Broadway-Musicals neu inszeniert und erzählt die Handlung eins-zu-eins ohne künstliche Aktualisierung, aber doch zeitlos. Alltagstaugliche Kostüme von Susanne Hubrich unterstützen diesen Gedanken. Die Parallelen zum Heute sind offensichtlich, manche Sätze hört man immer wieder genauso auf der Straße oder in Diskussionen. Besonders intensiv gelingt die Balkonszene, in der es wirklich einen Balkon gibt, zu dem Tony hinaufsieht und später dann auch klettert. Geradezu niedlich goldig wirkt die leichte Unbeholfenheit der jungen erstmals Liebenden beim Abschiednehmen. Die Liebesnacht wird mit andeutender Ästhetik tänzerisch vom großen Ensemble dargestellt. Das verhindert nebenbei auch geschickt jegliche Peinlichkeit, die solche Halbnackt-Szenen zuweilen haben können. Surreale, albtraumhafte Choreographien, die nach dem (hinreißend gesungenen) „Somewhere“ die Ängste und Verzweiflung über die Hoffnung triumphieren lassen, werden zum emotional intensivsten Erlebnis des Abends. Erschreckend deutlich, aber nicht überzeichnet wird die wohl grausamste Szene herausgearbeitet: Tony versucht, den immer brutaler werdenden Zweikampf zwischen Riff und Bernardo zu beenden, zieht Riff weg und öffnet damit dessen Deckung für den tödlichen Messerstich Bernardos. Wütend fühlt er sich mitschuldig am Tod seines Freundes und tötet im Wut-Affekt Bernardo, den Bruder seiner geliebten Maria und Freund ihrer besten Freundin… Das gelingt so intensiv, dass der Applaus zur Pause dem Publikum in den Fingern stecken bleibt. Dennis Henschel (Riff, l.), Taddeo Pellegrini (Bernardo), Ensemble Bühnenbildner Mathias Fischer-Dieskau hat zwei verschiebbare, räumlich bespielbare, bühnenhohe Wandelemente mit Fenster- und Türöffnungen, Leitern und Balkonen aus rostig wirkendem Material geschaffen, die in verschiedenen Stellkonstellationen, die jeweiligen Szenenbilder dezent andeuten, erstaunlich intensive Räume schaffen oder ineinandergreifend eine begrenzende Hintergrundwand bilden. Meist undeutliche, stilisierte, künstlerisch bearbeitete Hintergrundprojektionsbilder ergänzen die optischen Eindrücke von Straße, Kaufhaus, Highway-Brücke… Vollendet wird der optische Eindruck aber erst durch die unglaublich eindrucksvollen Beleuchtungseffekte (Licht: Susanne Reinhardt), die nicht nur individuelle Stimmungen schaffen und Emotionen ausdrücken, sondern auch aktiv mitspielen, z. B. wenn die Ankunft der Cops lediglich durch das Widerspiegeln des blau-roten Blinklichts ihres Wagens angekündigt wird. Am deutlichsten wird Grausamkeit und Dramatik, wenn sie in Kontrast zu unbeschwerter Lebensfreude gestellt wird. So wirkt das „I feel pretty“ der unwissenden Mädchen nach dem tödlichen Zweikampf ebenso beklemmend wie der die Realität ignorierende Übermut des „Officer Krupke“-Verspottens, wenn sich die Gesamtlage längst aussichtslos zugespitzt hat. Das „I like to be in America“ bekommt in heutiger Zeit allerdings auch für sich genommen einen zusätzlichen Beigeschmack. Michael Pflumm (Tony), Stella Motina (Maria) Choreographiert hat das Simon Eichenberger meisterhaft und es wird vom Ensemble und Ballett auch ebenso getanzt und gesungen – quicklebendig, quirlig, mit Spieltempo und Spielfreude. Das sind die Elemente des Abends, die neben aller Dramatik richtig viel Spaß machen. Gastdirigent Joseph R. Olefirowicz ist der musikalische Motor dieser Produktion, die auch für die Ohren ein Genuss ist, obwohl nicht immer alles auf Anhieb intonationssicher gelingt. Aus dem tollen Ensemble ragen Stella Motina als Maria, mit genau dem richtigen dunklen Timbre-Anteil in ihrem beseelten Sopran für diese Partie, und Carmen Danen als Anita mit großer Bühnenpräsenz und klangvollen Mezzoklängen hervor. Michael Pflumm ist ein herziger Tony mit sanft-zärtlicher, zuweilen etwas unsicherer Stimme, was aber zur Charakterisierung der Figur passt. Wolfgang Scheiner gibt den gutmütigen, vermitteln wollenden und doch am Hormonüberschuss der Jugendlichen scheiternder Doc so überzeugend und echt, dass man ihn trösten möchte. „Ihr macht aus der Welt einen Misthaufen“ lautet sein letzter Versuch. Im Original schließen die verfeindeten Gangs unter dem Eindruck getöteter Mitglieder und getöteter Liebe Frieden. Soweit ist die Welt heute noch nicht. Das sieht der Regisseur ähnlich und zeigt am Ende keine vereinte Trauerprozession, sondern einzelne schockierte Jugendliche, die ganz individuell reagieren, und setzt damit an das bedrückende Ende ein Fragezeichen.
FAZIT |
ProduktionsteamMusikalische Leitung Inszenierung Bühne Kostüme Licht Choreographie Chor Dramaturgie
Niedersächsisches
Ballett der
Staatsoper Hannover
Solisten Tony Maria Anita Riff, Anführer der Jets Action, Jet Baby John, Jet A-rab, Jet Big Deal, Jet Diesel, Jet Graziella, Jet Clarice, Jet Anybodys, Jet Bernardo, Anführer der Sharks Chino, Shark Rosalia, Shark Consuela, Shark Teresita, Shark Doc Lt. Schrank Officer Krupke Weitere
Informationen
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