Das Theater an der Wien, hauptsächlich bekannt für die Pflege des Nischen-Repertoires der Oper und mutige Regie-Experimente, hat Dirigent René Jacobs und Regisseur Torsten Fischer für die Realisierung von Mozarts letzter, wahrscheinlich beliebtester  Oper verpflichtet. Das Ergebnis ist eine Zauberflöte 2.0 in edlem und schlankem Design, mit den musikalischen Ecken und Kanten der historisch informierten Aufführungspraxis.

Nun ist eine Zauberflöte ohne Palmenhain und Pyramiden nichts Neues. Neu ist, wie Regisseur Torsten Fischer und sein Dramaturg Herbert Schäfer es schaffen, durch sorgfältig durchdachte Striche und textliche Überarbeitung das Werk von unkritisch tradierten Gepflogenheiten zu befreien, und im Gegenzug die Kernaussagen dieser Oper zu Toleranz und Freiheit schärfen. Da kommen weder Freimaurerei noch Tiere vor, dafür wird die Oper als Ringen der Geschlechter um Gleichberechtigung gelesen, die Wasserprobe gar mit der aktuellen Flüchtlingsthematik verknüpft.

Bei allem intellektuellen Anspruch  kommen die Sinne jedoch nicht zu kurz. Beispielsweise ist die Tempelmauer mit dem mehrsprachigen Relief eines Luigi Nono-Gedichts (Lebendig ist, wer wach bleibt) ebenso schön wie sinnvoll; gleiches gilt für die szenische Umsetzung der Bildnisarie: Darin fegen schwarz gekleidete Damen mit ihren Röcken den Boden und enthüllen so ein antikisiertes Frauenporträt, welches wiederum an den Bühnenhintergrund gespiegelt wird (Ausstattung: Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos).

Die Akademie für Alte Musik Berlin folgt dem Dirigat von René Jacobs ergeben und setzt dessen Mozart-Lesart mit scharfen Akzenten und ein wenig gekünstelten Tempo-Experimenten um. Dennoch ist der Gesamteindruck nüchtern-trocken bis schwerfällig und gibt die Originalität der Partitur und des Bühnengeschehens kaum wieder; zudem kratzt und schrammt in der Ouvertüre bei den Violinen mitunter heftig. Auf der Habenseite ist hingegen Jacobs‘ Einfall zu verbuchen, zu Beginn des zweiten Aufzugs Tamino die Mozart-Kantate „Die ihr des unermeßlichen Weltalls Schöpfer ehrt“ singen zu lassen. Im selben Jahr wie die Zauberflöte (1991) auf einen Text des deutschen Sozialutopisten Franz Heinrich Ziegenhagen komponiert, fügt sich diese Kantate stilistisch und thematisch nahtlos in die Oper. Die darin enthaltene Botschaft für Liebe und Toleranz, gegen Vorurteile und Sektiererei, ist ohnehin immer aktuell.

Durchwegs erfreulich ist, was an gesanglichen Leistungen an diesem Abend geboten wurde. Allen voran beeindruckte Nina Minasyan als Königin der Nacht. Ihre Koloraturen gestaltete sie mit vokaler Klarheit, aber auch als Eruptionen großer Emotionen, welche „Der Hölle Rache“ in die Nähe einer Wahnsinnsarie rückten. Das entspricht auch dem Regiekonzept, welches die mütterlich-verzweifelte Seite der Königin der Nacht hervorstreicht. Dass dadurch konsequenterweise auf die große Pose in grandioser Robe verzichtet werden muss, mag manche vielleicht enttäuschen, macht aber wesentlich mehr Sinn als die übliche Zauberflöten-Folklore, welche die Königin bei ihrem grandiosen Auftritt als eine Art dea ex machina erscheinen lässt. Ihr Gegenspieler Sarastro setzt mit seinem royalblauen Anzug einen optischen Glanzpunkt im Dunkel der Szenerie; mit seinem klaren Bass sorgt Dimitry Ivashchenko auch für vokale Aufmerksamkeit. Dem am ganzen Körper tätowierten Monostatos von Michael Smallwood nimmt man die Verzweiflung des Außenseiters ab. In dieser Inszenierung will sich dieser selbst verbrennen (Feuerprobe einmal anders), wird aber gerettet.

Papageno trägt neongrüne Stutzen und Trekking-Schuhe, und auch der Rest seines Outfits scheint von dem inspiriert, was hierzulande unter „Volks-Rock’n’Roll“ firmiert. Dazu kommen schwarzgefederte lederne Schulterpolster, so als ob einem Hells Angel Flügel wachsen wollten. In dieser dankbaren Partie hat Daniel Schmutzhard die Lacher auf seiner Seite, zumal ihm der Wiener Schmäh („Oida!“) angeboren ist. Auch die musikalische Seite setzt er bestens um; dass ihm „Der Vogelfänger bin ich ja“ so gut gelingt, obwohl er auf elastischen Seilen auf- und niederspringt, ist bemerkenswert. Witzig-frivol gerät das Aufeinandertreffen von Papageno und Papagena (sogar als hässliche Alte entzückend: Katharina Ruckgaber), bei dem Papageno Blümchen von Papagenas Kleid abreißt und sie so buchstäblich defloriert. Das ist aber auch der einzige sexistische Witz, den sich Torsten Fischer in seiner politisch korrekten Inszenierung leistet. Das Duett „Bewahret euch vor Weibertücken“ ist ohnehin gestrichen.   

Ein wenig blass im Vergleich mit den anderen bleibt das Duo Pamina/Tamino (Sophie Karthäuser/Sebastian Kohlhepp), wiewohl beide viel gut und nichts falsch machen – im Grunde genommen ist das aber bei einer gut besetzten  Zauberflöte eher die Regel als die Ausnahme, so wie es jeder Don Giovanni gegen einen guten Leporello schwer hat. Besser ergeht es da den drei Damen und den drei Knaben (Solisten der St. Florianer Sängerknaben); besonders letzteren kommt in dieser Regiearbeit eine tragende Rolle zu, da sie die Gedanken der handelnden Personen verdeutlichen.

So ungewöhnlich diese Inszenierung der Zauberflöte ist, so gut kommt sie beim Publikum an: Ein klares, intellektuell spannendes Konzept gepaart mit Lust an Spiel und Spaß ist nie verkehrt. Dass einem die Handlung trotzdem ähnlich obskur wie jene von Il trovatore  erscheint – geschenkt. Das war schon immer so und darin liegt auch viel Potenzial: Wie zu erleben war, kann man sich immer noch überraschen lassen.

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