Der Schatten von Fukushima

Philippe Manourys Musiktheaterstück «Kein Licht» nach Texten von Elfriede Jelinek ist ein multimediales Gesamtkunstwerk. Nur seine Botschaft bleibt diffus.

Thomas Schacher, Strassburg
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Bald Musiker, bald Elementarteilchen: Niels Bormann und Caroline Peters in «Kein Licht». (Bild pd)

Bald Musiker, bald Elementarteilchen: Niels Bormann und Caroline Peters in «Kein Licht». (Bild pd)

Der gläserne Würfel mit der giftig gelben Flüssigkeit wirkt schon von Anfang an bedrohlich. In der Mitte des zweiten Teils passiert es dann: Die Flüssigkeit tritt aus, nicht nur aus dem Behälter, sondern von überall her, und überschwemmt die Bühne. Der Schauspielerin und dem Schauspieler, die als Hauptfiguren mit wechselnden Rollen durch das Stück führen, fällt nichts Besseres ein, als die Wasserfluten mit ihren Smartphones zu filmen und für Selfies zu posieren. Auf einer Filmprojektion an der Rückwand sieht man Horrorsequenzen einer atomaren Katastrophe. Die Live-Musik des Orchesters und die elektronisch produzierten Geräusche aus den Lautsprechern steigern sich zu einem höllischen Lärm. Dann ein gewaltiger Knall, Blackout. Stille.

«Kein Licht» heisst das Musiktheaterstück des Franzosen Philippe Manoury, das am Wochenende an der Opéra national du Rhin in Strassburg die französische Erstaufführung erlebt hat. Das Werk entstand im Auftrag der Pariser Opéra Comique und wurde am 25. August im Rahmen der Ruhrtriennale in Duisburg uraufgeführt. Textgrundlage bilden Elfriede Jelineks Theaterstück «Kein Licht» von 2011, ein Epilog von 2012 sowie ein aktueller Text von 2017, den die österreichische Literaturnobelpreisträgerin eigens für Philippe Manourys Musiktheater geschrieben hat. Der Dritte im Bunde ist der Regisseur Nicolas Stemann, der bekanntlich in zwei Jahren das Schauspielhaus Zürich als Co-Intendant übernehmen wird. Stemann, ein intimer Jelinek-Kenner, hat die Texte für Manourys Stück eingerichtet und teilweise aktualisiert.

Starke Gegenwelten

Hintergrund des «Thinkspiels» ist der Reaktorunfall im japanischen Atomkraftwerk Fukushima. Die Menschen und Tiere, die den GAU überlebt haben, versuchen, das Unfassbare zu fassen und irgendwie zur Normalität zurückzufinden. Eine eigentliche Handlung gibt es nicht, die Szenen folgen einer nichtlinearen Logik. Die beiden Schauspieler sind bald Musiker, bald Elementarteilchen, Konsumenten oder AKW-Lobbyisten. Verantwortung für die Katastrophe wollen sie nicht übernehmen. «Wir spielen nur die zweite Geige», sagt Niels Bormann immer wieder. Und was haben sie gelernt? «Keine Ahnung», sagt Caroline Peters am Schluss, «irgendetwas werden wir wohl gelernt haben.»

Manoury findet eine grosse Palette an vokalen und instrumentalen Redensarten, die der Dirigent Julien Leroy beeindruckend umsetzt. Sie reichen vom blossen Geräusch bis zum Schönklang, vom rhythmischen Sprechen bis zum expressiven Gesang. Dabei illustriert die Musik nicht einfach Jelineks Texte, sondern erschafft bisweilen starke Gegenwelten, so dass sich zwischen dem Semantischen und dem Emotionalen eine aussagekräftige Spannung aufbaut. Als Gegenpol zu den zwei Schauspielern wirkt das Gesangsquartett mit der Sopranistin Sarah Maria Sun, der Mezzosopranistin Olivia Vermeulen, der Altistin Christina Daletska und dem Bariton Lionel Peintre, die als Trauernde, Opfer und Geister der Toten präsent sind. Starke Akzente setzt auch das live-elektronisch verfremdete Neue-Musik-Ensemble United Instruments of Lucilin aus Luxemburg.

Stemanns postdramatischer Regieansatz passt gut zum handlungslosen Text von Jelinek. Unterstützt von Katrin Nottrodt (Bühne) und Marysol del Castillo (Kostüme), reichert er das Sprechen und Singen der Bühnenfiguren mit einer Fülle von Bildern, Metaphern und Parallelhandlungen an. Zusammen mit der Musik wird das Stück so zu einem multimedialen Gesamtkunstwerk.

Ein problematischer Schluss

Dabei scheut Stemann auch nicht vor ironischen und komischen Szenen zurück, was einem aber angesichts des apokalyptischen Charakters des Stücks das Lachen im Gesicht gefrieren lässt. Bleibt die politische Botschaft, die Stemann ganz konkret versteht. Die Erfindung einer Szene zum deutschen Atomausstieg dank französischem Atomstrom wirkt dann doch peinlich. Und sehr problematisch ist der Schlussteil des Stücks («Der Einzige. Sein Eigentum»), wo Jelinek die Gefahr eines von Donald Trump ausgelösten Atomkriegs heraufbeschwört. Da bleibt den beiden Schauspielern nichts anderes mehr übrig, als sich auf den Mars abzusetzen.