Wiederhören macht Freude

Christian Thielemanns «Tristan» oder Hartmut Haenchens «Parsifal»: Wer dirigiert Richard Wagner «richtig»? In den beiden Wiederaufnahmen der Bayreuther Festspiele kann man einiges lernen, auch über musikalischen Stil.

Christian Wildhagen, Bayreuth
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Treffpunkt im Unendlichen: Stephen Gould (Tristan) und Petra Lang (Isolde) sind Gefangene ihrer Liebe. (Bild: Enrico Nawrath / Bayreuther Festspiele)

Treffpunkt im Unendlichen: Stephen Gould (Tristan) und Petra Lang (Isolde) sind Gefangene ihrer Liebe. (Bild: Enrico Nawrath / Bayreuther Festspiele)

Bei den Bayreuther Festspielen kann man in diesem Jahr einen aufschlussreichen Vergleich anstellen: Zwei der profiliertesten Wagner-Dirigenten unserer Zeit dirigieren dort hintereinander die turnusgemässen Wiederaufnahmen von «Tristan und Isolde» und «Parsifal». Christian Thielemann, der amtierende Musikdirektor der Festspiele, feiert eine Art Heimspiel mit dem «Tristan» – dem Werk, dem er seinen internationalen Durchbruch in den neunziger Jahren verdankt. Hartmut Haenchen, nicht minder Wagner-erfahren, doch im deutschsprachigen Raum lange Zeit auf alte Musik festgelegt, musste dagegen zeigen, dass sein sensationeller Erfolg als Einspringer bei der «Parsifal»-Premiere 2016 nicht bloss ein Zufallstreffer unter besonderen Umständen war.

Werkkenntnis und Kontrolle

Thielemanns Lesart des «Tristan» hat sich unterdessen auf bemerkenswerte Weise gewandelt: Das Rauschhafte, Schwere, ja Exzessive der Liebestragödie, das Thielemann früher bis an die Grenzen zur dirigentischen Selbstentäusserung trieb, ist mittlerweile einer Sublimierung durch umfassende Werkkenntnis und Kontrolle gewichen. Noch immer raunt und rauscht es mächtig im ungemein farbig aufgefächerten Orchesterklang – Thielemann beherrscht die heikle Akustik des Festspielhauses schlichtweg wie kein Zweiter; gleichzeitig ist der Überdruck früherer Jahre jedoch der Gelassenheit und dem weiten Atem des überlegenen Gestalters gewichen. Vor allem orchestral ist dieser «Tristan» ein Fest – vom stimmig gesteigerten Vorspiel bis zum gleichsam fragend ins Unendliche weiterklingenden Schlussakkord, sechs Stunden später.

Sängerisch bleibt Stephen Gould als ein Tristan in Erinnerung, der wohl als einziger Heldentenor der Gegenwart selbst die Fieberträume des mörderischen dritten Aktes mit heiler Stimme übersteht. Gegenüber früher zeigt er erfreulicherweise auch mehr emotionales Engagement. An Identifikation mit der Rolle hat es Petra Lang noch nie gefehlt; bei ihrer Isolde zeigen sich im Sopran der früheren Mezzosopranistin indes Registerbrüche, die man ähnlich von der späten Hildegard Behrens im Ohr hat.

Welche zuerst? Parsifal (Andreas Schager) hat die Qual der Wahl unter den verführerischen Harems-Blumenmädchen des bösen Zauberers Klingsor. (Bild: Enrico Nawrath / Bayreuther Festspiele)

Welche zuerst? Parsifal (Andreas Schager) hat die Qual der Wahl unter den verführerischen Harems-Blumenmädchen des bösen Zauberers Klingsor. (Bild: Enrico Nawrath / Bayreuther Festspiele)

Nach Thielemanns kontrollierter Ekstase wirkt Haenchens Ansatz beim «Parsifal» anderntags geradezu herb, ja asketisch. Doch rasch bemerkt das Ohr: Die Entschlackung des Klanges hat Methode, selten hört man diese späte, überreife Musik so filigran, so zerbrechlich-melancholisch, so sehrend nach innen gewendet, namentlich das tonal vagierende Vorspiel zum dritten Aufzug. Obschon die Tempi etwas entspannter sind als bei der Premiere 2016, erreicht Haenchen – ohne je über Gebühr zu eilen – abermals eine reine Spieldauer von unter vier Stunden; Dirigenten wie Toscanini, Knappertsbusch und Levine haben für das nicht nur in Bayreuth oft weihewonnenvoll zerdehnte Stück bis zu fünfzig Minuten länger benötigt!

Vom organischen Fliessen der Musik profitieren wiederum die Sänger, allen voran der überragend aus dem Text gestaltende Georg Zeppenfeld als Gurnemanz, die leidenschaftliche Elena Pankratova als Kundry und nicht zuletzt der einhellig gefeierte Andreas Schager als neuer Parsifal, der absehbar zu den führenden Bayreuther Sängern der kommenden Jahre gehören wird.

Sowohl als auch

Welcher der beiden Dirigenten aber hat nun recht mit «seinem» Wagner? Der aus der Furtwängler-Karajan-Tradition herausgewachsene Thielemann? Oder Haenchen, der die Errungenschaften historisch informierter Aufführungspraxis endlich auf Wagner überträgt? Im Sinne eines entschiedenen Sowohl-als-Auch würde man dieses einmalige Nebeneinander von Gegensätzen gerne noch ein paar Spielzeiten lang abwägend weiterverfolgen. Doch leider wird Haenchen aufgrund bestehender Verträge bereits im nächsten Jahr abgelöst, durch Semyon Bychkov.

Pünktlich zur Wiederaufnahme des «Parsifal» ist unterdessen ein Mitschnitt von Uwe Eric Laufenbergs Inszenierung aus dem Premierenjahr 2016 auf DVD und Blu-Ray erschienen (Deutsche Grammophon DVD/Blu-Ray 0735350/53). Die szenisch sehr viel dichtere und längst zu einem Meilenstein der «Parsifal»-Rezeption avancierte Vorgängerproduktion von Stefan Herheim harrt dagegen, obschon fürs Fernsehen mitgeschnitten, noch immer der Veröffentlichung, und mittlerweile steht zu befürchten, dass sie niemals publiziert wird – eine skandalöse Fehlentscheidung der Festspielleitung.

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