Natur und Geometrie: Vladislav Sulimsky, Elena Sancho Pereg.

Foto: Armin Bardel

St. Margarethen – Premierenpräludium: Der Himmel zürnt, es schüttet wie aus Kübeln. Doch Nässe und Elektrizität vertschüssen sich, und so kann mit einer halben Stunde Verspätung und nach einer Plauderei von Barbara Rett mit Regisseur Philippe Arlaud nach dem himmlischen Drama auch das irdische beginnen.

Man sieht künstliche Felsen und eine lange rote Treppe, die in den doppelturmartigen Palast des Herzogs von Mantua führt. Abgänge werden auf dem steilen Ding zu atemberaubenden Aufstiegen – da ist der Sportler im Sänger gefordert. Sparafucile wohnt samt Schwesterherz in einem kühnen kubistischen Kleinbau, Rigoletto hat seine Tochter in einem quadratischen Häuschen eingesperrt, das wiederum zwischen Felsen klemmt. Am linken Rand der Szene ragt ein Turm aus drei Dodekaedern in den schwarzen Nachthimmel. Dieser Mix aus Mathematik und Musik, Futurismus und Fels: schon einmal toll.

Felsen als Geschichtenerzähler

Noch toller sind das Lichtdesign und die Projektionen, mit denen der Franzose die Felsen zum mächtigen Geschichtenerzähler macht: Erst wird der Zuschauer von einem bedächtigen Ballett der Sternenkonstellationen bezaubert. Im dritten Akt, in der Gewitternacht am Ufer des Mincio, läuft Arlaud zur Hochform auf, fesselt mit einem Sturm der Elemente, Natur und Geometrie dabei auf elegante, kluge Weise verbindend. Fantastisch.

Gesungen wird bei der Premiere großartig: Vladislav Sulimsky interpretiert die Titelpartie auf noble Art; Elena Sancho Pereg verleiht der Gilda mit schlankem, höhensicherem Sopran Unschuld. Ein wohlklingender, eleganter Verführer (Kostüme: Andrea Uhmann): Yosep Kang als Duca di Mantova. Die Spanierin und der Koreaner trotzen im ersten Akt in heldenhafter Weise einem viertelstündigen Regenguss. Verglichen mit dem mächtigen Sparafucile von Sorin Coliban und der verführerisch verbrauchten Maddalena von Annely Peebo bleibt Clemens Unterreiner als Monterone blass.

Knisternde Regenmäntel

Anja Bihlmaier leitet das Symphonieorchester des Slowakischen Rundfunks und den Philharmonia Chor Wien souverän. Man hört einen mitreißenden, nuancierten Verdi; an den durchschnittlichen und fast etwas zu leisen Sound aus den versteckten Lautsprecherboxen gewöhnt man sich schnell. Mitunter kämpft eine Soloflöte mit einem vorbeifliegenden Flugzeug um die akustische Vorherrschaft, und die Regenmäntel fügen mit ihrem leisen Knistern neue, zeitgenössische Stimmen zu Verdis Partitur hinzu.

Nachmitternächtliche Premierenbegeisterung in St. Margarethen, als das farbenprächtige Drama sein Ende findet und in ein Feuerwerk der Begeisterung für alle Mitwirkenden mündet. (Stefan Ender, 13.7.2017)