Wim Wenders inszeniert „Die Perlenfischer“ als simple Geschichte um Liebe, Freundschaft und Eifersucht – Daniel Barenboim dirigiert im Schiller Theater

Schwarz-weiß sind die Erinnerungen – und wunderschön. Immer, wenn Nadir, Zurga und Leïla von der Vergangenheit singen, geht ein Gazevorhang runter und der Film an. Da sieht man wehende Palmen, Gesichter in Großaufnahme, Augen im Gefühlsüberschwang. Und das alles dunkel glühend, wie im Traum, von einer Tiefe, die an aufwändige Kunstfotografien erinnert.

Wir sind in der Staatsoper im Schiller Theater und doch im Kino: Wim Wenders, der weltberühmte Regisseur mit Wohnsitz in Berlin, widmet sich auf Einladung von Daniel Barenboim zum ersten Mal dem Musiktheater. Dazu hat er sich Georges Bizets Frühwerk „Die Perlenfischer“ ausgesucht. 1863 uraufgeführt, steckt es voll herrlicher Musik, die zuweilen deutlich an Giacomo Meyerbeer, Charles Gounod und Guiseppe Verdi erinnert, aber auch viele ganz eigene, Bizet’sche Momente besitzt: Rhythmen, die schon „Carmen“ vorwegnehmen, Arien, die originell italienische Glut und französische Leichtigkeit miteinander verbinden, äußerst wirkungsvolle Chöre. Und natürlich das berühmte Duett zwischen den Freunden Nadir und Zurga, ein Wunschkonzert-Hit, das sich als Motiv durch die ganze Oper zieht.

Das Libretto freilich gehört zu den problematischen Seiten des Werks. Was soll man heute mit der Exotismus-Sehnsucht des 19. Jahrhunderts anfangen? Bizet selbst war’s egal, ob „Die Perlenfischer“ in Mexiko oder Ceylon spielen, auch die Musik wird da nie spezifisch: Nadir und Zurga sind Freunde, verlieben sich beide in Leïla, verzichten aber auf sie, um diese Freundschaft zu retten. Nadir allerdings hält sich nicht an sein Versprechen, und als er Zurga besucht, der nun König der Perlenfischer ist, trifft er da auch Leïla wieder, die als keusche Priesterin den Himmel in Schach halten soll. Natürlich werden Nadir und Leïla zusammen erwischt.

Hier gibt es keine Metaebene, keine doppelte Erzählung

In einem Interview hat Wenders geschildert, warum er sich ausgerechnet „Die Perlenfischer“ für sein Operndebüt ausgesucht hat: Während einer Krisenzeit in San Francisco besuchte er eine Bar mit Opernmusik-Jukebox. Zufällig erwischte er die Arie des Nadir – von deren Sehnsucht war er zu Tränen erschüttert. Eine staunende Naivität, die Wenders gesamte Inszenierung prägt. Hier gibt es keine Metaebene, keine doppelte Erzählung, keinen Verweis aufs Heute. Sondern eine simple Geschichte um Liebe, Freundschaft, Eifersucht, tolle filmische Effekte aus Licht und Schatten, Schnitt und Zoom. Etwa als Leïla mit dem Schiff ankommt: Bis dahin war der Orchestergraben das Meer. Jetzt aber wendet sich der riesige Chor um, vorne bleibt nur Nadir an der Rampe zurück, und erst, als sich die Menge teilt, erkennt er die Geliebte.

Das Team um Barenboim und Wenders hat ganze Arbeit geleistet beim Versuch, das Werk durch Striche und Vereinfachungen auf eine klare dramaturgische Linie zu bringen. Jetzt spielt es nicht mehr in Ceylon, sondern „auf einer fernen Insel in einem der sieben Meere“, das Volk trägt merkwürdige Zottelperücken in Rot und Blau und eine Tünche im Gesicht, die matt zwischen Gold und Bronze schimmert. Ästhetisch wirkt das etwas gestrig, verhindert aber jede Form von konkreter Kolonialisierung. Wie ein pointillistischer Teppich wirkt David Regehrs Bühnenschräge, die sich durch Projektionen und Licht in einen Strand verwandelt. Hinten bauschen sich Vorhänge, die auch mal wie Baumstämme wirken.

So oder ähnlich hätte man das auch schon vor 30 Jahren inszenieren können

Zusammen mit Lichtdesigner Olaf Freese zaubert Wenders viele Atmosphären scheinbar aus dem Nichts, verbindet dabei effektvoll uralte Theatermittel und Filmprojektionen. So oder ähnlich hätte man das auch schon vor 30 Jahren inszenieren können, aber das macht die Sache ja nicht schlechter. Was auch für Montserrat Casanovas Kostüme gilt, weite Leinengewänder in eher blassen Farben, unter denen nur Leïlas Kleid heraussticht, das wie die vereinfachte Version eines Belle-Epoche-Kostüms wirkt. Olga Peretyatko-Mariotti nutzt es für dramatische Gesten. Die russische Sopranistin ist die souveränste Stimme des Abends, fast wirkt sie zu groß für diese zarte Leïla, ein nervöses Glutbündel, in dem sämtliche Verdi-Heldinnen angelegt sind. Francesco Demuros Nadir verrutscht vor der Pause die ein oder andere Note, auch kämpft er mit dem Übergang von Kopf- zu Bruststimme. Sein Tenor schwebt leicht gefährdet über den Dingen, entwickelt dort aber eine lichte Strahlkraft. Wunderbar harmoniert das mit Gyula Orendts kraftvoll-warmen Bariton, der im Duett mit Peretyatko-Mariotti für einen musikalischen Höhepunkt des Abends sorgt. Wolfgang Schöne beeindruckt als Oberpriester Nourabad mit präsenter Tiefe und Zauberer-Appeal, während der Chor gewaltige Klangmassen entfesselt.

Dank Wenders wurde übrigens auch Daniel Barenboim zum Debütanten: Er dirigiert „Die Perlenfischer“ zum ersten Mal, und man hört der Staatskapelle die kindliche Freude und Neugier an, mit der sich der Maestro in die Partitur stürzt. Lustvoll kitzelt er die Lyrismen und fein knackenden Rhythmen ebenso heraus wie die dramatischen Zuspitzungen, macht die Vorbilder hörbar, ohne damit Bizets Genie zu schmälern. Wie überhaupt die große Leistung des Abends ist, dieses äußerst selten gespielte Werk fürs Repertoire zurückerobert zu haben.

Staatsoper im Schillertheater, Charlottenburg, Bismarckstraße 110. Karten: 030 20 35 45 55. Wieder 30. Juni, 2., 4. Juli