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Ariodante 2017 Cecilia Bartoli (Ariodante). Foto: © Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus
Ariodante 2017 Cecilia Bartoli (Ariodante). Foto: © Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus
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Der Ritter von der angehaltenen Zeit – Eine Händeloper der Extraklasse zu Pfingsten in Salzburg

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Die Salzburger Pfingstfestspiele sind immer auch eine Cecilia-Bartoli-Show. Seit sie dort (programmatisch) das Sagen und vor allem das Singen hat. Seit sechs Jahren steht sie für eine gut durchdachte Programmpolitik. Und funkelt selbst als Koloratur-Brillant und Erzkomödiantin unter lauter vokalen Edelsteinen und leuchtendem Klanggeschmeide. In diesem Jahr als der Ritter Ariodante in Georg Friedrich Händels gleichnamiger Oper aus dem Jahre 1735. In der jagt nicht nur ein Bravourstück das nächste. Hier ist sogar die Handlung für barocke Libretto-Verhältnisse vergleichsweise gradlinig und durchschaubar. Die Prinzessin Ginevra und der Ritter und Vasall ihres Vaters, Ariodante, steuern auf ihr Eheglück und das schottische Thronerbe zu.

Doch Polinesso, der fiese Herzog von Albany (ein Charaktervorfahre Jagos), gaukelt seinem Rivalen Ginevras Untreue vor. Es folgen der Beinahe-Selbstmord des am Boden zerstörten Ritters und die Beinahe-Hinrichtung der Verleumdeten. 

Schließlich die glückliche Wendung durch das rechtzeitige Geständnis jener dem Bösewicht verfallenen und von ihm als Komplizin missbrauchten Hofdame Dalinda, Polinessos Tod und dann eine bejubelte Rückkehr von Glück und Freude. „Dopo notte……“ (Nach schwarzer und düsterer Nacht…) jubelt Ariodante. Ein längst zum Zugaben-Schmankerl für die Stars der Szene avancierter Hit, den man so schnell nicht wieder los wird, wenn man ihn einmal im Ohr hat. Die Bartoli lässt hier all ihre Koloratur- und Ausschmückungskünste und die Komödiantin in sich von der Leine. Inklusive der gepafften Zigarre für Männer nach dem großen Sieg über die Mächte der Finsternis – wie in „Independence Day“. So ein bartolineskes Ausrufezeichen platziert sie auch in den anderen beiden Akten. 

Vokales Ereignis!

Schon im ersten, dem hellen zukunftsfrohen Akt, macht sie aus der flotten Arie „Con l’ail di constanza…“ („Von Flügeln der Treue getragen“) das vokale und darstellerische Kabinettstück eines am Ende reichlich beschwipst torkelnden übermütigen Glücksritters. Dass sie mit der Nummer auftreten könnte, kann man gar nicht sagen: sie macht’s ja; ist damit voll in ihrem Element. Mit allem Gurgel- und Temperament-Drum-und-Dran, das man so nur von ihr bekommt. Und das Publikum tobt. Die hohe Schule aber ist das „Scherza infida ….“ (Ergötze dich, Ungetreue …), wenn Händel in der Verzweiflung enttäuschter Liebe die Zeit anhält, gleichsam das Aussetzen des Atems oder des Herzschlags komponiert. Was er, besonders hier, wie kein Zweiter kann. Und die Bartoli das ebenso atemberaubend ausgebremst und auf den Punkt verdichtet mit virtuoser Pianokunst zum Ereignis macht. Das ist einfach grandios. 

Das Wunderbare an dieser Produktion ist, dass die anderen Protagonisten ihr nicht nachstehen. Dass die Amerikanerin Kathryn Lewek als Ginevra von der Körpergröße genau zu ihrem Ritter passt, ist ein hübscher optischer Nebeneffekt, wie sie stimmlich passt, eine Entdeckung. Glockenklar, technisch perfekt mit beweglicher Stimme, mustergültigem Legato und einer Pianokultur bis ins Verhauchen. Ein vokales Traumpaar! Das am Ende denn auch aus dieser Welt der Täuschungen entflieht und alle anderen zurücklässt.

Polinesso bleibt auf der Strecke. Zum Glück erst ziemlich spät, denn der Counter Christophe Dumaux ist nicht nur ein smarter Macho und skrupelloser Intrigant. Er ist auch ein vokales Ereignis! Mit passenden Hochglanz-Timbre und einer betörend sicheren und kräftigen Höhe. Kein Wunder, dass ihm Dalinda verfallen ist. Sandrine Piau macht das mit schlanker Virtuosität glaubhaft. Dieses Weltklassequartett barocker Gurgeln wird angemessen komplettiert durch Nathan Berg als profundem König, Norman Reinhardt als Ariodantes Bruder Lurcanio und Kristofer Lundin in der kleinen Rolle des Königsgünstlings Odoardo.

Kürzen könnte man da höchstens bei den Pausen

Haben sich zu Händels Zeiten die Fürsten ihre Hof-Kapellen gehalten, so hat die Bartoli jetzt nicht nur ihre eigene Kapelle zusammengesucht, sondern auch einen Fürsten als Schirmherrn dafür gefunden. Der Fürst residiert in Montecarlo in Monaco – das Orchester aus handverlesenen Musikern heisst: Les Musiciens du Prince. Am Pult führt Gianluca Capuano das Regiment. Wie aus der Zeit gefallen: ein neues Spezialensemble, das gleich ganz oben einsteigen will. Virtuoser Originalklang vom Feinsten – die Stimmen tragend, jede emotionale Verästelung auskostend. Wenn auch oft kammerspielzarter als bei diesen Protagonisten nötig wäre. Gleichwohl: auch was aus dem Graben des akustisch nicht ganz einfachen Hauses für Mozart beigesteuert wird, ist exzellent. 

Weil es in diesen Pfingstfestspielen um die „Wonne der Wehmut“ geht, hat Johannes Leiacker einen weißen klassizistischen leeren Raum auf die Bühne gesetzt. Mit Flügeltüren und Dielenboden. Wenn sich die Rückwand öffnet, gibt sie den Blick auf einen Riesenprospekt mit variierenden romantischen Landschaften a la Le Lorrain hinten vor der Brandmauer frei. In dieses metaphorische Reich zwischen Wirklichkeit und Traum hat Christof Loy die Geschichte verlegt. Wenn die von Andreas Heise fantasiereich durch alle Stile choreographierten Balletteinlage im ersten Akt direkt und leicht ironisch mit dem Barock spielt, wird das zur puren Augenschmeichelei. Wenn die Verzweiflung triumphiert und die Tänzer wie die grabschenden Abgesandten der Alptraumhölle Ginevra traktieren, gähnt hinter den Wänden das pure Nichts. Loy nimmt die Balletteinlagen ernst, illustriert und kommentiert damit Seelenzustände. Deren exemplarischen Charakter betont auch das Changieren der Kostüme von Ursula Renzenbrink durch die Zeiten.

Anfangs gibt Cecilia Bartoli mit kurzem Haar und Bart einen ziemlich glaubwürdigen Mann. Wenn sich dann in der Verzweiflung diese Rollenzuschreibung verwischt und er/sie jenes Kleid, das ihr Polinesso wie einen Beweis der Untreue Ginevras vor die Füsse wirft, anlegt, wird die Bartoli trotzdem nicht zum Conchita-Wurst-Verschnitt. Wobei Loy durchaus mit Assoziationen spielt. Etwa wenn Polinesso sein Sexappeal bei Dalinda offensiv als Waffe einsetzt und das immer wieder mit einer Prise Macho-Brutalität a la „Fifty Shades of Grey“ würzt. Insgesamt bedient er freilich weniger die deklarierte „Suche nach sich selbst“ als den ja auch pur ziemlich spannenden Intrigenplot. Gekonnt wie immer und mit viel Spielraum für die Übersetzung von Musik in Bewegung.

An diesen viereinhalb Bruttostunden barockem Gesamtkunstwerk ist keine Minute zu viel. Kürzen könnte man da höchstens bei den Pausen.

Übrigens sollte man sich nicht über die Premierenbesucher wundern, die ihre Fliege offen um den Hals gelegt trugen. Ein Blick auf das Festspielplakat mit der Bartoli verriet warum sie das taten…..

Diese Produktion wird wie immer ins Programm der Salzburger Festspiele im Sommer übernommen!

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