1. Startseite
  2. Kultur
  3. Theater

Der Weg in den rettenden Zuschauerraum

KommentareDrucken

Als das Eis noch ewig schien: Der Wettlauf zum Südpol in Parallelmontage.
Als das Eis noch ewig schien: Der Wettlauf zum Südpol in Parallelmontage. © Martin Sigmund

Miroslav Srnkas gerade erst uraufgeführte Oper „South Pole“, in Darmstadt filmisch inszeniert von Karsten Wiegand.

Endlos im ewigen Eis auf der Suche nach dem südlichen Ende der Erdachse: 90º 0’ 0’’ S. Ein Wettlauf von zwei Mannschaften, die 1911 zur selben Zeit versuchen, als erste den Südpol zu erreichen, um dort die Flagge ihres Landes, England und Norwegen, zu hissen. Robert Scott und Roald Amundsen gehören zu der Helden- und Leidensgeschichte der Herausforderungen, denen man sich im 20. Jahrhundert stellt. Wer gewinnt, wer verliert, wie verändert diese gewissermaßen erfahrungslose und ungeprobte, alle physischen und mentalen Grenzen überschreitende Situation die Akteure?

Miroslav Srnka, der 42-jährige, in Prag geborene Schöpfer von „South Pole“, hat seine Oper auf ein Libretto von Tom Holloway geschrieben. Das Werk firmiert als „Doppeloper in zwei Teilen“ – bei einer Dauer von zwei Stunden – und erzählt den Wettlauf zum Südpol und den Heimweg ganz chronologisch. Das tut es nach einem aus dem Film vertrauten Verfahren, der Parallelmontage, wo Kamera und Schnitt jeweils zwei räumlich entfernte, oft voneinander nichts wissende Situationen und Protagonisten verbinden und den Zuschauer in eine überlegene, panoptische Position versetzen. Auf der Opernbühne gelingt dies annähernd über die strikte Halbierung des Raums und die Fixierung der beiden Expeditionsgruppen auf ihrer rechten beziehungsweise linken Hälfte.

So hat es Darmstadts Staatstheater-Intendant Karsten Wiegand bei der Inszenierung des erst am 31. Januar diesen Jahres an der Bayerischen Staatsoper uraufgeführten Werks nun getan. Dort hatte Hans Neuenfels inszeniert in einem White Cube abstrahierender, symbolischer Art. Dagegen herrscht in Darmstadt auf der Bühne des Großen Hauses eine vergleichsweise naturalistische Atmosphäre mit Eisberg-Prospekt sowie Schnee- und Gletscher-Tektonik vermittelndem Bühnenboden, der bei dem Expeditionsmarsch trefflich video-animiert wurde (Roman Kuskowski). Die Bühne zeigt die beiden konkurrierenden Gruppen in Gleichzeitigkeit, was durch Match-Cuts wie im Film realisiert wird. Wenn die eine Gruppe etwa ihr Zelt aufschlägt und Ball spielen will, tut die andere es, um darin eine Art Sauna zu betreiben.

Im zweiten Teil beim asynchronen Erreichen des Pols und vor allem bei der Um- und Heimkehr löst sich der strenge szenische Split auf. Die siegreichen Norweger landen im Zuschauerraum, wo sie über die Sitze klettern und sich wie zu Hause fühlen. Die Engländer bleiben als totes Häuflein auf der Bühne zurück.

Ist es ein Kompliment zu sagen, das Stück schaffe es, die Strapazen der Expedition auf das Publikum zu übertragen? Es nämlich weniger in das eigentlich dramatische Geschehen hineinzuziehen als vielmehr der Anstrengung des nur Halb-Involviertseins auszusetzen? Denn trotz Parallelmontage oder Match-Cut: Es gibt eben in der Oper keine Detailaufnahme, kein Close-Up. Die Totale, allenfalls Halbtotale dominiert - ein Häuflein Menschen um je ein Zelt geschart oder auf dem Weg. Im riesigen Bühnenraum. Ein sinnvolles, aber auf Dauer kein bewegendes Bild.

Dazu kommt eine kompositorische Dramaturgie, die auf Dramatik so gut wie ganz verzichtet. Am Fesselndsten waren die Passagen, wo die Inszenierung mittels Bildprojektion und wunderbar liegender Nebel-Wände samt einem bleigrauen Horizont eine wahrlich lastende und zwingende Kulisse erzeugte. Sie entsprach hervorragend der flächigen, spröden und verschlossenen Klangwelt Miroslav Srnkas. Erst am Ende, als die Männer dem Zuschauer gleichsam in die Sessel stiegen und sich zu den letzten Morsezeichen, die Scotts Tod übermitteln, in Ehrfurcht erhoben, übertrug sich eine Stimmung, die allzu lange im Bühnenkasten gefangen gehalten schien.

Unvermittelbar war die Innenwelt der Akteure mit der Verbindung zu ihrer Vorgeschichte. Die von der Bühnenseite aus stellenweise eine Beziehungsvergangenheitsbewältigung andeutende Perspektive der Frauen Scotts und Amundsens blieb angestrengt und aufgesetzt. Gesanglich waren hier aber markante Profile gegeben: von Katrin Gerstenberger volumenstark und schön gerundet, von Aki Hashimoto in extremer Höhe glockenrein.

Die Expeditionsgruppen waren in ihrer Interaktion und ihrem gestischen Repertoire hervorragend geführt, dabei stimmlich sehr homogen und nicht zuletzt in den beiden Expeditionsleitern Michael Pegher und David Pichlmaier markant. Das Staatsorchester unter Johannes Harneit versuchte erfolgreich, das Klanggewebe Srnkas mit Farbe und Kontur zu versehen.

Auch interessant

Kommentare

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

wir erweitern den Kommentarbereich um viele neue Funktionen. Während des Umbaus ist der Kommentarbereich leider vorübergehend geschlossen. Aber keine Sorge: In Kürze geht es wieder los – mit mehr Komfort und spannenden Diskussionen. Sie können sich aber jetzt schon auf unserer Seite mit unserem Login-Service USER.ID kostenlos registrieren, um demnächst die neue Kommentarfunktion zu nutzen.

Bis dahin bitten wir um etwas Geduld.
Danke für Ihr Verständnis!