Opernpremiere:Der Nazi-Staat als  Kitschgemälde

Fotoprobe 'La damnation de Faust'

Zum "Tanz der Irrlichter" turnen Athleten mit den Olympia-Ringen. In Terry Gilliams geschmackloser Inszenierung ist das NS-Regime ausgebrochen.

(Foto: Soeren Stache/dpa)

Terry Gilliams Versuch einer Inszenierung von Hector Berlioz' "La damnation de Faust" scheitert skandalös im Berliner Schillertheater.

Von Julia Spinola

Die Höllenfahrt aus Hector Berlioz' "La damnation de Faust" gehört zu den wildesten Kompositionen, die das 19. Jahrhundert hervorgebracht hat. Zum schroffen Galopp der ausgezehrt klingenden Streicher fegen hier die musikalischen Fetzen einer Welt in Trümmern vorbei, die Faust hinter sich lässt. Harmonisch und metrisch gerät das Geschehen aus den Fugen. Monströse Höllenknechte hetzen mit wuchtigen Klangballungen hinter ihrem Opfer her. Im Berliner Schillertheater mischt die bravouröse Staatskapelle Berlin an diesem Abend unter Sir Simon Rattles Leitung die Farben so grell und gespenstisch schillernd, dass ihr furioses Spiel synästhetisch beinahe einen leichten Verwesungsgeruch zu evozieren scheint. Dazu rast auf der Bühne eine filmische Projektion vor den agierenden Figuren ab. Faust und Mephisto sitzen auf einem alten Motorrad, als Tod kostümierte Tänzer kriechen wie lemurenhafte Höllengeburten à la Hieronymus Bosch um sie herum.

Das Stück changiert mit seinen bizarren Tableaus kühn zwischen den Gattungen

Eine "dramatische Legende" hat Berlioz seine Faust-Komposition von 1846 genannt. Als eine Folge bizarrer musikalischer Tableaus changiert sie kühn zwischen den Gattungen. Der Wechsel symphonischer und vokaler Abschnitte lässt am ehesten noch an ein Oratorium denken. Für eine szenische Aufführung dagegen hatte Berlioz das Werk nie konzipiert. Denn seine wilde, aus dem schwarzen Geist der französischen Romantik geborene Phantasmagorie überstieg bei Weitem alles, was die Bühnentechnik seiner Zeit hergab. Bis heute ringen Regisseure damit, diesen Horrortrip mit seinen surrealen, sich überlagernden Schauplätzen angemessen auf die Bühne zu bringen. Denn nicht nur mit dem finalen Höllenritt, sondern vom ersten Takt an schafft Berlioz eine höchst suggestive imaginäre Bühne, auf der eine musikalische Bilderflut vorbeifegt. Die raschen Szenenwechsel, die harten Schnitte dieser Komposition muten quasi filmisch an. Insofern dachte man, sei es keine schlechte Idee, einen Filmregisseur wie Terry Gilliam, Mitbegründer der Komikergruppe Monty Python, mit der Inszenierung zu betrauen. Auch Gilliam ist - man denke nur an seinen dystopischen Fantasyfilm "Brazil" - ein Bilderstürmer. Mit der "Damnation de Faust", die 2011 zuerst an der Londoner English National Opera herauskam und jetzt an der Berliner Staatsoper im Schillertheater Premiere hatte, ist er jedoch gescheitert.

Gilliam hat einen an Buntheit kaum zu überbietenden, comicartigen szenischen Reigen erfunden, in dem ein Effekt den nächsten jagt, und der es darauf anlegt, das Publikum optisch zu überwältigen. Sein Ansatz ist aber mehr als zweifelhaft. Er erzählt die gesamte Faust-Handlung vor dem Hintergrund deutscher Geschichte von der Kaiserzeit über die Weimarer Republik bis ins "Dritte Reich". Man könnte ihm möglicherweise folgen, würde hier nicht in einer plakativen Musical-Ästhetik ein verharmlosendes Kitschgemälde des Nationalsozialismus gezeichnet, das selbst vor der Bebilderung der Schoah nicht zurückschreckt.

Was ist das für eine Verschwendung der grandiosen musikalischen Ressourcen: Simon Rattle dirigiert so befreit, frisch und jung, wie man ihn schon lange nicht mehr erlebt hat: eine umwerfende Orchesterleistung. Auch das Sängerensemble erfüllt alle Wünsche: die alles überstrahlende Magdalena Kožená ist eine leidenschaftliche Marguerite mit sehrendem Mezzosopran-Leuchten. Charles Castronovo hat eine Fülle an Nuancen für Faust, Florian Boesch ist ein abgrundtief böser Méphistophélès.

Tatsächlich hat der vom Lebensekel angekränkelte Berlioz'sche Faust mit Goethes zweifelndem Tatmenschen wenig zu tun. Faust erscheint hier vielmehr als Inbegriff des romantischen Künstlers. Die Innerlichkeit der deutschen Romantik wiederum ist es, die sich auf Hildegard Bechtlers Bühne von der anfänglichen Caspar-David-Friedrich-Landschaft zur Hitler-Residenz auf dem Obersalzberg wandelt. Dort ist es plötzlich Hitler selbst, der als einsamer Romantiker in den Abendhimmel blickt. Das ganze NS-Regime, so zeigt es die Inszenierung, resultiert nicht etwa aus der politischen Wahl der deutschen Bevölkerung, sondern es befällt das Land auf ein Fingerschnipsen des Mephisto hin wie ein höllischer Teufelsspuk. Da wird zum "Ungarischen Marsch" mit sketchreifem Stühlerücken und Platzgerangel der konkurrierenden Herrscher von Mephisto persönlich ein großer Europakuchen angeschnitten und aufgeteilt. In Auerbachs Keller singt Brandes sein "Lied von der Ratte" in brauner Lederhose mit Hakenkreuzbanderole am Arm, bevor sich die Studenten aus ihren Kostümen pellen und plötzlich als Braunhemden strammstehen. Zum "Tanz der Irrlichter" turnen Athleten mit den Olympia-Ringen in der Hand nach Leni-Riefenstahl-Art, und die Wagner-süchtige nationalsozialistische Elite guckt sich eine "Siegfried"-Aufführung an, in der Faust Brünnhilde auf dem Walkürenfelsen besucht. Faust erscheint als ein hoffmannesker Lebemann mit putzig zu Berge stehender roter Haartolle. Marguerite ist als Klischeebild einer "schönen Jüdin" dargestellt, die in der Stube die Kerzen einer Menora anzündet, während unten auf der Straße die Pogromnacht nachgestellt wird.

Kritisch gemeinte, aber direkt gebotene antisemitische Klischees ruinieren die Inszenierung

Da blicken die mit gelben Sternen stigmatisierten und offensichtlich reichen jüdischen Bürger gierig in die Schaufensterauslagen, bevor sie der Prügellust der Braunhemden zum Opfer fallen. Marguerite träumt davon, sich mit blonder Zopfperücke in eine BDM-Prinzessin zu verwandeln, und verliebt sich prompt in den schmucken Faust, der inzwischen auch SS-Uniform trägt.

Deportation, Viehwaggons, schließlich ein Höllenfeuer im Konzentrationslager, Leichenberge mit KZ-Opfern zu den verklärenden Klängen der christlichen Apotheose am Ende, dazu haufenweise ungebrochene, wenn auch vermutlich in kritischer Absicht dargestellte antisemitische Klischees wie das der Juden als Volksparasiten, wenn im Floh-Couplet ein Tallit-tragender Jude mit Hakennase aus dem Flohkostüm krabbelt - das alles macht diese Inszenierung schier unerträglich, ja zu einem Skandal. Das Berliner Publikum quittierte es mit vehementen Buh-Stürmen, in die sich einzelne Bravorufe mischten.

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