Kommt ein Monty Python auf die Bühne, geraten auch in der Staatsoper alle Weltsichten aus den Fugen. Premiere von „Fausts Verdammnis“

Das Bezwingendste an dieser Opernpremiere ist die Musik, wie sie Sir Simon Rattle aus dem Orchestergraben der Staatsoper hervorzaubert. Er führt Hector Berlioz’ 1846 uraufgeführtes Werk „La Damnation de Faust“ (Fausts Verdammnis) in seiner ganzen Getriebenheit und Sinnlichkeit, voller romantischer Schwere und zugleich Leichtigkeit im Fluss vor. Die Staatskapelle blüht unter Rattles Stabführung auf. Auf der Bühne agieren großartige Solisten und ein ebenso großartiger Chor. Sie sind die Akteure in Terry Gilliams gut zweistündigem Opernspektakel, das den Bogen von der deutschen Romantik hin zur Nazi-Zeit schlagen will, und bei dem Mephisto gleich zu Beginn unmissverständlich kundtut, dass es auch um Hitlers „Mein Kampf“ geht.

Der US-Amerikaner Terry Gilliam (76) war Mitbegründer der britischen Comediangruppe Monty Python und er hat neben Filmsatiren wie „Die Ritter der Kokosnuss“ auch Dystopien wie „12 Monkeys“ mit Bruce Willis gedreht. Zwei Dinge kann man bei Gilliam jetzt lernen. Auch der Opernbesucher hat eine Sehnsucht nach großen Bildern, die vor allem von Sinnlichkeit leben. Gilliams Bilderflut, die auch Filmmontagen von Leni Riefenstahl enthält, ist im Guten wie Bösen erschreckend überwältigend.

Gretchen wird zur schönen Jüdin mit blonder Perücke

Zum anderen wird deutlich: Wenn ein Monty Python die Bühne betritt, geraten auch an der Staatsoper alle Weltsichten aus den Fugen. Man kann staunen, lachen oder entsetzt den Kopf schütteln. Eine von Gilliams kruden Regieideen macht aus dem Gretchen eine schöne Jüdin, die sich unter der blonden Perücke versteckt. Faust verfällt ihr, sie aber wird ins Konzentrationslager deportiert.

Die Inszenierung ist 2011 für die English National Opera entstanden. Man merkt ihr eine gewisse angelsächsische Lust an, in den Deutschen am liebsten Nazis zu wittern. Hakenkreuz, Hitlergruß, Braunhemden und schwarze Uniformen gehören zur Grundausstattung dieser kurzweiligen Geschichtsklitterung. Harald Schmidt hat einmal über jene auf die Nazi-Zeit hingebogenen Opernaufführungen gespottet: Wenn in einem Provinztheater Asiaten in SS-Uniform in die Kantine kämen, so Schmidt, dann stände der „Freischütz“ auf dem Programm.

Faust wird bei Berlioz zur leidenden Künstlerfigur

Webers „Freischütz“ von 1821 ist eine Nationaloper und Goethes „Faust“ das literarische Heiligtum der Deutschen. Der Dichterfürst berichtet von Faust, der die Welt erkennen will und dafür bereit ist, einen Pakt mit dem Teufel einzugehen. Bei Berlioz wird der Pakt erst gegen Ende vom verzweifelten Faust unterzeichnet. In all den faustischen Abgründen hat Berlioz etwas zutiefst Romantisches für sich entdeckt. Faust wird bei ihm zur an sich selbst leidenden Künstlerfigur.

An dieses Bild knüpft Terry Gilliam an. Er hat neben Faust gleich noch einen weiteren Romantiker im Sinn: Hitler. In einem kitschigen Opernbild steht der Träumer in Berchtesgaden auf einem Felsvorsprung. Eine junge Blondine wird ihm von Mephisto hoch geschickt. Sie stellt sich bescheiden hinter ihn, er sieht sie nicht. Am anderen Felsen spult sich eine Wagner-Parodie ab. Dort ruht Brünnhilde in lodernden Flammen. Siegfried kommt und reicht Faust das Schwert. Der kämpft sich durch die Flammen, schläft aber neben Brünnhilde ein.

Eine Slapstick-Szene mit den gekrönten Häuptern Europas

Bereits im ersten Teil ist Gilliam eine Slapstick-Szene gelungen. Berlioz hat den Anfang in die Puszta-Landschaft Ungarns verlegt, er wollte unbedingt den Rákóczi-Marsch in seiner „Dramatischen Legende“ von Faust unterbringen. Gilliam lässt zur Marschmusik leere Stühle hereintragen, dann erscheinen die gekrönten Häupter Europas. Alle umarmen sich, bis auf einen. Überhaupt ist beim Deutschen alles kleiner – selbst das Fähnchen auf dem Verhandlungstisch, wenn es darum geht, die Welt aufzuteilen.

Auerbachs Keller verwandelt sich in einen Bierkeller der Weimarer Republik. Die Studenten sind SA-Mitglieder, es fallen erste antisemitische Töne. Gilliams Inszenierung offenbart beiläufig, dass die Macht der Bilder auch eine gefahrvolle Ohnmacht enthält. Antisemitische Stereotypen, die mit zum Holocaust führten, lassen sich nicht entlarven, indem man sie ungebrochen wiederholt und auf der Bühne sinnfällig vorführt, dass Juden Ungeziefer sind oder die Frauen gefährliche Verführerinnen. Die Bilder bleiben letztlich für sich allein stehen.

Magdalena Kozena singt die Marguerite voller Wärme

Mezzosopranistin Magdalena Kozena, Rattles Ehefrau, singt die Marguerite voller Wärme und Hingabe. Stimmlich passen sie und Tenor Charles Castronovo, der ungelenke Faust, wunderbar zusammen. Die beiden können berühren. Florian Boesch verleiht seinem Mephisto bassbaritonale Geschmeidigkeit und einen süffisanten Charakter. Aber es bleibt ein Trugschluss der Inszenierung, dass allein der Teufel mit lässigem Fingerschnipsen für die Weltläufe verantwortlich ist. Jan Martinik singt den Jungnazi Brander angemessen unsympathisch. Nach einem imposanten Höllenritt liegt in Bühnenmitte ein Leichenberg, der vom Chor umstellt ist. Im christlichen Hymnus wird Marguerites Seele in den Himmel entlassen. Beim Schlussbild sind Gilliam die Ideen ausgegangen. Der Regisseur wird am Premierenende ausgebuht, alle anderen sehen sich laut bejubelt.

Staatsoper im Schiller-Theater, Bismarckstr. 110, Charlottenburg. Am 1., 4., 9. und 11.6.