„Bergluft, aufgarniert mit Lyrik“ – so beschreibt die Figur der Hilda Mack die Atmosphäre in Elegie für junge Liebende. Wem dazu vielleicht Rainer Maria Rilke und W.B. Yeats einfallen, liegt zeitlich nicht falsch, auch wenn Hans Werner Henzes Oper noch nicht einmal sechzig Jahre alt beziehungsweise jung ist.

Das Libretto, verfasst von Wystan Hugh Auden und seinem Partner Chester Kallman, setzt die Handlung im Jahr 1910 an, in einem Hotel in den österreichischen Alpen am Fuße des fiktiven Berges Hammerhorn. Auf diesem Berg ist vor vierzig Jahren Hilda Macks Verlobter verschollen, und seither  plagen sie Visionen, die dem bald sechzigjährigen Dichter Gregor Mittenhofer als Inspiration dienen. Für Mittenhofer und seine Entourage, bestehend aus seinem Jugendfreund und Leibarzt Dr. Wilhelm Reischmann, einer adligen Mäzenin, die sich ihm als Sekretärin unterordnet, Carolina Gräfin von Kirchstetten sowie der blutjungen Muse fürs Bett Elisabeth Zimmer, entrollt sich eine hysterisch-komplizierte Sommerfrische, die schnell ins Groteske und Psychodramatische kippt.

Mit dem Auftauchen der Leiche von Hildas Verlobten schwinden Hildas Visionen und somit ihre Nützlichkeit als Medium für Mittenhofers Kreativität, welche durch den potenziellen Verlust der Muse aufgrund des plötzlich auftauchenden Sohnes des Freundes zusätzlich bedroht ist. Überraschend und scheinbar gönnerhaft gibt Mittenhofer Elisabeth frei, doch sollen sie und ihr Geliebter ihm noch ein Edelweiß vom Hammerhorn holen. Obwohl es in seiner Macht stünde, lässt er sie nicht vor einem aufziehenden Schneesturm retten: Sind beide erst tot, wird das Gedicht, an dem er arbeitet, wohl noch ergreifender – eine Elegie.

Man hat es also mit dem Thema „Kunst, Künstler und deren Umfeld“ zu tun und dieses bleibt Emanzipation, Auf- und Abgeklärtheit zum Trotz auch heute spannend. Immer finden sich Interessierte, welche die Nähe zu Berühmtheiten, echter oder vermeintlicher Genies suchen, mag eine solche Beziehung auch noch so kompliziert und schmerzhaft sein. Jene des Dichters der Elegie mit seiner Umgebung lässt an ein Kuckucksjunges denken: Von Zieheltern (Arzt und Sekretärin) mit Fürsorge, Geld und Anerkennung gefüttert, wird der Dichter, oder zumindest sein Ego, so groß, dass schließlich kein Platz im Nest bleibt. Nicht nur die Jungen sterben, auch Carolina, durch Schweigen mitschuldig am Tod der jungen Liebenden, verlässt sie ihr Leben in Richtung Wahnsinn.

Ironischerweise wird der Nachweis für die implizit aufgestellte These, dass große Opfer große Kunst bewirken, nicht erbracht. Der Vortrag der Elegie am Ende der Oper bleibt wortlos und beschränkt sich auf eine orchestrierte Vokalise. Das ist eine der vielen gelungenen Wendungen im Libretto von Auden und Kallman, welches Henze stringent umsetzt. Doch bei aller Wertschätzung für seine Vielseitigkeit, die kluge musikalische Zeichnung seiner Figuren, die historischen Anspielungen und die Schönheit im Leisen, darf man auch Folgendes bemerken: Er macht es einem nicht leicht. Wenn man nahe an Schlagwerk und Celeste sitzt, ist die Lautstärke mitunter eine Herausforderung, auch wenn „nur“ ein Kammerorchester am Werk ist. Hinzu kommt, dass sich besonders im ersten Akt Blasinstrument an Blasinstrument reibt (Horn, Trompete und Posaune des Dichters versus Hildas Flöte, Carolinas Englischhorn und Dr. Reischmanns Fagott und Saxophon), bevor es mit der Streicher-unterlegten Beziehung zwischen Elisabeth und Toni Reischmann geradezu lieblich-volksliedhaft wird, obwohl das Unheil bereits unaufhaltsam ist.

Unter der klugen und detailgenauen Leitung durch Marc Albrecht spielten die Wiener Symphoniker drei Stunden voll konzentriert und mit Präzision. Dasselbe kann man auch über die Sängerinnen und Sänger sagen, die allesamt höchstes schauspielerisches Niveau boten. Laura Aikin, die Grande Dame der Moderne, beeindruckte mit Koloraturen und weiten Intervallsprüngen, wohingegen das Energiebündel Angelika Kirchschlager als verhärmte Sekretärin, die das Lachen verlernt hat, positiv überraschte. Neben den beiden arrivierten Künstlerinnen verzauberte Anna Lucia Richter mit ihrem sauber geführten, jugendlich-frischen Sopran und ihrer mädchenhaften Erscheinung. Paul Schweinester als ihr Geliebter Toni war ihr ein ebenbürtiger Partner, Martin Winkler konnte sich als lächerlich-besorgter Arzt einmal mehr im Charakterfach profilieren. Da sitzt jede Silbe, so wie auch Martin Berger die Sprechrolle des Bergführers Josef Mauer auf den Punkt brachte. Nicht zuletzt gefiel Johan Reuter, der den Dichter als vielschichtige Persönlichkeit zeigte und mit Wagner-gestähltem Ton keinerlei Widerspruch aufkommen ließ.

Die szenische Umsetzung der aktuellen Produktion verdient das Prädikat „besonders wertvoll“ und setzt Keith Warners Regieerfolge am Theater an der Wien fort. In Es Devlins Bühnenbild, das von riesenhaften Schreibtischgeräten dominiert wird, steht des Dichters Lotterbett auf einem Bücherstapel. Schreibmaschinentasten werden zu Blumentopfhaltern, und eine riesige Lampe leuchtet den Irrsinn aus. Von weißen Stoffbahnen verhüllt, wird all das zu schneebedecktem Gebirge. Lob gebührt auch Tom Rand für die von ihm entworfenen Kostüme, auf denen zum Schluss, der Poesie um 1900 entsprechend, der tödliche Schnee als Spitzenapplikation liegt. Vor diesem optischen Hintergrund entwickelte sich ein packendes Kammerspiel, für das ausgezeichnete Akteure zur Verfügung standen.

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