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Karajans Stellvertreter

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Mit grandiosen Instinktsolisten funktioniert der Abend: Peter Seiffert (Siegmund), Anja Harteros (Sieglinde, Mi.) und Anja Kampe (Brünnhilde). 
Mit grandiosen Instinktsolisten funktioniert der Abend: Peter Seiffert (Siegmund), Anja Harteros (Sieglinde, Mi.) und Anja Kampe (Brünnhilde). © Forster/OFS

Salzburg - Mit der Rekonstruktion von Karajans „Walküre“-Inszenierung aus dem Jahr 1967 starteten die Salzburger Osterfestspiele. Lesen Sie hier unsere Premierenkritik:

Bei Karajan hätt’s das nicht gegeben. Dass sich Siegmund, wenn er mal nicht dran ist, eine Zigarette dreht. Dass Hunding seiner Frau brutal in den Schritt fasst. Oder dass Brünnhilde von Papa Wotan ein gar lustiges Steckenpferd bekommt. Aber: Wir sind ja nicht bei der Beschwörung des heiligen Herbert, wie die Osterfestspiele gerade ständig betonen. Eine Vermählung von Alt und Jetzt soll diese „Walküre“ vielmehr sein. Kein Aufwärmen eines Karajan-Schinkens, sondern eine „Rekreation“. Ein Brückenschlag also von der kosmisch-monumentalen Leere anno 1967 zur Neubefragung dank Vera Nemirova, einer manchmal aufmüpfigen Regisseurin. Und ein runder Festivalgeburtstag, bei dem der Jubilar – in diesem Fall das Gründungsbühnenbild des Salzburger Spektakels – geherzt und begutachtet wird: Guad schaust aus, gar ned alt geworden.

Thielemann wird in Salzburg als irdischer Stellvertreter Karajans verehrt

Aus theaterhistorischer Sicht ist diese Premiere natürlich ein Coup. Aus theaterpraktischer Sicht muss konstatiert werden: Das Alte, Günther Schneider-Siemssens Ausstattung, die Jens Kilian rekonstruierte und mit halbwegs modernen Kostümen würzte, diese Bilder mit wabernden Projektionen auf dem Rundhorizont und einem begehbaren, zunehmend aufgebrochenem Riesenring, all das stört wenigstens nicht. Und provoziert eher ein Nachgrübeln über den Osterfestspiel-Stil – ob sich hier, beim teuersten Festival weltweit mit seiner Rampensingerei, mit verlorenen Solisten dank knapper Probenzeit in einem halben Jahrhundert wirklich so furchtbar viel getan hat? Der Tiefpunkt ist erreicht zu Beginn des dritten Akts. Die Walküren-Schwestern stehen fein säuberlich aufgereiht, lassen die „Hojotohos“ gellen und sind zu konzertanten zehn Minuten erfroren. Alle mit festem Blick zum Maestro, dem die Apokalypse zur cool-präzisen Angelegenheit gerinnt.

Aber sonst! Christian Thielemann, in Salzburg spätestens seit dieser Premiere als irdischer Stellvertreter Karajans verehrt, spielt mit Wonne und auch ein bisschen eitel seine „Walküre“-Erfahrung aus. Am schönsten im flott genommenen ersten Akt. Thielemann und die bis in Soli-Verästelungen bestechende Staatskapelle Dresden beweisen zweierlei: Duftigste, filigranzarte Kammermusik kann Wagner sein. Vor allem aber reinste Konversationsmusik, kein Dauermuskelspiel. Je später der Abend, desto mehr gibt es von Thielemanns Puzzle-Lust. Gerade weil ihm die Dresdner selbst aufs Abknicken des kleinen Fingers folgen, kann der Chef so viel riskieren und vorführen von seinem Wissen um die Partitur.

Härtetest für Sängerlungen

Gelegentlich wäre mehr Konstanz im Tempo nicht schlecht, weniger Fummelei. Und doch verblüfft diese Klangdramaturgie, die Thielemann – immer aus dem Text, immer aus der dramatischen Situation, immer aus der lustvollen Haltung des „Verweile doch“ – erzielt. Groß und symphonisch, mit schier endlosen Bögen der dritte Aufzug. Ein Härtetest für Sängerlungen ist das, die den aber (letztlich ist Thielemann immer Aufführungspraktiker) bestehen. Viel wird etwa von Vitalij Kowaljow verlangt. Ein Wotan aus dem Gesangsschulmusterbuch. Ein Bass, der sich ohne Forcieren und Brüche Extremlagen erobern kann. Mehr Kanten, mehr Erz, mehr Abgründe mag man sich da wünschen. Und trotzdem: Einen solch ebenmäßigen, noblen Göttervater findet man derzeit sonst nicht.

Seiffert ist ganz Peter-Bär

Von der anderen Seite nähert sich Siegmund dem Stück. Seiffert ist ganz Peter-Bär. Die lange Laufbahn hat sich in die Stimme eingemasert, ab der unteren Lage musste er immer schon tricksen. Gleichwohl ist das alles grundsympathisch. Peter Seifferts Gesang, in den sich auch Teenie-Töne des Karrierebeginns mischen, fesselt, weil alles so lebendig ist. Als wissendes Phrasieren, als tönendes Erotikon bis zu den grell aufgerissenen und rekordverdächtigen „Wälse“-Rufe. Überhaupt ist die Besetzung reinste Labsal. Anja Kampe, sonst gern mit zerfasertem Sopran unterwegs, hätte man eine solche tonkonzentrierte, lodernde, substanzreiche Brünnhilde nicht zugetraut. Georg Zeppenfeld gibt einen kalt-alerten Hunding, Christa Mayer eine etwas zerfranste Fricka-Diva. Und Anja Harteros schließt mit ihrem szenischen Sieglinde-Debüt zu großen Vorgängerinnen auf – auch wenn sie von Thielemann im ersten Akt durch Straucheleien gelotst werden muss.

Instinktsolisten wie die Harteros, die ihren tapernden Siegmund förmlich umtanzt, haben an solchen Abenden kaum Probleme. Gestisches, intelligentes Singen ersetzt da locker die Regie. Vera Nemirovas „Rekreation“ ist nämlich nichts Halbes, nichts Ganzes. Zu wenig, um dem Karajan-Stil Brechungen entgegenzusetzen oder ihn in Neues zu überführen. Das meiste sieht aus wie schnell arrangiert. Eine moderne Projektion mit dem „Ring“- Stammbaum ist wenig mehr als Feigenblatt. Viel zu duster, das ist den alten Salzburger Aufführungen oft vorgeworfen worden. Jetzt, mit der Licht- und Digitaltechnik von 2017, wird Schneider-Siemssens Ästhetik fast entblößt. Nackt knallt einem das Pappmaché-Pathos der Weltesche entgegen. Das könnte eine weitere Erkenntnis dieser Salzburger „Rekreation“ sein. Auch Bühnenbilder mögen in Frieden ruhen.

Informationen:

Die Aufführung am 17. April ist ausverkauft, Restkarten eventuell unter Telefon 0043/ 662/ 8045-361; 3sat zeigt die Produktion am 15. April um 20.15 Uhr.

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