Just an Arturo Toscaninis 150. Geburtstag fand die Volksopernpremiere von Alfredo Catalani 1892 uraufgeführter Oper La Wally statt. Das ist ein interessanter Zufall, denn Toscanini war von dieser Oper so angetan, dass er seine ersten beiden Kinder nach zwei ihrer Partien nannte – Walter und Wally. Für Gustav Mahler war La Wally überhaupt „die beste italienische Oper“. Warum nur begibt sich dann diese furchtlose Tirolerin kaum jemals in die Niederungen der Bühnen im Flachland?

An der Musik liegt es mitnichten. Es gibt eine wunderbare Aufnahme mit Renata Tebaldi, Mario del Monaco und Piero Cappuccilli, und durch die hier besprochene Premiere wurde ich daran erinnert, warum ich diese Aufnahme vor ein paar Jahren öfter hörte: La Wally verbindet verschiedene Stile zu einem eigenständigen Ganzen; sie nimmt  sowohl den Verismo als auch eine Madama Butterfly vorweg und in den Naturszenen lohengrint es ein wenig. Oft meint man auch zu hören, dass ein spannender Film auf seinen dramatischen Höhepunkt zusteuert, wiewohl das Medium Film noch gar nicht existierte. Spannend ist auch die Instrumentierung, in welcher die Hörner ausgiebig zu tun haben, um Land und Leute um Sölden charakterisieren; Naturimpressionen wie die Stille des Hochgebirges werden gern mit Harfe untermalt.

Kein Wunder, dass diese Mischung verschiedener Stile Catalanis Zunftgenossen beiderseits des Brenners ratlos hinterließ – der nördlichen Fraktion nach Wagner war sie zu italienisch, den Italienern wiederum zu deutsch. Ein unvoreingenommenes Publikum war aber damals wie heute beeindruckt. Leider konnte Catalani, der keine vierzig Jahre alt werden sollte und eineinhalb Jahre nach der Uraufführung von La Wally verstarb, seinen Erfolg nicht mehr verwerten.

Regisseure erleben die bodenständige Wally nun nicht gerade als leichte Aufgabe. Ohne Berge, ohne Lawine geht es nicht, und auch nicht ohne Rettungsaktion, in der die Sopranistin den Tenor eigenhändig aus der Schlucht zieht. In der Volksoper löst Regisseur Aron Stiehl die besagte Szene pragmatisch, indem er den Chor (das Volk) die Sicht auf den Abstieg in die Schlucht (den Bühnenboden) verstellen lässt. Auch ansonsten waren Choreographie und Personenregie eher zweckmäßig reduziert denn inspiriert. Interessant gestaltete sich dagegen der Schluss, wo das Erscheinen des geliebten Hagenbach nicht als real, sondern als Wallys Wunschtraum oder Wahnsinn gedeutet wurde.

Gelungen war das Bühnenbild von Frank Philipp Schlößmann, der Felsformationen zu unregelmäßigen geometrischen Formen in Weiß mit schwarzer Schraffierung abstrahierte und mit diesen beweglichen Elementen sowohl die Bergeshöhen als auch Innenräume glaubwürdig darstellte. Dies wurde durch wechselnde Lichtfarben unterstützt. Für dieses Ambiente ließ Kostümbildnerin Franziska Jacobsen Tracht in gedeckten Farben (vornehmlich Grau und Blau) anfertigen.

Anders als die Optik war der Abend in musikalischer Hinsicht leider nicht aus einem Guss. Unter der Leitung von Marc Piollet hörte man zwar vieles, was tadellos war, aber im ersten Akt gab es etliche Divergenzen zwischen Bühne und Graben; es haperte hörbar an korrekten Einsätzen. Die Hornisten aber bewältigen ihre Herausforderungen ausgezeichnet und auch die Zwischenmusik vor dem vierten und letzten Akt strahlte so wie Catalani sie schrieb.

Wenig Glück hatte man mit der Besetzung der Partien. Für die Titelpartie holte man mit Kari Postma eine Hausdebütantin, der es leider an der für die Wally notwendigen Dramatik fehlt. So farblos darf die Stimme einer beeindruckend starken Frau einfach nicht klingen; nur in leisen legato-Passagen zeigte sich, dass hier mehr dahinterstecken könnte als man an diesem Abend zu hören bekam.

Hagenbach ist jener Mann, der Wallys Liebe auf den ersten Blick ist, doch macht er die Stolze mit einem geraubten Kuss öffentlich lächerlich und muss dafür bezahlen, indem er einen von Wally angesetzten Mordanschlag nur knapp überlebt. Ein Mann, der die unbezwingbare Wally dermaßen herausfordert, muss über vokales und darstellerisches Charisma verfügen. Im Gegensatz dazu vermittelte Vincent Schirrmacher trotz (oder vielleicht gerade wegen) braver Exekution seiner Partie leider permanent den Eindruck, im falschen (Heimat)film zu sein. Er hat seine Qualitäten, aber als Hagenbach sollte er sich nicht verheizen (lassen).

Für Martin Winkler – welcher im Barbier und dem Wunder der Heliane bislang eine ausgezeichnete Saison hatte, und der und vielleicht den Teufel aus dem von Wally verschmähten Gutsverwalter Gellner gesungen hätte –  sprang ebenfalls die Zweitbesetzung ein, nämlich Bernd Valentin. Dieser hatte leider Mühe, seine große Stimme in die Höhen der Partie zu wuchten; den (Beinahe-)Mörder nahm man ihm dafür ab. Kurt Rydl als Wallys dominanter Vater hatte schon bessere Tage; Annely Peebo gab eine solide Wirtin Afra. Am überzeugendsten waren Elisabeth Schwarz als kindlich-naiver Walter und Daniel Ohlenschläger als Infanterist, der in dieser Regiearbeit als eine Art Gottseibeiuns durch die Szenerie schreiten darf. Der Chor erledigte sein Aufgabe anforderungsgemäß, wenn auch ohne Höhepunkte.

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