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Bo Skovhus (Peer Gynt), Maria Bengtsson (Solveig) & Arnold Schoenberg Chor. Foto: Copyright: Werner Kmetitsch
Bo Skovhus (Peer Gynt), Maria Bengtsson (Solveig) & Arnold Schoenberg Chor. Foto: Copyright: Werner Kmetitsch
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Ich tu, was ich will – Peter Konwitschny inszeniert Werner Egks „Peer Gynt” im Theater an der Wien

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Es war fürwahr nicht alles schlecht, was die deutschen Musiktheater zwischen 1933 und der kriegsbedingten Schließung der Theater hervorbrachten. Zu den markantesten Arbeiten auf hohem handwerklichem Niveau gehörte „Peer Gynt“. Der Komponist, der 1901 bei Donauwörth geborene Werner Mayer, nannte sich in seinem Willen zu einer zeitbedingt karrierefördernden Schnittigkeit Werner Egk. Der als hochbegabt eingestufte Musiker, seit 1936 an der Berliner Staatsoper als Kapellmeister tätig, reduzierte das einst im Theaterrepertoire fest verankerte dramatische Gedicht Henrik Ibsens mit Geschick und schrieb ihm eine neusachlich inspirierte, moderat moderne Musik zu, die erst im neunten und letzten Bild dem kompositorischen Über-Ich Richard Strauss offen huldigt.

Werner Egk hat sich nicht nur den „Rosenkavalier“-Schluss anverwandelt, sondern pointierte auch durch die Einbeziehung von Passagen aus Bertolt Brechts und Kurt Weills „Mahagonny“, die an Plagiat grenzen. Er schrieb also durchaus ein im Sinn von „Zeitoper“ der späten 20er Jahre gewitztes Werk. Es begleitete den Weg eines nach „Sinn und Unsinn der eigenen Existenz“ suchenden Außenseiters durch die Welt. Der Bilderbogen beginnt mit der jugendlichen Unentschlossenheit und den einem endogenen Egoismus entspringenden groben Rücksichtslosigkeiten gegenüber wechselnden Partnerinnen. Er schweift aus zum Anhäufen eines riesigen Reichtums in Südamerika, dessen jähem Verlust und der dann nahe liegenden Wiederkehr der Sinnfragen. Moralfreie norwegische Trolle umgarnen und animieren den allenthalben auf radikale Selbstverwirklichung gepolten gesinnungslosen Helden. Motto: „Ich tu, was ich will“.

Der nordische Held Peer G. passte bestens in die mitteleuropäische Zeit, in der Egks Hauptwerk entstand: das Libretto 1937, parallel zum Beginn der Tätigkeit des General-Bauinspektors Albert Speer, der das Stadtbild Berlins radikal modernisieren und der Reichshauptstadt ein Aussehen verschaffen sollte, das den sich fester etablierenden Machthabern „würdig“ erschien und tausend Jahre haltbar sein sollte. Die Partitur wurde in bemerkenswert kurzer Zeit während der Annexion Österreichs und der Zerschlagung der Tschechoslowakei geschrieben. Die Uraufführung fand am führenden Opernhaus des Reichs zwei Wochen nach der Reichspogromnacht statt. Sie stieß auf das Wohlwollen des Reichskanzlers und insbesondere seines Propagandaministers. Der klügste Kopf im Führungs-Team der NSdAP hätte keinesfalls goutiert, wenn Parteiparolen oder Heim-ins-Reich- und Kriegsgeheul auf die Bühne gekommen wären. Dr. Goebbels erwartete bildungsbürgerlich unterfütterte „gute Unterhaltung“ mit „würdigen“ Stoffen und Ablenkung vom mitunter etwas „ruppigen“ tagespolitischen Geschäft (aktuell der Revision der Friedensverträge von Versailles bzw. Trianon und der antisemitischen Gewaltexzesse) sowie vom strategischen Ziel der deutschen Lebensraumerweiterung Richtung Osten durch Krieg und Völkermord. Egk, finanziell vom NS-System gehätschelt, lieferte mustergültig.

Der auf Welterfahrung ausziehende, auf Weltgeltung erpichte und gar auf die Weltherrschaft spekulierende Peer Gynt erscheint als Figur, die gut auch in unsere Gegenwart passt. Peter Konwitschny weiß etwas mit ihr anzufangen und versagte sich naheliegende Anspielungen auf den neuen Präsidenten eines befreundeten Landes. Der Regisseur lässt Bo Skovhus vor einen unendlich anmutenden Wolkenhimmel treten und dann, vor und in jeweils sehr realistisch ausstaffierten Behausungen, seine Getrieben- und Unbehaustheit in einer Suite meist kürzerer, plakativ möblierter und grell kostümierter Szenen ausleben. Der aus Dänemark stammende Bariton, auf den Wiener Bühnen außerordentlich präsent und seit 1997 österreichischer Kammersänger, bringt als imposanter Titelheld nicht nur die nötige Härte und gelegentlich auch stimmliche Rauheit mit für einen großen Egoisten der weiten Welt-Literatur, sondern neben dem Griff zur Axt auch jene Leichtigkeit, Lässigkeit und Geschmeidigkeit, die Frauenherzen höher schlagen lässt. Ja, er kann sich auch in der Unterhose sehen lassen. Der große Kunstgriff Konwitschnys ist die Besetzung der rothaarigen Verführerin aus dem Troll-Reich und der auf den so lange Aushäusigen in treuer Liebe wartenden Solveig mit derselben Sopranistin (und überhaupt der weitgehende Einsatz von Doppelbesetzungen). Maria Bengtsson, zuletzt im Theater an der Wien als Gräfin Madeleine im „Capriccio“ von Richard Strauss überragend, wechselt – mitunter in Sekundenschnelle – von der Partie der blinden (und von Klein Helga geführten) Solveig in die der namenlosen Rothaarigen, die weiß, was sie Männern zeigen muss und dafür nehmen will. Da bleibt wenig zu wünschen übrig. Bengtson, als Solveig eine schüchterne nordische Schönheit mit kunstvoll geflochtenem blonden Zopf, zeichnet mit zarten Piano-Nuancierungen auch stimmlich die so weitgehende Hingabe und Treue in die klare Luft der eindeutigen Gefühle. Ach, wie sie „Ich warte, ich warte“ als Verheißung der keuschen Beharrlichkeit dehnt und aushält! Und dann auch gleich wieder das Lasterhafte, Verruchte, Verhurte und Alkoholgetränkte der routinierten Roten ausspielt! Schließlich auch deren Peitschenkünste als Domina, der sich der von den Kämpfen des Lebens ausgepowerte Peer Gynt noch einmal als „glückseliges Hühnchen“ andient. Vom ländlichen Hochzeitsfest mit seinen derben Gewalt-Ritualen, das Peers Mutter mit einer automatischen Waffe in der Hand aufmischt, über den Kaufrausch in Trollheim und die dort scheiternde Eingemeindung von Gynt bis zur Exkursion in den Goldrausch der Neuen Welt, der Explosion der überbordend mit Schätzen beladenen Peer Gynt und der Begegnung mit dem Tod in einem luxuriösen weißen Oldtimer – all das hat Peter Konwitschny mit differenzierten Gespür fürs Unterhaltende (und zum Teil altbewährten Theatergags) heiter und gekonnt in Szene gesetzt. Er lieferte mustergültig.

Leo Hussain gibt den Takt vor und lässt das ORF-Orchester nicht nur die Straussianismen auskosten, sondern in erster Linie den neusachlichen Misch-Ton als leichtes Menü präsentieren. Aus dem clever abgeschmeckten Egk-Tonsatz stechen immer wieder „Mahagonny“-Anklänge hervor. Das haben die NS-Beckmesser bereits anlässlich der Uraufführung mit hochgezogenen Augenbrauen vermeldet – ein halbes Jahr zuvor, im Mai 1938, hatte die Düsseldorfer Ausstellung „Entartete Musik“ versucht, dergleichen ein für allemal aus dem „gesunden deutschen Volkskörper“ auszuschwitzen. Im Zuge der Entnazifizierung und umfassenden Rehabilitierung erwiesen sich für Egk dann die begrenzten Verstöße gegen das Reinheitsgebot (und dass sie ihm angekreidet wurden) als nützlich. Nach 1950 machte „Peer Gynt“ erst richtig Karriere – in beiden deutschen Staaten. Dazu trug nicht unerheblich bei, dass die parteiamtlich ausgerichtete und staatlich kontrollierte Kritik vor 1944 eine ambivalente Haltung eingenommen und z.B. warnend „auf die Parallelen zu Brecht und Weill sowie auf die Einflüsse aus der Jazz- und Negermusik“ (Egon Voss) aufmerksam gemacht hatte. Auch das ist also prima gelaufen.

Interessanterweise haben die Veranstalter an der linken Wienzeile jetzt im Kontext der „Peer Gynt“-Premiere die Frage aufgeworfen, ob ein Komponist ein Gewissen haben müsse. Warum eigentlich? Wo doch Egk – wie ihm deutsche Gerichte in den 60er und 70er Jahren bescheinigten – nur tat, was des Landes der Brauch war und kein beanstandenswertes Parteigängertum für ein Unrechtssystem gewesen sein soll. In welcher Hinsicht hätte sich denn ein Angehöriger einer bekanntlich von Kopf bis Hosentasche auf öffentliche, also weithin staatliche Aufträge angewiesene Personengruppe ein „Gewissen“ machen sollen? Dass er von zwei recht- und heimatlos gewordenen linken Juden eine Kernaussage und ziemlich viel musikalisches Aroma von „Mahagonny“ abschöpfte? Man benutzte doch auch das Mobiliar der in der „Reichskristallnacht“ aus ihren Wohnungen Vertriebenen weiter! Es gibt keine Genfer Konvention für „moralisches Verhalten“ von Künstlern, geschweige denn einen Sanktionskatalog für das, was Notenstrichjungen wie Egk ins Werk setzten. Daher ist die moralische Frage, zutreffend gestellt, ob man durch die Wiederaufführung von Werken wie „Peer Gynt“ eine Selbstverständlichkeit und „Normalität“ suggeriert, die offensichtlich doch nicht ganz selbstverständlich ist. „Peer Gynt“ und Kameraden könnten dem Vergessen anheimgegeben werden, ohne dass dem Opern-Repertoire dramatische Verarmung drohte – es gibt über Hunderttausend andere verfügbare Werke. In Zeiten des eskalierenden Populismus mag es freilich durchaus einen gewissen Kitzel haben, eines der Musterstücke aus dem NS-Fundus als Entertainment anzubieten, das von den historischen politischen Konnotationen keine Notiz nimmt und nur beiläufig Egks „Kollaboration“ mit „den Nazis“ für verachtenswert erklärt (Programmbuch S. 14).

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