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Theater am Goetheplatz "Simplicius Simplicissimus" begeistert Premierenpublikum

Die Antikriegsoper „Simplicius Simplicissimus“ hat im Theater am Goetheplatz eine umjubelte Premiere gefeiert.
30.01.2017, 00:00 Uhr
Lesedauer: 3 Min
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Von Markus Wilks

Wie können zivilisierte Menschen Gewalt und Krieg zulassen? Karl Amadeus Hartmann hatte Angst vor den Abgründen der Menschheit und drückte seine Ohnmacht nach der Machtübernahme durch die Nazis in der Oper „Simplicius Simplicissimus“ aus. Dass dieses selten gespielte Werk unverändert aktuell ist, wurde in einer Neuproduktion im Theater am Goetheplatz deutlich.

Der Tod prägt sein Leben. Er ist nur ein naiver, weltfremd erzogener Bauernjunge (vom Einsiedler wird er deshalb Simplici genannt), der die Schrecken des Dreißigjährigen Kriegs erlebt: Gewalt, Verrohung der Sitten, Mord. Karl Amadeus Hartmann schuf mit den Erlebnissen des Simplicius Simplicissimus eine zeitlose Anklage gegen Krieg und Unmenschlichkeit. Seine Musik ist, wie könnte man er bei einem Stück aus den 30er-Jahren anders erwarten, oft schräg und unbequem, enthält aber auch viele schöne Melodien und warme Momente, die unter die Haut gehen. Dennoch strahlt die Oper insgesamt eher eine Sachlichkeit aus, sodass die Antikriegsthematik mehr auf der geistigen als der emotionalen Seite ausgetragen wird. Trotz ihrer Bedeutung und der Bewunderung durch viele Theatermacher ist diese Kammeroper nachvollziehbar kein Repertoirestück geworden.

Umso stärker müssen das Engagement des Theaters und das hohe Niveau der bildstarken Bremer Produktion gewürdigt werden. Man möchte sämtliche 14 Solisten der Bremer Philharmoniker einzeln erwähnen, wie sie ihren zum Teil virtuosen Part konzentriert und souverän gemeistert haben. Unter der aufmerksamen, stets ein differenziertes Spiel einfordernden Leitung des ehemaligen Bremer Kapellmeisters Clemens Heil klang Hartmanns Musik vergleichsweise expressiv. Kenner des Stückes konnten leicht vergessen, dass das Theater Bremen von den verschiedenen Aufführungsmöglichkeiten die mit einigen Kürzungen und der kleinen Besetzung gewählt hatte.

Doch worum geht es im „Simplicius“ eigentlich? Die pausenlos gespielte Oper über einen weltfremden Jungen basiert auf dem 1668 erschienenen Roman „Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch“ von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen. Hartmann und seine Librettisten entnahmen drei Szenen, die alle mit dem Tod enden. Zunächst ermorden Landsknechte Simplicius‘ Eltern, später stirbt der Einsiedler (Simplicius‘ Mentor), im dritten Teil töten aufständische Bauern alle Menschen außer den Titelhelden.

Während Hartmann den Dreißigjährigen Krieg bewusst wählte, um seine Wut über die Entwicklungen in der Nazizeit auszudrücken, entfernte sich Regisseurin Tatjana Gürbaca von dieser Vorgabe. Sie stellte heutige Menschen auf die Bühne, allerdings ohne plakativ zu aktualisieren. Gürbaca definiert ihren Zugang zum Stück eher über groteske Momente und über die Raumlösung: Die Wandverkleidung des Zuschauerraums setzt sich bis in den Bereich der nicht mehr erkennbaren Bühne fort. Das Orchester sitzt direkt vor den Zuschauern, der sehr präsente Herrenchor (Einstudierung: Alice Meregaglia) ist im Parkett verteilt. „Alle finden sich wieder im gleichen Raum ... Kunst als Anarbeiten gegen Verrohung und gegen den Verlust von Empathie“, schreibt Bühnenbildner Klaus Grünberg im Programmheft-Interview, in dem das Regieteam interessante Einblicke in das Inszenierungskonzept gibt.

Gespielt wird vor allem in einer kreisrunden Wandöffnung, die den Fokus auf Simplicius‘ kleine Welt gibt, aus der er nicht ausbrechen kann. Vielmehr dringt das Unheil ein, bedrückend etwa bei den Menschen des erträumten „Lebensbaums“, die quasi am Galgen zappelnd Simplicius bedrängen, oder bei einer Art Totentanz mit den mordenden Landsknechten (eindrucksvolle Kostüme von Silke Willrett). Für Traumsequenzen und die Sterbeszenen gibt es noch einen breiten Kasten unterhalb des Wandlochs.

Marysol Schalit ist die ideale Besetzung für den Simplicius, da sie mit ihrem farbreichen, deutlichen Sopran und starker Präsenz agiert – dieser vermeintliche Narr entwickelt sich zum einzig normalen, zivilisierten Menschen. Überhaupt ist es ein Gewinn für Hartmanns Oper, dass das Theater einige Sänger mit wohlklingenden Stimmen eingesetzt hat. So auch Birger Radde als Landsknecht und (mit minimalen Einschränkungen in der Höhe) Luis Olivares Sandoval als klangvoll singender Einsiedel. Mit gewohnter Spielfreude und kräftigem Stimmeinsatz würzten Patrick Zielke (Hauptmann) und Christian-Andreas Engelhardt (Gouverneur) die grotesk inszenierten Momente der Handlung. Loren Lang als Bauer und Nora Ronge als akrobatische Dame komplettierten das Ensemble. Während der Sprecher bei der letzten „Simplicius“-Inszenierung in der Region (2008 in Hannover) expressiv Ohnmacht und Angst herausschrie, setzte Gürbaca auf das neutrale Wesen einer Jungenstimme, die zugleich als Alter Ego in die Handlung eingriff – eine eindrucksvolle Lösung, zumal Max Geburek das gekonnt machte. Starker, lang anhaltender Beifall seitens des Premierenpublikums.

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