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Winter-Festspiele in Erl mit Rossini-Oper eröffnet

Mit einer ungewöhnlich modernen und zeitgenössischen Inszenierung der Rossini-Oper "L'italiana in Algeri" wurden am Montagabend die Winter-Festspiele in Erl eröffnet.

Aurora Faggioli und Giovanni Battista Parodi.
Aurora Faggioli und Giovanni Battista Parodi.

Gustav Kuhn führte das Orchester mit starker Hand zu höchster Präzision, Regisseur Wolfgang Berthold wagte viel mit seiner Auslegung des Stücks, Bühnenbild und Kostüme von Jan Hax Halama überzeugten. Das Publikum war angetan.

Ein Opernabend kann eine höchst bequeme und überaus angenehme Sache sein. Der Opernliebhaber macht sich auf und gönnt sich eine Aufführung, so wie sie der Komponist und Urheber des jeweiligen Werkes vermeintlich gemeint hat. Überraschungen bleiben dabei zumeist aus. Die Irritationen, die ein Stück vor Jahrhunderten bei seiner Uraufführung auslöste, sind weit, weit weg.

Anders war es zum Glück bei der Inszenierung von "L'italiana in Algeri" von Gioacchino Rossini in Erl. Das Stück strotzte geradezu vor Irritationen und überraschenden Effekten. Dadurch wurden auch die Musik und das zeitlose Thema in all ihrer Unerhörtheit freigelegt. Der Zugang von Regisseur Berthold zu diesem Werk ist bemerkenswert. Ihn interessiert ganz offensichtlich auch der Wahnsinn, der in diesem Stück lauert. Der Wahnsinn beginnt nämlich bekanntlich dort, wo die Rationalität endet und wo die Sinn versprechende Sprache nicht mehr greift.

Am Schluss des ersten Aktes zerfiel das Stück und glitt zielsicher über in semi-dadaistische Lautmalereien. Die gesungene Sprache klang nur noch, machte aber keinen Sinn mehr. Keine Worte wurden mehr benutzt, sondern bloße Laute. Für die Inszenierung dieses chaotischen und verwirrten Zustandes wurde tief in die Inszenierungs-Trickkiste gegriffen. Lichteffekte und Tanzeinlagen waren dabei nur die Spitze des sprichwörtlichen Eisberges.

Der sinnhaltige Teil der Geschichte ist leicht erzählt. Mustafa, Bey von Algier, hat nur mehr wenige Lust auf seinen Harem und vor allem auf seine "Hauptfrau" Elvira. Er sehnt sich nach einer Frau aus Italien. Glückliche Umstände lassen seinen Wunsch schneller als erwartet in Erfüllung gehen. Jetzt gilt es nur noch seine Hauptfrau loszuwerden. Der Plan dazu ist gerissen, geht aber aufgrund der verwirrenden Ereignisse und Verwicklungen nicht auf. Am Ende des Stücks lässt sich Mustafa, bezaubert und zugleich verblödet durch sein Begehren nach der schönen Italienerin, zum "Pappataci" ernennen. Dieser hat zu essen, zu schlafen, schöne Frauen zu begehren und sich vor allem durch nichts und niemanden aus der Ruhe bringen zu lassen. Dass das nicht gut geht und er zuletzt die Italiener und damit auch seine heiß begehrte Isabella ziehen lassen muss, versteht sich von selbst. Zum Glück gibt es aber noch seine ehemals durchaus geliebte Hauptfrau Elvira, die er um Verzeihung bitten kann.

Soweit, so unspektakulär. Ähnliche und vergleichbare Plots fanden sich zur der Zeit von Rossini zuhauf. Die wahren Stars des Abends sind mit der Inszenierung und der Musik leicht auszumachen. Zu Beginn des Stücks betrat der Harem von Mustafa die Bühne, die dem Foyer des Festspielhauses in Erl zum Verwechseln ähnlich sah. Wir befanden uns also im Hier und Jetzt. Ein dezenter Hinweis darauf, dass das Stück mit uns im Heute etwas zu tun hat und quasi überzeitlich ist. Statt orientalischen Spezialitäten und Waren hatten die Harems-Damen Einkaufstaschen mit Prada-Logo vorzuführen.

In einer Szene wähnte man die "Hauptfrau" Elvira, brillant gesungen von Bianca Tognocchi, in einem Club. Der Tanz erinnerte weniger an Schleiertänze, sondern an eine selbstbewusste Frau in der Gegenwart, die weiß was sie will und dies auch tänzerisch zum Ausdruck bringen kann. Viel Nebel und gezielter Scheinwerfereinsatz transzendierten den im Stück ursprünglich gemeinten Ort.

Ganz grundsätzlich waren es die Frauen, die in diesem Stück an diesem Abend die Hosen anhatten. Vor allem Isabella, großartig gesungen und gespielt von Aurora Faggioli, wusste um die Wirkung ihrer weiblichen Reize. Selbst in den Augenblicken, in denen sie Mustafa eigentlich schutzlos ausgeliefert war, behielt sie die Oberhand. Sie spielte mit ihm. Später, als eine der Frauen des Hauses, hatte sie die Zügel und die Peitsche selbst in der Hand. Sie trieb in der Erler Inszenierung den vor Liebe entbrannten und bisher mächtigen Frauenbezwinger konsequent mit ihren Komplizen in die groteske Zeremonie zur Ernennung zum "Pappataci" und damit über die Grenzen der Vernunft.

Am Ende, durch und durch italienisiert, schien Mustafa seinen Verstand verloren zu haben. Zum Schluss kam er dennoch zur Vernunft und Alltag kehrte ein. Die wilde Italienerin konnte nicht gebändigt werden. Die Rückkehr zu Elvira ist auch eine Rückkehr zur Normalität und zum Alltag. Immerhin hatte Mustafa aber vom Wahnsinn genascht und hatte sich ganz dem Irrsinn der nicht nur lodernden, sondern entflammten Liebe hingegeben. Der rahmenlose Wahnsinn kehrte somit zum Schluss in den gewohnten Rahmen zurück.

Genau das wurde auch auf der Musikebene gespiegelt. Die Musik von Rossini ist auf Du und Du mit dem Wahnsinn und dem Irrsinn. Sie scheut aber auch davor nicht zurück, höchst melodisch, eingängig und zugänglich zu sein. Sie ist geschickter Innenwelt-Ausleuchter der Figuren und überzeugender Wahnsinns-Darsteller. Insgesamt ist das Musik, die der starken Hand von Gustav Kuhn sehr entgegen kam. Höchst kontrolliert und mit einer Vorliebe zur Exaktheit gelang es dem Künstlerischen Leiter der Festspiele, den Zuhörer dazu zu überreden, sich kopfüber in den unkontrollierten Irrsinn des Stückes zu stürzen.

Der Applaus nach der Aufführung war wohlwollend mit einzelnen Jubelbekundungen. Womöglich entsprach die Inszenierung aber nicht jedermanns Geschmack. Überschwängliche Euphorie-Anfälle und Bravo-Rufe blieben aus. Es war aber zweifellos ein außergewöhnlicher Opern-Abend. Wer viel wagt, der kann auch viel gewinnen. Das war hier aus künstlerischer Sicht der Fall.

http://www.tiroler-festspiele-erl.com/

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