„Zirkusprinzessin“ mit überfüllter Manege

FOTOPROBE: 'DIE ZIRKUSPRINZESSIN' AN DER VOLKSOPER WIEN
FOTOPROBE: 'DIE ZIRKUSPRINZESSIN' AN DER VOLKSOPER WIENVOLKSOPER WIEN/BARBARA PÁLFFY
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Eschwé schwelgt in der Volksoper in Kálmáns Partitur, doch die Regie ist mit Brimborium überfrachtet.

„Weiteressen!“, herrscht der Oberkellner Pelikan in Gestalt von Robert Meyer die Restaurantgäste im Hotel Erzherzog Karl immer wieder an, wenn sie sich zu sehr für die turbulenten Familienangelegenheiten der Besitzer zu interessieren beginnen – und wirklich duckt sich jede der hier karikaturhaft verzerrten Wiener Gestalten wieder brav über Teller oder Tasse. Hätte es geholfen, wenn analog dazu dem Volksopernpublikum dieser Neuproduktion von Emmerich Kálmáns „Zirkusprinzessin“ mehrfach der Ordnungsruf erteilt worden wäre, gefälligst mitzufiebern und Anteil zu nehmen an der verkorksten Love Story zwischen der stolzen russischen Fürstin Fedora Palinska und dem stets maskierten Zirkusreiter Mister X? Vielleicht. Noch besser aber, der Direktor hätte beizeiten seinen Regisseur Thomas Enzinger auf diesen Pfad der Tugend zurückgerufen.

Freilich, er versteht etwas von seinem Handwerk – und erzählt das Geschehen im Petersburger Zirkus Stanislawski mit sanfter Distanzierung, indem er es in die Anführungszeichen einer Rahmenhandlung aus der Sicht späterer, sowjetischer Jahre setzt. Aber er tappt gemeinsam mit seinem Bühnenbildner Peter Notz dem Zirkusambiente in die Falle und liefert eine Ausstattung, die eine Seebühne hätte füllen können. Im ersten Akt müssen die Protagonisten gegen eine Legion herumturnender Statisterie, Künstler und selbstredend auch echter Akrobaten ankämpfen, später dann gegen gewiss fantasievolle andere, aber letztlich gleichfalls störende szenische Einfälle. Denn immer dann, wenn es intim werden sollte, kommen allerlei eindrucksvolle Kunststückchen hinzu, die sich vor Handlung, Gesang und Gefühl drängen. Man verliert schlicht das Interesse, der Balanceakt des Theaters zwischen Hauptsache und Garnierung misslingt.

Da beweist sich Alfred Eschwé am Pult des süffig und zugleich differenziert spielenden Orchesters als der weitaus souveränere Gleichgewichtskünstler. Ja, manchmal schöpft auch er genüsslich aus dem Vollen, aber er meidet jede plakative Übertreibung, findet geschmeidige Übergänge für die stilistische Vielfalt der Partitur, die vom traditionellen Walzersentiment bis zum Shimmy-Blues reicht, und spürt die nötigen Zwischentöne auf, die das Ganze erst zum Leben erwecken. Bezaubernd klingt, wenn etwa die Flöte anmutige Arabesken formt, während sich die Streicher den Singstimmen anschmiegen.

Es entschädigt dafür, dass die Sänger manchmal doch keinen ganz leichten Stand haben gegen Kálmáns expressive Opulenz. Zwischentöne, die Kunst von Allüre und Aplomb, Andeutung, Charme und Elegance: In vokaler Hinsicht spielt dergleichen diesmal keine große Rolle. Astrid Kessler hat einen nicht durchwegs ruhig geführten, aber belastbaren Sopran, der sich in den besten Momenten schön entfaltet – doch die Fürstin bleibt sie letztlich schuldig. Und der mit keiner sonderlich deutlichen Diktion gesegnete Carsten Süss legt sich als Mister X zwar mit einem Pathos ins Zeug, das einem Tannhäuser zur Ehre gereichte, bekommt aber im zweiten Finale Durchhalteprobleme, als sänge er wirklich Tannhäuser. Die Partien werden bewältigt, aber intelligent zu singen, mit dem Text zu spielen, vermag keiner von beiden so recht.

À la Putin. In diesem Umfeld wächst sich Kurt Schreibmayer als Prinz Sergius trotz stimmlicher Verschleißerscheinungen zum darstellerisch prägnanten, gefährlichen Gegenspieler aus, der in Enzingers Deutung sogar im russischen Winter mit nacktem Oberkörper à la Putin auf die Pirsch geht. Und Hausdebütant Otto Jaus entpuppt sich als Toni Schlumberger überhaupt als Lichtblick und Entdeckung des Abends: Er singt nicht nur brav, sondern tanzt und springinkerlt auch vorbildlich und serviert selbst die schwächeren unter den vom Textbuch vorgegebenen Pointen noch ebenso treffsicher wie sympathisch. Aber wenn sich das Geschehen bis weit in den zweiten Teil hinein träg dahinschleppt und erst im dritten Akt mit dem leidgeprüft-komischen Pelikan etwas Pep in den Abend kommt, dann ist etwas schiefgelaufen – dem Premierenjubel zum Trotz.

Noch zehn Vorstellungen bis 18. Februar – www.volksoper.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2016)

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